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P O R T R A I T Ozean des Wissens

■ Der Dalai Lama gilt den meisten Tibetanern noch immer als größte geistliche und weltliche Autorität

„All men shall be free“ war die Botschaft, die der Dalai Lama vor fünf Jahren bei einem Auftritt im Rahmen der Frankfurter Buchmesse einem westlichen Auditorium als letzte Erkenntnis des tibetanischen Buddhismus mitteilte. Doch, so warnten die Veranstalter schon damals vor westlichen Mißverständnissen, „der Dalai Lama ist nicht nur an der Einfachheit seiner Worte zu beurteilen“. Tatsächlich ist die Rolle des Dalai Lama für Tibet mit westlichem Verständnis kaum nachzuvollziehen. Er gilt seinem Volk als Reinkarnation des Tschenresi, des Mitleids und damit als bester aller Herrscher. Traditionell ist er geistlicher und weltlicher Herrscher in einem, seit dem Einmarsch der Chinesen 1951 allerdings ein Potentat ohne administrative Macht. 1959 mußte er nach einem Aufstand gar ins benachbarte Indien fliehen, von wo aus er bis heute einer Exilregierung vorsitzt die von keinem Staat anerkannt wird. Dessen ungeachtet aber ist sein religiöser und moralischer Einfluß im tibetanischen Volk kaum zu unterschätzen. Den Chinesen ist es nicht gelungen, die religiöse Tradition in Tibet zu brechen - ein Umstand, der Peking bereits vor Jahren zu Versuchen veranlaßte, sich mit dem Dalai Lama wieder zu arrangieren. Der amtierende Herrscher ist der 14. und gilt als Wiedergeburt seines Vorgängers. Ein Dalai Lama stirbt nicht, sondern seine Seele erlebt in einer anderen menschlichen Gestalt ihre Wiedergeburt. Diese Gestalt zu suchen obliegt dem höchsten Klerus, der in einem komplizierten Verfahren die Seele des Dalai Lama in einem Kleinkind auffinden muß. Der jetzige Würdenträger wurde als zweijähriges Kind einer Nomadenfamilie von den Mönchen entdeckt und als Dalai Lama aufgezogen. Als knapp Zehnjähriger erlebte er den Einmarsch der chinesischen Rotarmisten, mit 17 mußte er im Anschluß an den Volksaufstand, den er angeblich mißbilligt haben soll, fliehen. Er hat im Exil eine Menge gelernt. Ob dazu auch Verhandlungen mit den Machthabern in Peking gehören, muß sich in Zukunft erweisen. Noch ist seine politische Position festgelegt: Er will alles oder nichts. taz

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