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Krisenstimmung bei Schuldenmanagern

■ Vor der Weltwährungstagung in Washington / Mit der Forderung nach Teilerlaß der Auslandsschulden hat Brasiliens Finanzminister die herrschende Schuldenpolitik in Frage gestellt / Auch die Cartagena–Gruppe fordert eine radikale Kürzung des Schuldendienstes / Situation Lateinamerikas heute dramatischer als 1982

Von Gabriela Simon

Es gibt Forderungen, die sich durchsetzen lassen, Forderungen, mit denen man scheitert, und es gibt Forderungen, die etwas in Bewegung setzen, unabhängig davon, ob sie kurzfristig zum Erfolg führen oder nicht. Der Umschuldungsplan, den der brasilianische Finanzminister Bresser Pereira Anfang dieses Monats der internationalen Öffentlichkeit präsentierte, gehört zur dritten Kategorie. Fünf Tage lang hat Brasilien seine Gläubiger mit der Erklärung in Atem gehalten, in den anstehenden Umschuldungsverhandlungen auf einem teilweisen Erlaß seiner insgesamt 113 Milliarden Dollar Auslandsschulden zu bestehen. Dann: ein knappes, aber unmißverständliches „Nein“ des US–Finanzministers Baker, und der Kollege aus dem US–amerikanischen Hinterhof ließ sein sorgfältig ausgearbeitetes Konzept wieder in der Schublade verschwinden. Eine glatte Niederlage? Den betroffenen internationalen Finanzgiganten scheint der Schrecken nachhaltiger in die Glieder gefahren zu sein. Von „Hiobsnachrichten“ weiß das Handelsblatt nun plötzlich zu berichten, „Tiefschläge für die Banken“ werden ausgemacht, und die „offene Flanke Lateinamerika“ an der Schuldenfront geortet. Kurz vor der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank Ende September in Washington breite sich eine umfassende „Krisenstimmung“ aus, komplette „Ratlosigkeit der in Lateinamerika exponierten Banker“ wird konstatiert. Was also ist so brisant an den neuen Forderungen Brasiliens? Bresser Pereira hatte vorgeschlagen, rund 35 Milliarden Dollar brasilianischer Bankschulden mit einem Abschlag von 30 Prozent in festverzinsliche Anleihen des brasilianischen Staates umzuwandeln. Für die Bedienung dieses Teils der Schulden hätte Brasilien dann eine „absolute Garantie“ übernommen. Die restlichen Schulden wären wie bisher in Form von Bankkrediten weitergelaufen. Auf den ersten Blick scheint das für die Gläubiger eher verlockend zu sein: Die versprochene Zahlungsgarantie für die Staatsanleihen wäre angesichts des jetzt schon weit über einem halben Jahr andauernden Zinsstreiks Brasiliens und der faktischen oder drohenden Zahlungsunfähigkeit einer Reihe weiterer lateinamerikanischen Schuldner ein durchaus attraktives Angebot gewesen. Die Banken hätten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen, dafür aber den Rest ihrer Schäfchen im Trockenen gehabt. Auf diese Rechnung wollten sich die internationalen Finanzbosse jedoch gar nicht erst einlassen: „Unsinnig“, „indiskutabel“ war der Tenor der allgemein barschen Reaktionen, „niemals“, so die einhellige Meinung, werde man über eine solche Forderung auch nur verhandeln. In den fünf Jahren seit Beginn der Schuldenkrise war es den Gläubigern gelungen, die Forderung nach einem geregelten Schuldenerlaß zu tabuisieren. Und an diesem Tabu wird nun kräftig gerüttelt. Brasilien steht mit seinem Vorstoß nämlich nicht allein. Knapp eine Woche vor dem brasilianischen Finanzminister hatte die Cartagena–Gruppe, ein Zusammenschluß von elf lateinamerikanischen Schuldnerländern, die Öffentlichkeit mit einer ähnlichen Forderung überrascht: Die Zinsberechnung für die Auslandsschulden, so ihr Vorschlag, solle sich nicht mehr am Nennwert, sondern am Marktwert der Schuldentitel orientieren. Die Botschaft des Marktes Was oberflächlich wie eine bloße Berechnungsvariante aussieht, wäre - in die Tat umgesetzt - ein radikaler Schnitt in der Bewertung der Auslandsschulden der Dritten Welt. Der Marktwert liegt bei den Schulden Perus beispielsweise bei 20 Prozent des Nennwertes, im Falle Brasiliens sind es 55 Prozent, bei Argentinien 50 Prozent. Im Durchschnitt würde so der Wert der Forderungen (und damit auch der Schuldendienst) auf etwa die Hälfte reduziert. Diese weitgehende Forderung des Schuldner–Forums dürfte zur Krisenstimmung der Banker nicht unerheblich beigetragen haben. Die Cartagena–Gruppe, in der alle großen lateinamerikanischen Schuldner vertreten sind, ist einer der Hauptakteure in der Schuldenpolitik. Von ihr hängt es ab, wie weit die Aktionen einzelner Länder Unterstützung finden, wie weit die Solidarität der Schuldner Lateinamerikas reicht. Und bislang hatten es die Banken hier mit einem Kontrahenten zu tun, der sich streng an die von ihnen gesetzten Spielregeln hielt. Damit scheint es jetzt vorbei zu sein. Nach jahrelangen mühevollen Verhandlungen über Zinssätze und Zahlungskonditionen fordern Lateinamerikas Großschuldner heute erstmals deutlich spürbare Entlastungen beim Schuldendienst, denen eine partielle Entwertung der Forderungen - gemessen an ihrem aktuellen Marktwert - zugrundeliegen soll. Paradoxerweise waren es die Banken selbst, die diesen Marktwert produziert haben, indem sie Forderungen gegenüber Schuldnerländern mit einem gehörigen Abschlag gegen Bares Dritten zum Verkauf anboten. (Käufer im Rahmen dieses „debt equity swaps“ sind in der Regel Unternehmen, die in den Schuldnerländern Direktinvestitionen vornehmen wollten und sich die Forderungen in der entsprechenden Landeswährung auszahlen lassen.) Auf dem so entstandenen „Second– Hand–Markt“ für dubisoe Forderungen setzte sich faktisch die Entwertung der Dritte–Welt–Schulden durch, in deren Genuß die Schuldnerländer nun kommen wollen. Der brasilianische Finanzminister kann sich also völlig zurecht auf die „Botschaft der Märkte“ berufen, um seine Forderung nach einem Schuldenerlaß zu begründen: „Die Märkte sind der Meinung“, so Bresser Pereira, „daß die Auslandsschulden der Dritten Welt nicht mehr als 100 , 50 oder gar nur noch 10 Neue Phase in der Schuldenpolitik Noch vor einem halben Jahr schien es voreilig, angesichts des Brasilien–Moratoriums von einer neuen Phase in der Schuldenkrise zu sprechen. Zwar hatte der größte Schuldner der Dritten Welt seine Zinszahlungen bis auf weiteres eingestellt, er erschien aber zugleich isoliert, in die Defensive gedrängt und den Sanktionsdrohungen der vereinten Finanzmafia hilflos ausgeliefert. Sechs Monate verzweifelten Taktierens der brasilianischen Regierung sind seitdem vergangen - der als „Banken–Schreck“ in die Geschichte eingegangene Finanzminister Dilson Funaro wurde abgelöst, sein Nachfolger qualifizierte sich durch eine schonungslose wirtschaftspolitische Wende für die Verhandlungen mit den Gläubigern, brutale Lohnsenkungen im Innern sind zur Kehrseite der nach wie vor harten Haltung nach außen geworden. Aber die Zeit scheint dennoch nicht im Sinne der Gläubiger Ausbruch der Schuldenkrise im August 1982 „sind die Indikatoren der Verschuldung Lateinamerikas heute ebenso ungünstig, oder gar noch schlechter als zu Beginn der Krise“ - zu diesem Schluß kommt eine kürzlich vorgelegte Studie von GEPAL, der UNO– Wirtschaftskommission für La teinamerika. Fünf Jahre, in denen der Subkontinnent 130 Milliarden Dollar Zinsen gezahlt hat, die von endlosen Umschuldungen, der Bevormundung durch den IWF und wirtschaftspolitischen Roßkuren beherrscht waren, und an deren Ende eine Steigerung der Gesamtschuld von 300 auf 400 Milliarden Dollar steht. Für die zehn größten Schuldnerländer ist das Verhältnis der gesamten Schulden zu den Exporterlösen pro Jahr - der zentrale Indikator für die Zahlungsfähigkeit eines Schuldnerlandes - von 264 Prozent im Jahre 1982 auf inzwischen 385 Prozent geklettert; ihre Schulden sind also heute fast viermal so hoch wie die gesamten jährlichen Exporterlöse. Neue Strategien sind schon allein deshalb für die Dritte Welt unverzichtbar. Aber auch das Washingtoner Institute of International Finance, in dem sich die wichtigsten Gläubigerbanken zusammengefunden haben, spricht von einer „neuen Phase“. Etwas hat sich verändert auf dem Terrain der internationalen Schuldenkrise, etwas Grundlegendes; und für diesen Wandel gibt es ein Datum: den 19. Mai dieses Jahres. An diesem Tag - drei Monate waren seit Beginn des Brasilien–Moratoriums vergangen und die Zinsen des Schuldengiganten würden, das war klar geworden, auf der Verlustseite zu verbuchen sein - holte die Citibank als größte US– Bank zum Gegenschlag aus: in einer spektakulären Aktion stockte sie ihre Wertberichtigungen für „Problemkredite“ der Dritten Welt auf fünf Milliarden Dollar auf. Die Bilanzen sind seither in der Weise geändert, daß die Nichtrückzahlung eines großen Teils der Kredite bereits einkalkuliert ist. Andere Institute zogen nach. Der Preis für diese als „Befreiungsschlag“ an der Schuldenfront gefeierte Aktion: die Chase Manhattan fuhr daraufhin einen der größten Verluste in ihrer Geschichte ein, mehrere US–Banken rutschten in die roten Zahlen, andere büßten einen guten Teil ihres Quartalgewinns ein. Die Schuldnerländer reagierten auf diesen grundlegenden Strategiewandel der US–Banken zuerst erleichtert, dann aber erschrocken: erleichtert, weil die aufgestockten Reserven auch einen Teilverzicht auf die Forderungen ohne weiteres finanzierbar machen würden. Erschrocken, weil sich bald herausstellte, daß die Banken weniger denn je daran denken, den Schuldnern etwas zu erlassen. Als „Trugschluß, mit dem rechtzeitig aufgeräumt werden muß“, bezeichnete Werner Blessing vom Vorstand der Deutschen Bank solche Hoffnungen. Die US–Banken wollten mit dieser kostspieligen Aktion ihre Manövrierfähigkeit gegenüber aufmüpfigen Schuldnerländern erhöhen, sich durch mögliche Zahlungsstopps weniger verletzbar machen. Banken in der Sackgasse Tatsächlich haben sich die US– Banken aber in eine Sackgasse manövriert. Nach der Aufstockung der Wertberichtigungspolster in Milliardenhöhe sind die Kosten der konventionellen Schuldenpolitik untragbar geworden. „Lateinamerika hat keine Aussichten mehr, neue Kredite zu erhalten“, hatte der Chef der Citibank John Reed Anfang August in aller Deutlichkeit erklärt. Aber ohne neue Kredite gibt es auch keine Umschuldungen, und ohne Umschuldungen keinen Anreiz für die Schuldnerländer, den Schuldendienst zu leisten. Die herrschende Schuldenpolitik, die die Zahlungsunfähigkeit der Dritten Welt mit immer neuen Krediten verwaltete und sie dadurch auch bei der Stange hielt, ist endgültig an eine Grenze gestoßen. Für die Schuldner droht der „Befreiungsschlag“ der US–Banken nun daruaf hinauszulaufen, noch stärker als bisher zu Netto– Zahlern zu werden, da für die Finanzierung der wachsenden Schuldendienstbelastung kaum noch Neukredite zur Verfügung stehen werden. Es sei denn, sie entscheiden sich für die Empfehlung Bresser Pereiras, „dafür zu sorgen, daß die fälligen Zinsen im Land bleiben, weil die Wirtschaft mit den bisherigen Ressourcentransfers für den Schuldendienst nicht mehr auf die Beine kommen kann“. Brasilien jedenfalls hat nun guten Grund, bei der Suche nach Verbündeten im Zinsstreik neue Chancen zu wittern. Mit ihrer spektakulären Wertberichtigungsaktion haben die US–Banken den Marktwert der Dritte–Welt–Schulden auch als interne Kalkulationsgrundlage anerkannt. Er ist damit unwiderruflich zur Orientierungsgröße jeder realistischen Schuldenpolitik geworden. Nicht zufällig sah der abgeschmetterte Umschuldungsplan der Brasilianer einen Erlaß von 30 Prozent vor: das entspricht in etwa den von den US–Banken für Brasilien–Kredite gebildeten Wertberichtigungen. So urteilt denn auch das Handelsblatt, daß den Brasilianern „der Zahn einer sehr weitgehenden Umschuldungsaktion der bestehenden Kredite mit erheblichen Abschlägen nicht gezogen worden zu sein scheint“. Das aktuelle Szenario an der Schuldenfront dürfte ihnen eher Auftrieb geben: die zusehends kritisch werdende Situation in den meisten lateinamerikanischen Schuldnerländern, die weitgehenden Forderungen der Cartagena–Gruppe, und - jüngste Schreckensmeldung für die geplanten Finanzbosse - die plötzliche Radikalisierung des bisherigen Musterknaben des IWF, des argentinischen Präsidenten Raul Alfonsin (siehe Kasten). Wie weit die Bereitschaft der lateinamerikanischen Regierungen zur wirksamen Rebellion allerdings wirklich geht, das wird sich in den kommenden Wochen zeigen: auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank, und während der (ebenfalls Ende September beginnenden) Umschuldungsverhandlungen mit Brasilien, in denen sich die Zukunft der herrschenden Schuldenpolitik entscheiden wird.

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