: Rechtsunsicherheit nach Barschel
■ Unter Umständen muß der zurückgetretene Ministerpräsident im Amt bleiben, damit der Landtag aufgelöst werden kann / Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg spielt jetzt Feuerwehr in Kiel
Aus Kiel Jörg Feldner
Möglicherweise hängt es in erster Linie vom Hausarzt des schleswig–holsteinischen Ministerpräsidenten Barschel ab, ob sein Rücktritt und die Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Stellvertreter, Bundesratsminister Henning Schwarz, überhaupt wirksam werden kann. Vielleicht muß Barschel sich krankschreiben lassen, um formell im Amt zu bleiben und gleichzeitig die laufenden Sachen an Schwarz übergeben zu können. Ob es so kommt, diskutieren Verfassungsrechtler wie der Kieler Professor Schmidt–Jortzig (FDP) und unberufene Meinungsbildner wie der CDU–Politologe Prof. Kaltefleiter seit Freitag. Barschel selbst könnte es vielleicht klären, denn er hat zusammen mit dem heutigen Chef der Privatfunk–Aufsichtsbehörde, Gebel, den maßgeblichen Kommentar zur Landessatzung geschrieben. Barschel schweigt, Gebel und Kaltefleiter meinen: Die Auflösung des Landtags wäre ein „Schritt von Bedeutung“, den nur ein echt amtierender Ministerpräsident tun dürfe, nicht jedoch ein lediglich geschäftsführender Regierungschef. Der Weg zu Neuwahlen führt über eine Auflösung des Landtags. Den kann nach der Landesverfassung nur „der Ministerpräsident“ auflösen - nach einer verlorenen Vertrauensfrage - oder er kann sich selbst „auf Antrag des Ministerpräsidenten“ auflösen. Nun muß mit dem Rücktritt des Ministerpräsidenten automatisch „die gesamte Landesregierung zurücktreten“ (Artikel 21); sie darf die Geschäfte weiterführen, aber eben keine Schritte „von Bedeutung“ tun. Wenn es stimmt, daß nur Barschel oder ein neuer ordentlicher Ministerpräsident - und noch scheint kein Kandidat gewillt, sich nur zu diesem Zwecke für einen Tag wählen zu lassen - den Landtag auflösen kann, dann müßte Barschel sich krank schreiben lassen, um nichts mehr mit dem Amt zu tun zu haben und gleichzeitig formell im Amt bleiben zu können. So etwas könnten „die Väter der Verfassung“ nicht gewollt haben, meint Jurist Schmidt–Jortzig. Die Vernunft gebiete es, die Landesverfassung so auszulegen, daß der Auslösungsauftrag auch von einem zurückgetretenen Barschel gestellt werden dürfe. Stoltenberg in Kiel Der schleswig–holsteinische CDU–Landesvorsitzende, Bundesfinanzminister Stoltenberg, ist Montag mittag in Kiel eingetroffen. Stoltenberg hatte die Tagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Washington vorzeitig verlassen, um sich an der Weichenstellung für eine Regierungsbildung unter CDU–Führung zu beteiligen. Die Aufforderung Björn Engholms (SPD) an die FDP zusammen mit ihm eine Koalition einzugehen, ist nach Worten von CDU– Generalsekretär Geißler „die Aufforderung, den Wähler zu betrügen“. Der Regierungsauftrag des Wählers sei an die CDU und die FDP gegangen. CDU und FDP hätten die Mehrheit, sagte Geißler. K.O. Meyer vom SSU habe die Aufgabe, die Rechte der deutsch– dänischen Minderheit zu vertreten und „nicht den Ministerpräsidenten und das Schicksal dieses Landes zu bestimmen“.
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