: Israelischer Atomtechniker vor Gericht
■ Mordechai Vanunu lieferte der Sunday Times Informationen über das israelische Atomforschungszentrum Dimona / Er betont seine Absicht, in Israel und den umliegenden Ländern auf die nukleare Bedrohung hinzuweisen / Vanunus Message soll nicht gehört werden
Aus Tel Aviv Amos Wollin
Ungewöhnliche Szenen spielten sich in dieser Woche vor dem Gerichtsgebäude in Jerusalem ab, wo sich der israelische Atomtechniker Mordechai Vanunu wegen Hochverrats verantworten muß. In Handschellen und mit einem Motorradhelm auf dem Kopf wurde der Angeklagte unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in das Gebäude geleitet. Damit auch findige Fotographen mit ihren Teleobjektiven kein Bild des Angeklagten erhaschen können, wurden die Fenster des Gerichtssaals mit Brettern verstellt. Der Angeklagte, der vor den Augen der Öffentlichkeit unsichtbar bleiben soll, soll auch nicht angehört werden: Sein Verfahren findet hinter geschlossenen Türen statt. Mordechai Vanunu steht vor Gericht, weil er im vergangenen Herbst gegenüber der britischen Zeitung Sunday Times detaillierte Angaben nebst Fotos über das israelische Atomforschungszentrum in Dimona geliefert hatte, wo er neun Jahre lang beschäftigt gewesen war. Staatsanwalt Uzi Chasson möchte beweisen, daß der Angeklagte Staatsgeheimnisse über die angebliche israelische Atomwaffenproduktion zum Besten gegeben und als Beschäftigter des Werks Spionage betrieben hat. Darauf steht in Israel lebenslänglich. Vanunus Verteidiger Avigdar Feldman dagegen zweifelt die Kompetenz des Gerichts an. Seiner Auffassung nach wurde sein Mandant illegal vom Geheim dienst Mossad aus Rom nach Israel verschleppt und zudem zu einem Geständnis gezwungen. Feldman möchte herausstellen, daß sein Mandant der Sache des Friedens nutzen und eine öffentliche Debatte über diese Problematik auslösen wollte. Die atomare Entwicklung Israels ist im Lande selbst nur ausländischen Medien zu entnehmen, da sie unter das weite Feld der „Sicherheitsinteressen“ des Staates fällt und damit der Zensur unterliegt. Nach Auffassung der Verteidigung hat die Bevölkerung in einem modernen demokratischen Staat ein Recht auf Information und die Pflicht zur Auseinandersetzung über Massenvernichtungswaffen. Feldman möchte daher erreichen, daß die Anklage punkte des Hochverrats und der Spionage fallengelassen werden und sein Mandant mit einer weniger harten Strafe davon kommt. Das Gericht könnte ihn beispielsweise lediglich für schuldig befinden, nicht authorisierte Informationen an ausländische Journalisten weitergeleitet zu haben. In einem Brief aus seiner Isolationshaft kurz vor Prozeßbeginn betonte Vanunu, daß er seine Tat keineswegs bedauert. „Es war meine Absicht, hier in Israel und in den umliegenden Ländern auf nukleare Gefahren aufmerksam zu machen und damit der Sicherheit und der Völkerfreundschaft zu dienen. Durch meine Tat konnte ich in der Praxis zeigen, daß das Individuum gegenüber der unumschränkten Gewalt des Establishments nicht machtlos bleiben mußs, daß der einzelne Mensch den Regierenden klarmachen kann, daß sie nicht unbeobachtet im Geheimen schalten und walten und daß es die Möglichkeit des zivilen Ungehorsams gibt, wenn das Allgemeinwohl auf dem Spiel steht“, begründete Vanunu seine Aktion. Angesichts einer Berichterstattung in den israelischen Medien, die häufig bemüht ist, den Angeklagten in ein möglichst schlechtes Licht zu stellen, ist es nicht leicht, sich ein Bild von der Persönlichkeit Vanunus zu machen. Seine Familie ist 1963 aus Marokko eingewandert, als er neun Jahre alt war. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Beersheba auf, wo sein religiös eingestellter Vater auf dem Markt Devotionalien verkauft. In den Jahren 1976 bis 1985 arbeitete Vanunu als Atomtechniker in der Forschungsanlage von Dimona. Im Jahre 1982 begann er ein Philosophiestudium an der Univerität von Beersheba. Seine „linken Umtriebe“ und die Freundschaft mit arabischen Studenten führten zu seiner Entlassung aus Dimona. Kurz danach reiste er nach Australien und konvertierte unter dem Einfluß eines anglikanischen Priesters zum Christentum. Im Sommer 1986 erfuhr die Sunday Times in London durch einen lateinamerikanischen Journalisten von der Bereitschaft Vanunus, die Dimona–Geschichte zu veröffentlichen. Das Londoner Blatt zeigte Interesse und ließ Vanunu nach Großbritannien bringen. Damit begann die Kette der Ereignisse, die den Atomtechniker schließlich hinter Gitter brachte. Die Veröffentlichung in der Sunday Times sorgte zwar für Schlagzeilen, allein, die erhoffte Debatte über die atomare Gefahr im Nahen Osten wurde nicht ausgelöst. In einem weiteren Brief an die israelische Linke beklagte sich Vanunu kürzlich, daß das von ihm zur Verfügung gestellte Material nicht entsprechend für politische Initiativen genutzt worden sei. In Israel gilt Vanunu in den Augen vieler als Verräter oder Einzeltäter, der sich ins Gerede bringen wollte. Seine disziplinierte Lebensweise im Gefängnis und seine Beschäftigung mit den Werken Kierkegaards, Kafkas und Platos widerspricht jedoch dem Bild, das die israelischen Medien von ihm gezeichnet haben. Dort wurde ihm Charakterlosigkeit, Instabilität, Schwierigkeit beim knüpfen persönlicher Beziehungen, Homosexualität und Impotenz, gleichzeitig aber auch Promiskuität nachgesagt. So faßste ein Kommentator der Zeitung Maariv zusammen: „Bereits nach den ersten Veröffentlichungen über Vanunus Persönlichkeit hatten wir verstehen müssen, mit wem wir es hier zu tun haben. Das Prinzip war leicht begreiflich: Klar war, daß Vanunu zu einsam war, zu unbekannt, zu unsicher. Solche Typen in derartigen Situationen versuchen in Amerika, den Präsidenten zu ermorden. In Israel versuchen sie ihr Glück mit Spionage.“ Auch die Nominierung Vanunus für den Friedensnobelpreis hat sein Image in Israel nicht verbessert, zumal auch Waldheim für die Auszeichnung vorgeschlagen worden war. Wie dies in der israelischen Öffentlichkeit angekommen ist, faßte die Zeitung Jerusalem Post am Donnerstag prägnant zusammen: „Der von Alfred Nobel gestiftete Preis wird bald einer des Schreckens sein“.
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