: La Prensa ist wieder da: Giftig wie eh und je
■ Mit einer Startauflage von 250.000 Exemplaren meldet sich die nicaraguanische Oppositionszeitung unzensiert zurück Für Gespräche mit der Contra und totale Amnestie / Herausgeber drohen im Fall erneuter Zensur mit sofortiger Schließung
Aus Managua Ralf Leonhard
„Das Volk hat gesiegt - La Prensa ohne Zensur“, heißt der Aufmacher des ersten Exemplars der nicaraguanischen Oppositionszeitung, die nach 451 Tagen seit vorgestern wieder erscheint. Dona Violeta de Chamorro, die Co–Direktorin der Bürgerblatts, holte Donnerstag nachmittag gerührt das erste Exemplar aus der Druckerpresse - nicht bevor die Maschine von dem jüngst aus dem Exil zurückgekehrten Padre Bismarck Carballo gesegnet worden war. Wenige Minuten später bildete sich bereits eine Menschenschlange vor dem Verlagshaus, und der erste Austräger, der sich mit einem Packen Zeitungen aus dem Haus wagte, entging nur knapp dem Tod durch Erdrücken. In Voraussicht dieses Andrangs war eine Rekordauflage von 250.000 Stück gedruckt worden: mehr als doppelt soviel, wie früher verkauft werden konnte. Daß La Prensa diese Auflage halten kann, ist fraglich; denn das Blatt ist von zweifelhafter Qualität und steht an Informationsgehalt den beiden Konkurrenzzeitungen El Nuevo Diario und Barricada weit nach. La Prensa, die erstmals seit fünfeinhalb Jahren unzensiert erscheint, vertritt dieselbe Linie, für die sie sich vor 15 Monaten das Verbot einhandelte. Direktor Pablo Antonio Cuadra erklärt in einem Editorial, was er unter der journalistischen Verantwortung versteht, zu der sich die Herausgeber gegenüber der Regierung verpflichtet haben: „Den Sandinisten das pluralistische Denken der Mehrheit unseres Volkes entgegensetzen, das keine Partei mit totalitären Privilegien will und keinen Staat, der alles an sich reißt und alles kontrolliert, sondern eine lebendige und aktive Demokratie“. Wie diese Demokratie hergestellt werden soll, kann man im Leitartikel nachlesen, wo Verhandlungen mit den Contra–Chefs und eine totale Amnestie gefordert werden: „Nur auf völligem Vergessen des Vergangenen, also auch der Repressionsakte, die das 1979 gestürzte Regime begangen haben mag, ... kann der Friede errichtet werden.“ Generalamnestie und Verhandlungen mit der Contra sind das Leitmotiv, das in mehreren Arti keln anklingt. Die Redaktion bekennt sich zwar zum Friedensabkommen von Guatemala, doch fällt auf, wie viele zweifelnde Stimmen zu Wort kommen: von der winzigen Liberalen Partei (PALI), die den zentralamerikanischen Präsidenten vorwirft, durch das Abkommen die Interessen der Nicaraguaner verkauft zu haben, bis zu Zitaten aus dem kommunistischen Parteiblatt Avance, wo Unstimmigkeiten bei der bisherigen Erfüllung aufgezeigt werden. Kardinal Obando y Bravo kommt gleich zweimal zu Wort: einmal in einem Interview zur Pressefreiheit und einmal auf der Meinungsseite, wo er sich zu demselben Thema Gedanken macht. Die politische Nachricht des Tages, Daniel Ortegas Bekanntgabe der ersten drei Zonen, in denen ab 7. Oktober einseitige Waffenruhe herrschen soll, kommt auf der letzten Seite als Agenturmeldung. Sie hätte genausogut als Eigenbericht kommen können, denn der Korrespondent ist gleichzeitig Redakteur bei La Prensa. Gut die Hälfte des Papiers ist von Wer bung bedeckt - großflächigen Anzeigen, denn die Kleininserate sind während der Schließung zur Konkurrenz abgewandert. Glückwunschbotschaften der Präsiden ten von Honduras und Costa Rica sind groß aufgemacht. Der Auslandsteil wird von blankem Antikommunismus beherrscht: „Surinam: Seit die Marxisten am Ruder sind, ist alles schlecht“, eine Kabelmeldung aus Hannover über drei DDR–Flüchtlinge, gleich zweimal achtspaltig Kuba aus der Sicht von Deserteuren. Die ehemalige Zensorin Nelba Blandon, die nach der Schließung von La Prensa durch einen weit konzilianteren Mann ersetzt wurde, muß beim Lesen des Blatts Magenkrämpfe bekommen. Sie hätte wohl nicht viel davon übriggelassen. Ihrer Schere wären nicht nur die offen politischen Artikel zum Opfer gefallen, wie der über die Mütter politischer Gefangener, sondern auch die beliebte Rubrik „Er ging einkaufen und kam nicht zurück“, wo subtil angedeutet wird, der Verschwundene müsse ein Opfer staatlicher Repression geworden sein. Das Abkommen, in dem Daniel Ortega am 19. April den Bann aufhob, wird zur Sicherheit im vollen Wortlaut abgedruckt: „Nur mit den Beschränkungen, die ein verantwortlicher Journalismus gebietet“. Die Herausgeber sind entschlossen, sich auch in Zukunft keine Zensur mehr gefallen zu lassen, auch wenn der Friedensplan letztlich scheitern sollte: „Am Tage, da die FSLN La Prensa neuerlich unter Zensur stellen will, würden wir unser Erscheinen augenblicklich einstellen“, droht der Leitartikel, „und die FSLN wird für die Folgen dieses neuen Fehlers zahlen.“
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