: Der Norden im Trend: Rot–Grün wächst weiter
■ Infas–Wahlanalyse: 3.600 FDP–Wähler verschafften Barschel den Vorsprung / CDU verlor besonders auf dem Land / SPD–Verluste in Lübeck und im Hamburger Umland / Grüne nur in drei Kreisen über fünf Prozent /Spiegel–Enthüllungen hatten kaum Auswirkungen
Bonn (dpa) - Der Wahlausgang in Schleswig–Holstein und Bremen hat nach Aussage der Wahlforscher das Ergebnis gebracht, das sich in den Umfragen abgezeichnet habe. Am Ende sei trotz starker Wählerbewegungen politisch wenig verändert worden, so eine Analyse des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft in Bad Godesberg. Allerdings wiesen die Resultate einige interessante Akzente im Vergleich zu früheren Wahlen auf. Auszüge aus der Wahl–Analyse im Wortlaut: Trotz starker Wählerbewegungen wurde politisch wenig bewegt. Was immer das Sommertheater, das Raketenthema, der Honecker–Besuch und dann die spektakulären Vorkommnisse der letzten Tage und Stunden aufgerührt haben - die Wähler haben am 13. September im wesentlichen die Akzente der vorangegangenen Landtagswahlen vom 17. Mai bestätigt. Die CDU wurde kräftig zur Kasse gebeten, die FDP zog wieder in die Parlamente ein, die Talfahrt der SPD wurde aufgehalten und den Grünen verpaßten die Wähler deutliche Dämpfer. Einige Akzente wurden am 13. September sichtbarer gesetzt als am 17. Mai. So mußte sich in beiden Ländern die CDU mit dem schwächsten Resultat seit den fünfziger Jahren begnügen. Bewegungen fanden diesmal nicht nur innerhalb der beiden politischen „Lager“, sondern auch zwischen ihnen statt. Infolgedessen veränderte sich das Kräfteverhältnis der „Blöcke“: SPD und Grüne zusammen konnten in Schleswig– Holstein rund 2 Punkte, in Bremen sogar 4 Punkte gegenüber der vorigen Wahl zulegen. Der Wahlkampf im hohen Norden war wesentlich spannungsreicher, der Ausgang wesentlich knapper als der Wettstreit an der Weser. Der heftige Schlagabtausch in Kiel am Ende wird Folgen für die Regierungsbildung haben; auf das Wählerverhalten dürfte er sich kaum nachhaltig ausgewirkt haben. Seit mehreren Wahlen sind leichte Verlagerungen der politischen Gewichte von den Parteien der Bonner Koalition zur rot/grünen Opposition zu verzeichnen. Dieser Trend ist deutlich verstärkt worden. SPD und Grüne zusammen liegen jetzt mit 49,1 Prozent klar vor CDU und FDP, wobei allerdings die Fünf– Prozent–Klausel eine rot–grüne Mehrheit im Parlament verhindert hat. Die Koalitionsparteien kamen zusammen auf 47,8 Prozent kamen, weniger also, als die CDU seit den sechziger Jahren bei jeder Landtagswahl für sich allein erzielen konnte. Geringe Wahlbeteiligung schwächte CDU und SPD Rund 3.600 Wähler, die der FDP über die Hürde der fünf Prozent verhalfen, verschafften Uwe Barschel den Vorsprung von einem Mandat und verhinderten einen Machtwechsel in Kiel, so wie ungefähr 1.600 Stimmen ein halbes Jahr zuvor Walter Wallmann in Hessen zur Macht verholfen hatten. Die Wahlbeteiligung lag diesmal um über acht Punkte unter der von 1983, die damals im Sog der eine Woche vorher gelaufenen Bundestagswahl gestanden hatte. Diese größere Enthaltsamkeit ging zu Lasten der beiden großen Parteien. Die Einbußen der Christdemokraten liegen mit 6,4 Prozentpunkten in ihrer Größenordnung nahe bei den Verlusten in Rheinland–Pfalz am 17. Mai (minus 6,8 Punkte). Auch die Wanderungsbilanzen beider Wahlen weisen erstaunliche Parallelen auf: Die drei wichtigsten Ströme der CDU im hohen Norden verlaufen in die Wahlenthaltung (Saldo von 69.000), zur FDP (Saldo von 32.000) und zur SPD (Saldo 23.000). Aber auch das regionale und strukturelle Muster der CDU– Verluste ist mit den Trends in Rheinland–Pfalz nahezu deckungsgleich: Überdurchschnittliche Verluste in den ländlichen Gebieten, relativ geringe Einbußen in den städtischen Wahlkreisen. Die Zone der stärksten CDU– Verluste (mit mehr als acht Prozentpunkten) zieht sich vom nörd lichen Schleswig (Südtondern, Husum, Flensburg–Land) über Rendsburg und Dithmarschen bis Segeberg und Plön. CDU verlor teilweise mehr als zehn Prozent Hier konnte die SPD entsprechend kräftig zulegen. Der politische Protest der Bauern hat in vielen Dörfern der CDU Verluste von teilweise weit über zehn Prozentpunkten zugefügt. In vielen Fällen kam dies der SPD zugute. Die Wahlbeteiligung in diesen Kreisen lag über dem Landesdurchschnitt, die Verärgerung schlug sich nicht in Stimmenthaltungen nieder, anders als etwa in Bayern. In den meisten dieser Wahlkreise konnte auch die Unabhängige Wählergemeinschaft (UWSH) mit Werten zwischen zwei und vier Prozent die CDU in zusätzliche Bedrängnis bringen. In keinem einzigen Wahlkreis lag das CDU–Ergebnis über 50 Prozent. Nur in 16 der 44 Wahlkreise wurde sie diesmal stärkste Partei, 28 fielen an die Sozialdemokraten; 1983 war das Verhältnis noch 34 zu 10 gewesen, es wechselten also 18 Wahlkreise von der CDU zur SPD. Auf der anderen Seite hielten sich die Verluste der CDU in den Hamburger Umlandkreisen sowie in der Stadt Lübeck in Grenzen (3,9 beziehungsweise 3,6 Punkte). In diesen städtischen Gebieten mußte sich die SPD mit ihrem Stimmenanteil von 1983 begnügen oder sogar, wie in Lübeck, leichte Verluste einstecken. In Kiel dagegen lag der SPD–Gewinn mit zwei Punkten über dem Durchschnitt. Die Stimmenverlagerungen von der CDU zur SPD folgen also einem Muster, das vor allem von Stadt–Land–Unterschieden, aber auch einem leichten Nord– Süd–Gefälle geprägt ist. Die FDP hat in allen 44 Wahlkreisen ziemlich gleichmäßig zugelegt und in insgesamt 25 Wahlkreisen die Fünf–Prozent– Schwelle überschreiten können. Die Grünen dagegen konnten nur in Kiel sowie in Lübeck–Mitte und Südtondern mehr als fünf Prozent verbuchen. Im Hamburger Umland ging ihr Anteil gegenüber 1983 sogar zurück. Mehr Stimmen als seit Jahren hat der Südschleswigsche Wählerverband errungen. Mit seinen 1,5 Prozentpunkten hat er den Stammplatz im Parlament verteidigen können. Die Partei der dänischen Minderheit fällt nicht unter die Fünf–Prozent–Klausel. Der SSW hat, weil er der CDU/FDP– Koalition seine Gunst beweisen oder entziehen - und damit ein Patt bewirken - kann, mehr Einfluß als je zuvor.
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