piwik no script img

Trommelwirbel - Stillgestanden - Weggetreten

■ Großer Zapfenstreich im Aachener Reiterstadion: Vor 3.000 geladenen Gästen wurde Viersternegeneral Leopold Chalupa, der deutsche Offizier mit dem höchsten Kommandoposten, verabschiedet / Peinliche Patzer bei der Planung

Aus Aachen Bernd Müllender

Da kommen sie. Zackig. Im Gleichschritt. Roboterhaft exakt. Hunderte mit Glanzstahl behelmte Fackelträger, dann Spielmannszüge, ebenso befackelt, das Wachbataillon der Bundeswehr. Sie stapfen, tam, tam, tam, durch die pechschwarze Nacht. „Stiillstann“, Befehlsfetzen des Oberstleutnants. Totenstille. Trommelwirbel. Der Große Zapfenstreich beginnt. Die beiden Hauptpersonen haben Aufstellung genommen, stramm, unbewegt auch sie. Der Vorneverteidigungsminister Manfred von der Bundeswehr und eben er - Viersternegeneral Leopold Chalupa, NATO–Oberbefehlshaber Europa–Mitte und damit Chef von über 1,5 Millionen alliierter Soldaten im industriellen Herzen des Westens. Er ist der deutsche Offizier mit dem höchsten Kommandoposten und war zuletzt Organisator des Manövers „Kecker Spatz“. Chalupa wird ziviler Rentner, erhält den militärischen Ehrenabschied in seiner Wahlheimat Aachen, Montag nacht im Reiterstadion. Gut 3.000 geladene Gäste sind gekommen, größtenteils Militärs. Keine Öffentlichkeit, man will unter sich sein: „Eine reine Angelegenheit der Bundeswehr“, hatte Oberstleutnant Esch gesagt, „schon eine einzige Trillerpfeife würde den Genuß dieses zeremoniellen Aktes stören. Das ist ja keine allgemeine Variete–Show.“ Wann bekommt man so eine interne Militärfestivität schon zu sehen? Schon die Einladungen waren stilgerecht. Die Gäste sollten ankreuzen: „Ich nehme teil: allein, mit Ehefrau, mit Adjutant.“ Und nur diese drei Möglichkeiten waren vorgesehen: „Kfz mit Fahrer“, „Hubschrauber“, „Flugzeug“. Doch auch radelnd, ohne Adjutant findet der taz–Reporter Einschlupf. Noch keine Tschingbumm. Getragene Weisen in der Dunkelheit. „Des Großen Kurfürsten Reitermarsch“. Die Pauken - leise. Die Bläser - dezent. Das Wetter - eiskalt, die erste Nacht mit Frostvorhersage. Der Manfred - er widersteht der Kälte trotz haarlos glänzendem Haupte. Der Militärkarajan - schwenkt die oliven Stöckchen. Das Publikum - schweigt eisern. Kein Pfiff nir gendwo. Dafür endlich Tschingderassabumm. Fetzig und fröhlich ruft das Horn zur Schlacht. „König Karl Marsch.“ Zapfenstreich bedeutete ursprünglich Sperrstunde für die saufenden Landsknechte. Der Faßzapfen wurde geschlagen in den Wirtshäusern vor 300 Jahren, begleitet von den Spielmannszügen. Erst bei den Preußen wurde der Zapfenstreich dann groß und zur feierlichen Militärzeremonie. Die Märsche durfte sich Chalupa aussuchen. Als drittes der „Radedetzky–Marsch“. Da trällerts und pfeifts. Trompetenfanfaren, Trommelwirbel, Trommelrühren sogar. Keiner schunkelt im Dunkel der Tribünen. So soll es sein, das Militär macht die Musike, und niemand muckt auf. Selbst das Rauchen ist ausdrücklich verboten, die Glut würde die Stimmung stören. Ungerührt allüberall die Oliven mit den Feuerfackeln, gespenstisch, stocksteif. „Helm ab zum Gebet“. Wie eine Welle erheben sich die Ehrengäste - lautlos, unheimlich. Leise Trommeln. „Bitte zurückkommen“, jault ein Sicherheits–Walkietalkie dazwischen. Einer hüstelt. Chalupa starr, ungerührt wie Manfred daneben. Trotzdem: Eigentlich eine sympathische Erscheinung, der sudetendeutsch geboren Chalupa mit dem feindlich klingenden Namen. Äußerlich jedenfalls ist es kein strammer Klischee–General. Seine Abschiedswünsche aber sichern wieder das Bild: „Konventionelle Streitkräfte verstärken“ und „größtmögliche Zahl nuklearer Optionen“. Über das bevorstehende Genfer Abkommen: „Eine ironische Gefahr! Wie kann man den NATO–Verband aufrechterhalten, wenn sich viele Menschen nicht mehr bedroht fühlen?“ „Präääsentiiiert das Gewehr!“. Die Nationalhymne. Und da, ganz leise erst, ein Murren aus dem schwarzen Off der Tribünen, dann wächst der Chor. Immer klarer ... „deuheutschehes Vaaterherland.“ „Herr General, ich melde ... Nr. 64, bitte melden!“ Diese Scheißbullen, funken aber auch überall dazwischen. Kein Anstand, keine Disziplin. Der Zapfen ist ausgestrichen. Die frierenden Soldaten marschieren sich warm. Chalupa hat ausbefohlen, einer der letzten ak tiven Kriegsteilnehmer. Die späte Entwehrmachtifizierung - mehr Demokratie, neuer Geist? P.S.: Begonnen hatte das Militäradieu erstaunlich spät, um 21.00 Uhr, „weil es absolut dun kel sein muß“. Sollte etwa ... und tatsächlich, ein Stabsoffizier bestätigt gegenüber der taz mühsam lächelnd, alle, bis hinauf zur Hardthöhe hätten bei der Planung die Zeitumstellung vergessen. Peinlich, peinlich: So etwas im Ernstfall bei der „Flexible Response“, und der nächste Krieg geht auch verloren. Über 50 Milliarden Rüstungsetat und keiner kann die Uhr lesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen