: Grüne und Union voll in der Flaute
■ Patt an Kieler Förde / Grüne unter fünf Prozent / Triumph für SPD in Kiel - Absolute Mehrheit in Bremen
Nach der Infas–Analyse liegt der Wahlausgang in Bremen und Kiel im Trend der letzten Landtagswahlen. Die CDU verliert kräftig, die Grünen in weiten Bereichen auch, die SPD ist stabil oder kann sich steigern, die FDP zieht wieder in die Parlamente ein (siehe Seite 5). Ein Novum: In Bremen ist die Liste des Herausgebers der National–Zeitung, die DVU, mit einem Abgeordneten vertreten. 3.700 Stimmen in Bremerhaven verhalfen der DVU zu einem Sitz in der Bürgerschaft.
„Björn, Björn“ skandierten gegen 22.00 Uhr tausend begeisterte meist jugendliche SPD–Anhänger immer wieder. Immer wenn Progressives, vom Ausstieg bis zum Ausländerwahlrecht, beschworen wurde, stieg die Stimmung. Schleswig–Holsteins Sozialdemokratie feierte sich als Wahlsiegerin und linke Massenpartei. In der Tat war der Wahlsieg der Sozialdemokratie im nördlichsten Bundesland gleich in mehrfacher Hinsicht frappierend. Zum ersten mal seit 30 Jahren wurden die Sozis als explizit linker Landesverband im als „CDU–Schleswig– Holstein“ verschrieenen nördlichsten Bundesland stärkste Fraktion. Dabei ist nicht so sehr der eher bescheidene Prozentzuwachs von 1,5 auf 45,2 Prozent bedeutend, sondern vielmehr die Erringung von 39 der 44 Direktmandate. Im letzten Landtagswahlkampf schaffte die SPD nur elf. Damit sind die Sozialdemokraten unbestritten führende politische Kraft des Landes. Gleichzeitig - und das wirkt ebenso schwer - gelang den Nordsozis die politische Ausschaltung der Konkurrenz Grüne. Auf den entscheidenden Feldern Ausstiegspolitik, liberale Innenpolitik und im diffusen Bereich „Reformen gegen die Schwarzen“ konnten die Sozialdemokraten die Grünen mit 3,9 Prozent erheblich unter die Fünf–Prozent–Marke drücken. Und zwar ohne einen ausgewiesenen Wahlkampf a la Lafontaine oder Rau gegen die Grünen. Nach diesem Disaster konnte sich Björn Engholm in der ersten Pressekonferenz nach der Wahl sogar generös geben. „Wir wollen keinen Vernichtungsfeldzug gegen die Grünen.“ Das Ergebnis: Ein selten günstiges Sitze– und Politpatt für die SPD. Ihre 36 Sitze können CDU (33 Sitze) und FDP (4 Sitze) gerade mit einem Sitz parieren und auch der ist äußerst wackelig, denn der „Südschleswigsche Wählerverband“ - ursprünglich die Partei der dänischen Minderheit, nunmehr eine stark Reformorientierte Regionalpartei für den unterbelichteten nördlichen Landesteil - ist wiederum mit einem Sitz im Landesparlament an der Kieler Förde vertreten. Zwar hat der SSW–Vorsitzende Karl Otto Meyer noch am Wahlabend erklärt, er wolle das Land nicht dadurch unregierbar machen, daß er sich mehr oder weniger zur SPD zuzähle, es gebe aber auch keine Regierung von SSWs Gnaden. Zu bestimmten Bedingungen könne er durchaus mit einer CDU/FDP– Regierung zusammenarbeiten, aber die Reformvorlieben der agilen Ein–Mann–Fraktion in Richtung Sozialdemokratie sind bekannt und haben dem Noch–Regierungschef Barschel auch in der Vergangenheit schon einige Kopfschmerzen bereitet. Und an diesem Punkt gewinnt die jetzt erst hochkochende Affäre Barschel brisante Bedeutung. Zwar hat der FDP–Vorsitzende Wolf–Dieter Zumpfort auf seiner ersten Nachwahlpressekonferenz schon durchblicken lassen, daß er von der Unschuld Barschels im „Waterkantgate–Skandal“ überzeugt ist und daher die Koalitionsverhandlungen noch vor Abschluß des Untersuchungsausschusses aufnehmen will, doch dieses Spiel wird Karl–Otto Meyer weder vom politischen Temperament noch von seinen Forderungen her mitspielen. Und damit wäre - wenn sich die Spiegel– Behauptungen über den Nord–Mini–Nixon bestätigen würden - die Unregierbarkeit hergestellt. Niemand weiß das besser als Björn Engholm. Noch am Wahlabend deutete er selbst vorsichtig Neuwahlen an. Im SPD–Festzelt hörte sich das gleich viel konkreter an. Beinahe–Kultusministerin Eva Rühmkorff brachte das unter orkanartigem Beifall auf den Punkt. „So, Genossinnen und Genossen, ruht Euch nun eine Woche aus, das habt ihr verdient. Und dann gehts an die Vorbereitungen der Neuwahlen, und diesmal gewinnen wir.“ Ein tausendfaches „Gleich anfangen, gleich anfangen“, scholl ihr entgegen. Die längsten Gesichter gab es außer bei den erstarrten Christdemokraten bei den Nord–Grünen. Der optimistisch bereitgestellte Sekt wurde schließlich als Betäubungstrunk heruntergeschüttet, um die Wahlniederlage erträglich zu machen. Zwar haben die Grünen gegenüber der letzten Landtagswahl 0,3 Prozent hinzugewonnen, daß Klassenziel „Sprung über die Fünf–Prozent–Hürde“ jedoch verfehlt. Gegenüber den acht Prozent der Bundestagswahl war das ein Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Und das, obwohl die Wahlbeteiligung gesunken war. In absoluten Stimmen gemessen wird das Ausmaß der Katastrophe erst richtig deutlich. Gegenüber der Bundestagswahl verloren die Nord–Ökos 75.735 WählerInnen. Im Hamburger Speckgürtel - einst WählerInnenhochburg und einziger Garant, über fünf Prozent zu kommen - wirkte sich das am deutlichsten aus. 18.802 WählerInnen wandelten das populäre „AKW, Nein Danke“ in ein „Grüne, Nein Danke“ ab. Ein durchgehender Verlust von 50 Prozent und darüber. Nicht nur für die Nord–Grünen, auch für die politischen Beobachter beinahe jeglicher Couleur war der Schuldige schnell gefunden: Hamburgs GAL und ihre fundamentalistischen Querelen, denen Schleswig–Holsteins Grüne lediglich ein Tolerierungskonzept einer Regierung Engholm entgegensetzen konnten. Und das, wo Bremens Grüne mit einer eindeutigen Koalitionsaussage für die SPD sich einigermaßen gehalten haben. Thomas Janssen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen