Parolen ohne Argumentationskraft

■ Spontane Proteste gegen den Wahlerfolg der DVU / Eine Besonderheit des Bremer Wahlrechts ermöglichte der rechtsradikalen DVU, mit nur 3.700 Stimmen in Bremerhaven einen Sitz in der Bremer Bürgerschaft zu erringen

„Das ist absolut bedauerlich. Das haben wir der Nordsee–Zeitung zu verdanken.“ Die erste Reaktion des Bremerhavener SPD–Spitzenkandidaten Christian Bruns über das gute Abschneiden der rechtsradikalen DVU (Deutsche Volksunion) - Liste D war am Morgen nach der Wahl in eben der Nordsee– Zeitung nachzulesen, die monatelang großformatige Anzeigen der DVU abgedruckt hatte - Überschrift: „Über das Abschneiden der Liste D waren alle erschüttert“. Bis zu fünf Anzeigen täglich veröffentlichte die Bremerhavener Monopolzeitung in der letzten Woche vor der Wahl, in der Gestaltung zum Teil den redaktionellen Beiträgen täuschend ähnlich. Zum ersten Mal seit 1971 ist mit dem Bremerhavener DVU–Erfolg wieder eine rechtsradikale Partei mit einem Abgeordneten in einem Landesparlament vertreten. Denn in Bremen reicht das Überspringen der 5–Prozent–Marke in einer der beiden Städte des Landes, um ein Mandat zu bekommen. Ganze 3.700 Stimmen brauchte die DVU, um in Bremerhaven 5,3 Prozent zu erreichen. Neben ihrem Bürgerschaftsmandat hat sie damit auch zwei Sitze in der Stadtverordneten–Ver sammlung errungen. Landesweit kam sie auf 3,4 Prozent. Noch in der Wahlnacht gab es die erste spontane Demonstration gegen den rechtsradikalen Erfolg. Ebenfalls kurzentschlossen schwänzten gestern vormittag ca. hundert SchülerInnen den Unterricht und demonstrierten Richtung Bürgerschaft. Drei Gründe für den Erfolg der Verbindung aus NPD und dem Kapital des Münchener Nationalzeitungs–Herausgebers Gerhard Frey nennt Albrecht Willer, Mitinitiator des Bremerhavener „Antifaschistischen Arbeitskreises“. Neben der Anzeigenkampagne der Nordsee–Zeitung und der Zurückhaltung von SPD und Gewerkschaften beklagt er auch einen eigenen Fehler: „Unsere Parolen hatten nicht genug Argumentationskraft. Wir haben es auf der moralischen Ebene versucht und haben damit ein Tor geöffnet, durch das die DVU nun einmarschiert ist.“ Die Wahlergebnisse zeigen, daß die DVU–Hochburgen in den Stadtteilen mit dem höchsten Anteil ausländischer Bevölkerung liegen. Mit ihrer Parole „Deutsche wählen deutsch“ habe die DVU das latent rassistische Potential erreicht. Allerdings sind die DVU–Ergebnisse relativ gleichmäßig über die gesamte Stadt und sogar über das ganze Bundesland verteilt. In Bremerhaven schwanken sie in einzelnen Wahlbezirken nur zwischen 3,8 und 5,6 Prozent. Die „Republikaner“, die mit drei CDU–Überläufern in der Bürgerschaft vertreten waren, blieben dagegen in beiden Städten unter zwei Prozent. „Die DVU hat ihnen mit den Ausländer–raus–Parolen die Butter vom Brot genommen“, meint Willer. Und dies, obwohl die DVU bis heute keine Adresse im Land Bremen hat. Sogar am Morgen nach der Wahl verwies der künftige Bürgerschaftsabgeordnete Hans Altermann bei allen Anfragen auf die Münchener Parteizentrale im Verlagshaus der Nationalzeitung. „Den Straßenwahlkampf der DVU haben wir verhindert, aber gegen das Eindringen in die Wohnungen hatten wir keine Chance“, meint Albrecht Willer. Über zwei Millionen Mark - mehr als alle anderen Parteien zusammen - hat die DVU in den Bremer Wahlkampf investiert. Ein Dutzend Briefe verteilte die Post an alle Haushalte im Land, ständig kreisten Werbeflugzeuge, und für jede übermalte oder überklebte Plakatwand mietete die DVU zwei neue. 65.000 Mark bekommt die DVU nun als Wahlkampfkostenerstattung zurück. Dirk Asendorpf