: Annäherung an einen gewaltsamen Tod
■ Auf der Suche nach Erklärungen für den Tod des iranischen Asylbewerbers Kiomars Javadi, der in Tübingen von Angestellten eines Supermarktes erwürgt wurde Der gewaltsame Tod des iranischen Asylbewerbers hat über Tübingen hinaus Betroffenheit ausgelöst aber auch Gerüchte über den Tathergang und die Motive des Täters kursieren lassen. Ein „Fascho“ sei er, meinten die einen, und daß er Selbstmord begangen habe die anderen. Zwei Journalisten des Schwäbischen Tagblatts in Tübingen machten sich auf die rklärungssuche. In Auszügen veröffentlichen wir das Ergebnis ihrer bisherigen Recherchen.
Von U. Pfeil und T. Keppeler
Als Kiomars Javadi am Mittwoch, dem 19. August, gegen 17 Uhr die Pfannkuch–Supermarkt–Filiale in der Tübinger Karlstraße betrat, war er - nach den bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft - für die Verkäufer kein Unbekannter. Sie glaubten in dem 20jährigen Asylbewerber einen jungen Iraner wiederzuerkennen, den sie am selben Nachmittag schon einmal beim Klauen erwischt und des Ladens verwiesen hatten. Javadi, so sahen es die Verkäufer, lud sich einen Einkaufswagen mit Waren voll, unter anderem Wurst und Fleisch. Damit soll er versucht haben, durch den Hinterausgang zu verschwinden. Eine Verkäuferin sprach ihn an. Javadi aber ließ sich nicht festhalten. Es muß ihm gelungen sein, auf den Hinterhof an der Wöhrdstraße zu entkommen - ohne die Waren. Drei Pfannkuch–Angestellte verfolgten ihn. Er ließ ihn nicht mehr los Im Hinterhof, so sah es ein Augenzeuge, kam es zu einer Rauferei. Einer der drei Verkäufer sprang plötzlich zur Seite, hielt sich die Hand und schrie „Aua, aua“. Der wehklagende Verkäufer lenkte die Aufmerksamkeit des Zeugen - ein knapp fünfzigjähriger Amerikaner - zunächst ab. Als er sich wieder den anderen dreien zuwandte, lag Javadi schon bäuchlings am Boden. Der 18jährige Lehrling hockte oder lag auf seinem Rücken und umklammerte seinen Hals mit einem Arm. Javadi habe zunächst noch versucht, sich mit einem Bein zu wehren. Der andere Pfannkuch–Angestellte, ein 27jähriger, so war von anderer Seite zu hören, habe ihn dann aber an den Beinen festgehalten. Dies alles spielte sich innerhalb von kurzer Zeit ab. Der zufällig vor beigekommene Mann fragt, was denn vorgefallen sei. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, „daß da jemand umgebracht wird“, wurde aus seiner Sicht die Situation kritisch. Zwei, drei Meter von dem am Boden liegenden Iraner und den beiden Verkäufern entfernt, schrie der Mann den Lehrling an: „Mensch, mach keine Dummheiten. Du bringst ihn um! Dafür kommst du ins Gefängnis!“ Der Lehrling hatte sich zu ihm aufgerichtet, habe den Kopf Javadis mit nach oben gezogen und geantwortet: „Den lasse ich nicht mehr los!“ Eine Frau, nach Einschätzung des Zeugen ebenfalls eine Ausländerin, sei dann auf den Lehrling zugegangen und habe direkt eingreifen wollen. Sie sei aber drohend zurückgewiesen worden. Ähnlich erging es ihm selbst, als er den Lehrling noch einmal anschrie. „Halts Maul oder du kriegst eine auf dGosch!“, habe ein inzwischen dazugekommener Pfannkuch–Angestellter ihn oder die eingreifen wollende Frau angefahren. Die Situation sei sehr bedrohlich, die Pfannkuch–Angestellten (inzwischen waren vier oder fünf im Hinterhof) seien äußerst erregt gewesen. Mit seinem Schreien wollte der Mann versuchen, sie zur Besinnung zu bringen. Im laufe der Zeit aber, da ist sich der Zeuge sicher, muß auch den Pfannkuch–Angestellten klargeworden sein, was da vor sich geht. Die Situation nämlich blieb noch etliche Minuten so. Aber weder die Verkäufer, noch andere Umherstehende griffen ein. Unser Informant erinnert sich noch an wenigstens acht bis 15 Beobachter, die auf der Straße oder hinter den Scheiben des Reisebüros Reder standen. Als der Zeuge dann später - von seiner ersten Beobachtung an mag eine gute dreiviertel Stunde vergangen sein - wieder zum Pfannkuch–Hinterhof kam, fuhr gerade ein Notarzt–Wagen weg. Die Polizisten, ein zufällig vorbeigekommener Arzt und der alarmierte Notarzt hatten sich inzwischen vergeblich bemüht, den leblosen Javadi wiederzubeleben. In der Klinik konnte nur noch sein Tod festgestellt werden. Zum Täter ist einer geworden, von dem die, die ihn kennen, sich so etwas zuletzt vorstellen konnten. Und es kennen ihn in Tübingen viele: Er ist hier aufgewach sen, zur Schule gegangen, er hat seine Kumpels unter Gleichaltrigen, im Wohngebiet in der Nordstadt. Bei der Pfannkuch–Kundschaft fiel der Lehrling, der gerade sein erstes Lehrjahr beendet hat, angenehm auf. „A fleißigs Bürschle“ sei der immer gewesen, sagt anerkennend ein Hausmeister der Geschwister–Scholl–Schule, zu dem der Junge einen engeren persönlichen Kontakt geknüpft hatte, den er auch nach der Schulzeit weiterpflegte. „Korrekt“, „eher unproblematisch“, „umgänglich“, „unauffällig“ - solche Charakterisierungen sind sonst an der früheren Schule über ihn zu hören und im Jugendforum, wo er gelegentlicher Gast war. An der Geschwister–Scholl–Schule hat der Tod im Pfannkuch–Hinterhof besonders vehemente und betroffene Gespräche, in den Unterricht hineinreichende Diskussionen und bei Lehrern, die diesen Schüler einmal hatten, auch intensive Gewissenserforschung ausgelöst. Fast war ja der Täter noch einer von ihnen; im Juli vorigen Jahres ging er mit Realschulabschluß ab, aber auch danach ließ er sich gelegentlich noch im Raum der Schülermitverwaltung sehen, um Tischfußball zu spielen. Rund 5.000 Stunden, hat Schuldirektor Wilhelm Goller ausgerechnet, brachte der Junge in sechs Jahren in dieser Schule zu. Könnte da etwas versäumt worden sein, hätte man einen solchen Ausbruch ahnen können, hat es da Hinweise gegeben, Einflüsse, Äußerungen? Was kann eine Schule noch tun, die sich schon nach Kräften um die Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Vergangenheit, um die Problematisierung von Gewalt und Anderssein im Schulalltag bemüht? Die Schüler–Reisen nach Polen veranstaltet, den Namen der Geschwister Scholl auch als programmatische Verpflichtung versteht, die Schüler mit Asylsuchenden beim Volleyballspiel zusammenbringt? „Nazis raus“ steht schon lange in rotem Lack an einem grünen Verteilerkasten am Straßenrand gegenüber der Schule. Besonders vor Wahlen treten in dem Wohngebiet immer wieder Werber von der NPD auf, mit Flugblättern, in denen „Deutschland den Deutschen“ vorbehalten bleiben soll. Vor ein paar Jahren hat es an der Schule auch einmal eine Handvoll rechtsradikaler Jugendlicher gegeben. Die haben einen Jahrgang zu tyrannisieren versucht, die tra ten in grünen Bomberjacken auf (inzwischen, sagt ein Jugendlicher, habe sich das Styling gewandelt, jetzt könnte man sie auch für reine Popper halten), bildeten eine Art Fan–Club für den VfB und trugen Plaketten mit der Aufschrift „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Daß der damalige Schüler zu dieser Clique losen Kontakt hatte (zumal auch er gern zu VfB– Spielen fährt), daß er mit ausländerfeindlicher Propaganda in Berührung kam, ist wahrscheinlich. Aber, heißt es bei Lehrern und Altersgenossen übereinstimmend: Er war keiner von denen, er war auch jünger, und er hatte genauso Bekannte, die sich politisch eher grün und ökolinks orientieren. Vor einiger Zeit sah sich das Jugenforum gezwungen, die Gruppe der rechtsradikalen Jugendlichen, die immer wieder als Störenfriede auftraten, mit einem Hausverbot zu belegen. „Er gehörte mit Sicherheit nicht dazu“, sagt ein Sozialarbeiter. „Er hat eher versucht, mit denen zu argumentieren, und wenn es handgreiflich wurde, hat er sich immer herausgehalten.“ „Das war doch keiner von denen“ Daß er ab und zu auch den einen oder anderen losen Spruch auf der Lippe hatte, in dem über Ausländer hergezogen wird, daß er dem Hausmeister gegenüber schon mal über „Scheiß–Ausländer“ schimpfte, mag jedenfalls in der Schule und im Jufo niemand in einen direkten Zusammenhang mit der Pfannkuch–Tat bringen - das sei über die durchaus verbr so hat, gerade der ein Täter, ein Opfer wird, der noch am vernünftigsten schien“. Nein, der Lehrling sei keiner gewesen, der stumpfsinnig Parolen nachlief, „eher jemand, mit dem man auch über Ausländerfeindlichkeit diskutieren konnte“. Zum Pfannkuch hatte der Junge eine langjährige Beziehung; für diesen Lehrling war die Supermarkt–Kette mehr als ein anonymer Konzern und Lehrbetrieb. Schon als Grundschüler „wuselte er“, wie sich eine Kundin erinnert, „zwischen den Regalen herum“, in der Filiale, in der seine Mutter früher beschäftigt war, die als Alleinerziehende für zwei Kinder zu sorgen hat. Er half da aus, füllte Waren auf - und betätigte sich schon immer auch als Detektiv: Einmal stellte er zwei Mädchen aus der Parallelklasse, die Süßigkeiten hatten mitgehen lassen. War Pfannkuch, wie manche meinen, sein zweites Zuhause? Die zunächst begonnene Ausbildung an einer weiterführenden Fachschule gab er im vergangenen Jahr bald zugunsten der Lehrstelle im Supermarkt auf. „Mit mittlerer Reife und als Mann“, sagt eine ehemalige Pfannkuch–Verkäuferin, hätte er da gute Aufstiegschancen gehabt. „Die werden doch gefördert. Der wäre bestimmt einmal Filialleiter geworden oder Fachberater.“ Daß es ihn stets persönlich wurmte, wenn im Laden geklaut wurde, hat er nicht in sich hineingefressen: Kunden und Bekannte berichten, es habe ihn „immer aufgeregt, wenn etwas gestohlen war“. Daß ihn aber auch die „Kopfprämien“ beeindruckten, die bei Pfannkuch in Tübingen unter der Hand an Angestellte ausgezahlt werden, die Ladendiebe dingfest machen, hat der 18jährige nicht nur einem erzählt. „Diese Kopfprämien, die sind eigentlich schuld“, meint etwa der Schulhausmeister. Sie waren für den Lehrling die Möglichkeit, sein monatliches Entgelt von 575 Mark brutto (laut Tarif; netto rund 350 Mark) aufzubessern. 50 Mark pro ertapptem Dieb gebe es, hat er erst kürzlich in einem Kreis von Jugendlichen auf einer Freizeit berichtet. Und auch ein bißchen angegeben: In einem Monat habe er es schon auf 300 Mark Prämie gebracht. Von seinem Arbeitgeber nach der Tat zunächst für ein paar Tage beurlaubt, wird der Lehrling jetzt in einer auswärtigen Filiale eingesetzt. Ob er und die beiden anderen Tatbeteiligten aus dem Pfannkuch–Personal weiterbeschäftigt werden, ist nach Auskunft der Karlsruher Zentrale noch nicht endgültig entschieden; das hänge auch vom Ergebnis der Gerichtsverhandlung ab.
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