Beiruter Verhältnisse im Alltag am Golf

■ Nach der Flucht der Hälfte aller Einwohner Basras improvisieren die Übriggebliebenen unter Artilleriefeuer / Das Leben hat sich auf Altstadt und Armenviertel am Stadtrand zurückgezogen / Seit der jüngsten iranischen Offensive beginnt die Stadt mit Verteidigungsmaßnahmen

Basra (afp) - Mit seinem Tablett, auf dem die große chinesische Thermoskanne inmitten von winzigen Gläsern steht, geht der Teeverkäufer an den wenigen Menschen vorbei, die ihre Besorgungen in den noch offenen Läden der Altstadt von Basra machen. Träge schauen ihm die Männer, die auf den hölzernen Bänken der Cafes ihre Wasserpfeife rauchen, nach. In der Ferne hört man einen dumpfen Knall, dem niemand Beachtung schenkt. In regelmäßigen Abständen schießen die irakischen Kanonen aus dem Palmenhain, einige Kilometer östlich der Stadt. Da in Basra - 1980 mit einer Million Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Iraks - Anfang der Woche noch Ruhe herrschte, konnte die Bevölkerung zu einem fast normalen Leben zurückkehren. „Gerüchte wollten wissen, die Bombardierungen würden drei Tage lang eingestellt. Das hat das iranische Radio auf Arabisch angekündigt“, erklärt mit einem Augenzwinkern ein junger Iraker. Aussichten, die sich nicht bewahrheiten sollten, da am Dienstag erneut iranisches Artilleriefeuer auf Wohngebiete in Basra niederging. Nach jüngsten Berichten fielen ihm neun Menschen zum Opfer. Die Straßen sind mit Trümmern übersät. Alle Gebäude und Häuser sind durch Granateneinschläge beschädigt, aber nur wenige sind völlig zerstört. In den nahezu verlassenen Stadtvierteln am Fluß, dem Schatt el–Arab, sieht man nur wenige Menschen auf der Straße, nur vereinzelt fahren Autos. Die große Hafenstadt im Süden des Iraks war Ziel aller großen iranischen Offensiven seit Kriegsbeginn. Entvölkerung der Stadt Seit dem 9. Januar haben die Angriffe dramatische Ausmaße angenommen: 50 Tage lang stand die Stadt ununterbrochen unter Beschuß. Aus mehr als zwei Dritteln der Stadt mußte die Bevölkerung in die Armenviertel am Stadtrand oder in den Norden des Landes fliehen. Nach Ansicht von Diplomaten in Bagdad leben heute weniger als 500.000 Menschen in Basra. In den verlassenen Häusern, aus denen die Gardinen durch die zersprungenen Fensterscheiben wehen, hausen Rudel abgemagerter Hunde. Seit der Iran im April die Angriffe eingestellt hatte, begann sich das Leben in der Stadt wieder zu normalisieren, einige Bewohner kehrten in die Stadt zurück. Der Beschuß setzte jedoch Ende August wieder ein, nachdem die irakische Luftwaffe ihre Bombardements im Iran und im Golf wiederaufgenommen hatte. Bankcheques hinter Sandsäcken Um die öffentlichen Gebäude wurden Sandsäcke aufgeschichtet, hinter denen das Leben weitergeht. So ist die hinter einer Mauer aus Sandsäcken völlig versteckte Zweigstelle der Rafidain–Bank geöffnet. Auf dem Platz, auf dem die von Präsident Saddam Hussein gestiftete, durch eine Rakete beschädigte Moschee steht, haben es sich einige Unerschrockene bequem gemacht. Diese zumeist älteren Menschen wollen ihre Einfamilienhäuser in der Nähe des Flusses - der gefährdetsten Zone - nicht verlassen und sind bereit, „ihre Stadt“ gegen den „iranischen Eindringling“ zu verteidigen. „Einige Nächte vor etwa zehn Tagen waren wirklich schlimm, die Explosionen folgten Schlag auf Schlag“, berichten drei jugoslawische Techniker in der Altstadt. Sie leben auf einer Baustelle etwa zehn Kilometer von Basra entfernt und nutzen die vorübergehende Feuerpause zu einem Gang durch das Stadtzentrum. In drei Tagen schlugen nach Angaben der Behörden in Basra 1.500 Granaten ein. Im größten Krankenhaus der Stadt wurden an einem einzigen Tag zwölf Tote und 72 Verletzte gezählt, erklärt der Chefarzt des Krankenhauses, Doktor Alaa Mansuri, vor Journalisten. Seit Ende August seien etwa 300 oft schwer verwundete Zivilisten ins Krankenhaus eingeliefert worden, darunter ein siebenjähriger Junge, der sein Leben lang gelähmt bleiben wird. Er wurde verletzt, als er in der vergangenen Woche vor dem Haus spielte. Die Stadt ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Aber trotzdem wollen viele Menschen den Ort nicht verlassen. „Hier ist unser ganzes Hab und Gut, unser Geld, unsere Wohnung, und wohin sollen wir gehen“, sagt einer von ihnen. Brückenbau und Stellungsverstärkung Das Flußufer ist militärisches Sperrgebiet. Mittlerweile haben die Soldaten eine neue schwimmende Brücke zwischen den verrosteten Wracks der seit den ersten Kriegsstunden im September 1980 zerstörten Schiffe errichtet. Neue Stellungen wurden am Ufer ausgebaut und Eisen– oder Betonpfeiler in das Wasser eingelassen, um eine Landung der Iraner zu verhindern. In der Stadt selbst sind bisher kaum Maßnahmen zur Verteidigung ergriffen worden. Erst kürzlich wurden an allen Kreuzungen Unterstände aus Sandsäcken errichtet, in denen ältere Reservisten liegen. Zum ersten Mal wurden damit Militäreinheiten in die Stadt selbst verlegt. Die eigentlichen Verteidigungslinien befinden sich etwa zwölf Kilometer von Basra entfernt. Pierre Taillefer