„Besondere Wichtigkeit für den Naturschutz“

■ Saar–Altarme verkauft der saarländische Umweltminister Jo Leinen als Ausgleich für die Kanalisierung der Saar / Ausbau zur Großschiffahrtsstraße vom und zum Stahlwerk Dillinger Hütte verwandelt Saar in stehendes Gewässer

Von Felix Kurz

Saarbrücken (taz) - Was Ökologen seit mehr als einem Jahrzehnt als nicht zu verantwortenden Raubbau an der Natur scharf angingen, spielt an diesem Tag keine Rolle. Die Rede ist vom gigantischen Ausbau der Saar zu einer Großschiffahrtsstraße und einem Hafen in Saarlouis–Dillingen. Der Umweltminister des Saarlandes, Jo Leinen (SPD), hat zu einer „Bereisung für die Medien“ eingeladen. Doch es geht nicht etwa um den Saarausbau. Zwanzig Altarme der Saar habe man „als Ausgleich für die Ausbaumaßnahme“ retten können, so verkündet Jo Leinen noch im Bus der kleinen Schar interessierter Journalisten. Diese Altarme, abgetrennte Teile eines Fließgewässers, entstanden durch natürliche oder künstliche Einwirkung, erhalten nun nach den Worten des Ministers eine „ganz besondere Wertigkeit für den Na turschutz“. Das ist auch nötig. Denn durch die Kanalisierung der Saar, „wir sagen lieber Ausbau“, meint ein Vertreter der Wasser– und Schifffahrtsdirektion Südwest, wurde aus dem einst fließenden ein stehendes Gewässer. Der Naturschutzreferent im saarländischen Umweltministerium, Hans–Helmut Ebert: „Die Saar ist in sechs große Teiche verwandelt worden. Der Fließcharakter ist dahin.“ Was das bedeutet, wird an diesem Tag mit all den Altarmen, Feuchtbiotopen, hochwertigen Pflanzen– und Tiergesellschaften, naturnaher Erhaltung und Gestaltung erst nach dem serbischen Eintopf deutlich. Altarm–Minister Jo Leinen verharmlosend: „Der Verschmutzungsgrad der Saar könnte uns in heißen Sommermonaten Probleme machen.“ Einst gehörte auch er zu den härtesten Kritikern des wahnwitzigen Projekts gehört, damals als er noch Sprecher im Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) war. Heute preist er das Naturschutzkonzept für die 20 Altarme mit ihren rund 70 Hektar Fläche als „einmalig“ für die BRD. Was Leinen einst als Verbrechen an der Umweltz bekämpfte, nennt er heute die „Landschaft modellieren“. Für den Fluß, der nicht weiß, ob er in Zukunft nicht auch mal entgegen seiner früheren Fließrichtung plätschern soll, bedeutet die Kanalisierung vor allem einen weiteren Verlust an wichtigem Sauerstoff. Leinen nennt es schlicht „schwierige Verhältnisse“, für die man dann ein entsprechendes Szenario erarbeitet hat. Die an den Staustufen errichteten Kraftwerke wolle man bei Atemstillstand für Fische und andere Lebewesen in der Saar beispielsweise abschalten. Das Wasser soll künstlich „belüftet“ werden. Das alles erfahren die Journalisten an diesem Tage nur beiläufig. Altarm–Minister Jo Leinen und seinem Beamtenteam muß man diese Information schon aus der Nase ziehen, und das geht erst durch Provokationen. Ein „Heftpflaster“ seien die 20 Altarme zwar nicht, „eher schon eine Krücke“, bekennt ein Naturschutzbeamter aus dem neuen Altarm–Ministerium dann doch im Gespräch freimütig. Natürlich gäbe es „keinen Ausgleich in der Natur“, auch nicht für das, was man der Saar angetan habe, meint er. Das sei eben eine ökonomische Entscheidung gewesen. „In der Natur gibt es nur einen hilfsweisen Ersatz.“ Und auch um diesen ist es noch lange nicht zum besten bestellt. Zum Altarm–Zielkonzept, so der Titel, gehört auch der „Öko–See Dillingen“ mit seinen rund 30 Hektar. Einst von der Gemeinde Dillingen als Regatta– und Freizeitanlage geplant, soll das künstlich angelegte Gewässer jetzt nach dem Willen des Umweltministeriums sich selbst überlassen werden. Freizeitgestaltung jeglicher Art für die Bevölkerung sei wegen des Naturschutzgedankens nicht drin. Bislang sind „Öko–See“ und Ufergelände noch nicht als Naturschutzbebiet ausgewiesen. Surfer, Kanuten, Schlauchbootfahrer und Angler sind nach wie vor an der Nutzung des Sees interessiert. Eine rechtliche Handhabe gegen diese Interessengruppen existiert noch nicht, da man „eine Baustelle nicht unter Naturschutz stellen“ konnte. Zudem entstehen fast am Ufer des Sees neue Häuserzeilen, und auch die künftigen Bewohner wollen möglicherweise das Gebiet als ideales Naherholungsgebiet nutzen, gibt man durchaus zu bedenken. So sind dort die Konflikte vorprogrammiert. Rund 1,7 Milliarden DM verschlingt die Kanalisierung der Saar. Flußmäander wurden begradigt, sechs Staustufen angelegt und die Flußbreite teilweise auf 40 Meter aufgestaut. Das alles im wesentlichen für Transporte, die vom und zum Stahlwerk Dillinger Hütte erwartet werden. 4–6 Mio Jahrestonnen (Jato) sei eine realistische Transportgröße, meint man in der Wasserschiffahrtsdirektion Südwest inzwischen. Bei Baubeginn spekulierte man noch mit über 10 Mio Jato. Und selbst ob die neuen Zahlen erreicht werden, hängt davon ab, wie die deutsche Bundesbahn in Zukunft die Transporttarife senkt.