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EXTRABLATT: Der Endlos-Roman, Teil 2

16. Kapitel

„Also muß es doch der Musiker gewesen sein“, dachte Inspektor Terhorst. „Aber wie hätte er um diese Zeit aus dem Orchesterraum verschwinden können?“ Der Inspektor blätterte in den kulturpolitischen Informationen, die auf seinem Schreibtisch lagen. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: „Uraufführung der Oper Glance in Stuttgart verschoben“. Aha!

Als der kahlköpfige, dicke Musiker Robertson das Zimmer betrat, sah der Inspektor ihn eigentlich schon in Handschellen. Alles setzte sich allmählich zusammen – das Opfer, der Tatort, der Täter, ja, sogar das Motiv. Natürlich war es das verdammte Geld. So ein Triangelspieler verdient nicht viel. „Herr Inspektor“, sagte Robertson leise, fast traurig, „ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Einzelheiten lenken. Ich weiß, was Sie meinen zu wissen. Aber Sie haben Pech. Die Uraufführung von Glance sollte am nächsten Donnerstag stattfinden, also am 15., und heute haben wir den zehnten. Vorgestern war ich auf der Probe. Wollen Sie Zeugen?“

17. Kapitel

Merkwürdiges Beispiel politökonomischer Bildung aus dem Stadtbezirk Prenzlauer Berg in Berlin DDR: Aus einem offenen Fenster im 4. Stock mit gutem Blick auf das halbstündige Feuerwerk aus Anlaß des Nationalfeiertags der DDR am 7. Oktober ruft ein älterer Mann: Mutti, deine Rente!

Wenn man es sich recht überlegt, so kann nichts dazu verführen, einen anderen Rang zu bekleiden als den eines Generalleutnants. Einfach General: langweilig. Generalmajor unmöglich, schon wegen Major: Tiefschlaf. Obristen zeigen auf Parkplätze und freuen sich über die Anzahl der Leute, die da sind, in der Sternchefredaktion. Dagegen hat es noch nie einen fetten Generalleutnant gegeben. In dem Rang gibt es kein Fett.

Diener hat neue Vorhänge, die Speisekarte gibt bescheiden an. Zwiebelfisch ruhiger, gut gezapft, Schwabenwirt gutes Essen, Vorsicht vor dem Hund in der Motzstraße! Rosalinde o.k., wenn man auf Atmen verzichtet. Mario für Schaumbühnentouristen, Ciao Luftverbot, Sauna, sonst gut.

Der Taxifahrer Richard O. aus Lichtenberg, Berlin DDR, als vor ihm an der Kreuzung ein Wagen mit dem Schweizer Kennzeichen bei Grün nicht anfuhr: Fahr los, Tell, der Appel is grün!

18. Kapitel

Böse sieht es mit dem hiesigen Steinkohlebergbau aus. Im Jahre 1987 kostete unseren durch Rüstungsausgaben ohnehin ausgepowerten Staat die unsinnige Erhaltung der Arbeitsplätze in diesem maroden Wirtschaftszweig nicht weniger als 10,3 Milliarden DM. Doch glücklicherweise wird sich unser Staat von dieser Bürde befreien. Schließlich ist er kein Maulesel für x-beliebige Kumpels. Der Anblick von 30.000 rußigen Kumpels auf den Straßen des Ruhrgebiets wird dem reingewaschenen, sauberkeitsbedürftigen hiesigen Bürger erspart bleiben. Denn unser gütiger Bundeswirtschaftsminister schlug, um uns Verbraucher, die wir ohnehin immerfort belastet werden, zu entlasten, eine Entlastung durch den Abbau der gemeingefährlichen Subventionen des Steinkohlebergbaus und der Arbeitsplätze von 30.000 Kumpels vor, die den Staat sage und schreibe 63.000 DM pro Kopf kosteten.

Für die voraussichtlich bald entlassenen Kumpels, die bislang von diesem Staat förmlich auf Händen getragen wurden, ist ein „Anpassungsprozeß“ geplant. Dabei kann es sich selbstredend nur um eine Anpassung der Kumpels an das Lumpenproletariat handeln. Lange genug waren sie auf der Kohle wie auf Rosen gebettet. Sie können nicht erwarten, daß man ihnen Bittgänge zu den Sozialämtern und zur Caritas erspart, der wir Verbraucher unsere abgelegte Kleidung zu mildtätigen Zwecken abzutreten pflegen. Sie können von uns nicht verlangen, daß wir ihretwegen Kohle, von der hierzulande eine Tonne 250 DM und im Ausland eine Tonne nur 100 DM kostet, käuflich erwerben. Froh sollen sie sein, daß sie ihr künftiges Dasein als Sozialhilfeempfänger Tugenden wie die Sparsamkeit, die Verzichtbereitschaft und den Entsagungswillen lehren wird. Fast möchte man diese Kumpels beneiden. Denn bald werden sie hinlänglich Zeit haben, sich der Selbstverwirklichung und der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu widmen.

19.Kapitel

„Heikler könnte die Geschichte gar nicht sein“, sagte Inspektor Terhorst und lockerte fast ungewollt den Knoten seiner Krawatte. Daß in eine solch furchtbare Tat ausgerechnet ein SPD-Bundestagsabgeordneter verwickelt sein könnte, wollte ihm nicht in den Kopf. Inspektor Terhorst haßte Politik. Er war der festen Überzeugung, daß Politiker in Fahndungsangelegenheiten nichts taugen – weder als Opfer noch als Täter. Und jetzt war ihm nichts anderes übriggeblieben, als den Abgeordneten Müller-Altötting direkt in seinem Büro aufzusuchen. Und dieser Anruf vom Innenminister am Morgen! Taktvoll solle er gefälligst sein, nicht so viel Staub solle er aufwirbeln. Und vor allem solle der SPIEGEL nichts davon erfahren, und so weiter, und so weiter ... Und im Spiegel des Vorzimmers sah er den verächtlichen Blick der Sekretärin.

„Mein lieber Herr“, sagte Müller-Altötting und hauchte gegen seine Brillengläser. „Vogel ist in Hamburg. Bahr ist in Köln. Dobrynin in New York. Die Chinesen in Tibet. Die Krimtataren unterwegs. Bitte, ich habe keine Zeit!! Um Gottes Willen, was wollen Sie ausgerechnet von mir??“ Die Krawattennadel des Inspektors fiel mit lautem Klirren auf den Schreibtisch des Sozialdemokraten.

„Nichts, Genosse“, sagte Inspektor Terhorst schüchtern. „Nur, wenn es möglich wäre – könnten Sie mir, bitte, sagen ... also, nicht, daß Sie denken ... aber wo waren Sie am 8. Oktober zwischen 20 und 22 Uhr?“

Müller-Altötting blätterte in seinem Terminkalender. „Hier! In Mettlach an der Saar. Ich habe an einer Konferenz der Verkehrsminister der Länder teilgenommen.“ „Verkehrsminister?“ fragte der Inspektor verwirrt. „Ja“, sagte der Politiker, „es ging um mehr Sicherheit beim Transport gefährlicher Güter. Wissen Sie, daß 88 Prozent der Unfälle aus menschlichem Versagen resultieren?“

„Verkehr“, sagte der Inspektor. Er hob die Krawattennadel wieder auf und sagte mit unerwarteter Festigkeit: „Und abends zwischen 20 und 22 Uhr? Da haben Sie immer noch über Verkehr geredet?“ Der Abgeordnete errötete. Er sagte nur: „Falls Sie Näheres wissen wollen, erkundigen Sie sich beim Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen.“

20. Kapitel

Der Financial-Index für 30 Aktien stieg heute um 13,4 auf 1.866,0 Punkte, wovon aber nur wenig Vergnügen zu erwarten ist. Insbesondere für Gertrud Hage nicht, die nicht einmal ein Konto hat. Deshalb wurde ihr auch die zustehende Sozialhilfe nicht anvertraut, denn wo sollte sie denn hin mit dem Geld?

Wohin er soll, weiß auch ein ehemaliger bayerischer Regierungsrat nicht, der zwar über Konto und Pension verfügt, nicht aber über die entsprechende Unbefangenheit des unbescholtenen Bürgers, der schaltet und waltet. 1984 war er noch in Amt und Würden, als in seinem Haus etwas Ungewöhnliches geschah. Nach der grauenhaften Bluttat an seiner vierköpfigen Familie schwieg der Regierungsrat hartnäckig und floh. Seine Flucht wurde durch den Umstand, daß die Bundesautobahnen mehr und mehr zu Großbaustellen werden, nicht gerade begünstigt. Dem Fahrer springen entweder Wallache ins Fahrzeug, und auf weiten Streckenabschnitten ist überhaupt kein Fortkommen. Wer nur eine Fahrspur zur Verfügung hat, hat kaum die Wahl. Zu den größten Behinderungen kommt es merkwürdigerweise immer in südlicher Richtung, in der Nähe von Rosenheim und Karlsruhe. Zähes Vorankommen aber ist Gift für einen gesuchten Mörder. Sicheres Versteck bietet da schon eher der Saunaclub einer Kleinstadt. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, denn seit dem Jahreskongreß für Badewesen sind sich die Vertreter des Fachverbandes darin einig, daß sie der Verwechslung mit ordinären Nachtclubs und Erotic-Bars vorbeugen müssen. Befindet sich nun an einem als Sauna ausgewiesenen Etablissement eine blaue Tafel, so erwartet den hoffnungsfroh Eintretenden keine intime Atmosphäre, sondern eine teilmedizinische Behandlung, deren Dauer eher von beschränktem Zeitumfang ist. Da bietet perfekte Sicherheit doch eher ein tadelloser Lebenswandel und verdienter Schlaf in einer bundesdeutschen Bettstatt, zumal in Fragen des Schlafkomforts keinerlei Einschränkungen mehr geduldet werden. Ins Bett integriert ist nicht mehr nur der eventuelle Schläfer, sondern auch Radio, TV, Beleuchtung, Minibar und Handschuhfach.

Das alles hat der Frankfurter Papierfabrikant leichtsinnig aufs Spiel gesetzt, als er seine eigene Fabrik in Brand setzte. Einem Sachschaden von fünf Millionen Mark ist auch noch der 29jährige Lastwagenfahrer Jürgen Kesling hinzuzurechnen, der mit schwerer Rauchvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Ausbreitung des Feuers zu verhindern. Auch ein Feuerwehrmann erlitt beim sechsstündigen Kampf gegen den Großbrand mehrere Brandwunden. Dem Schrankenwärter, der den Brand entdeckt und sofort die Feuerwehr alarmiert hatte, wurde nicht gedankt. Als er erfuhr, daß der Brand im Auftrag seines Chefs gelegt worden war, brach er in der darauffolgenden Nacht in dessen leerstehende Villa ein und zerstörte unter anderem mehrere wertvolle Gemälde des 17. Jahrhunderts und zwei chinesische Bodenvasen aus der Ming-Dynastie. Am späten Freitag abend wurde auch der Schrankenwärter festgenommen und inhaftiert.

Nicht inhaftiert wurde Hermann Fellner (CDU), weil er erklärte: „Die Wiederaufarbeitung ist der gebotene und erforderliche Schritt zur Verwirklichung des integrierten Entsorgungskonzeptes.“ Es ist nämlich so, daß unser Gesetz ein Wiederverwertungsgebot vorschreibt zur Schonung der Rohstoffe, und in Wackersdorf soll eben diesem Gesetz entsprochen werden. Dagegen werden auch alle gewalttätigen Einwände nicht helfen, es sei denn, eine Massenflucht nach Wackersdorf. Wackersdorf wird ein Ruhmesblatt in der Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols. Laienhafte Bedenken gegen Funktionsweise und Sinn dieses Projektes können nicht die Richtschnur für politisches Handeln sein, denn mit den brisanten Materialien wird hierzulande unter den modernsten Sicherheitsvorkehrungen hantiert.

21. Kapitel

Die Landschaft, Frühnebel, Chiemsee, Vogelgeschrei, kehrte zurück in seine Wahrnehmung, schmerzlich verdunkelt durch die bundesweite Gefahr HELSINGÖR plötzlich (der Große Ploetz!) auf der Terasse stand der Große Dunkle, die FATERVIGUR MIT DEM SCHNAUZBART, der große Liquidator, der die Dividenden kürzt, der Haßgeliebte WHO IS WHO TRÄUME GOLDNES WENN DIE HOHE ZEIT DER TIERVERSUCHE AUCH DIE RATTE IST (K)EIN MENSCH. Der Kleine Diktator begriff, daß MASSNAHMEN ERGRIFFEN werden mußten IM KRIEG DER GESCHLECHTER KEIN FRIEDE IN SICHT ERSTE ANTARKTISEXPEDITION DER DDR DER KAMPF UM GLEICHBERECHTIGUNG EIN NEUES MISSVERSTÄNDNIS FÜR DIE ROLLE DER FRAU IN FAMILIE UND GESELLSCHAFT MÄNNER ÜBERNEHMEN FRAUEN SICHERN (OKW) PARTNERSCHAFTLICH STELLUNGSKRIEG) Der Kleine Diktator erinnert sich. DA WAR MAL WAS: EINE FRAU??? BAYERNWEHR GEGEN BUNDESWEHR! antwortete seine innere Stimme. STACCATO BAVARICO: Gutachten der theologisch-immunologischen Fakultät der Universität München: Aidskranke essen Haustiere, beißen Hausfrauen, küssen Kinder und zünden Häuser an. Der Kleine Diktator beschloss:

22. Kapitel

„Gehört diese Mütze Ihnen?“ fragte Inspektor Terhorst mit forschendem Blick. „Ja, natürlich“, sagte Laszlo. „Ich habe sie in Mettlach vergessen.“ „Ach so, in Mettlach“, sagte der Inspektor. „Was haben Sie eigentlich in Mettlach zu suchen?“

Laszlo J. wußte selbst nicht, warum, aber plötzlich durchzuckte ihn ein Schmerz, der ihm früher unbekannt gewesen war. Ja, was hatte er eigentlich in Mettlach gesucht? Was überhaupt suchte er in dieser ganzen verdammten Bundesrepublik, wo man nicht einmal die Übersetzungen italienischer Opern verstehen konnte? Er dachte an seine Mutter, an sein verlassenes Ungarn, und Tränen flossen über seine Wangen.

„Wissen Sie, Herr Inspektor“, sagte er mit gebrochener Stimme, „was meine letzte Hoffnung ist? Meine und die all meiner Landsleute? Ganz Ungarn erwartet durch den Ausbau der wirtschaft lichen Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik einen Beitrag zur Überwindug der derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.“ Er schluchzte so unbeherrscht, daß seine Schultern bebten. Nein, sagte der Inspektor zu sich, nein und abermals nein. Dieser Mann ist unschuldig. Alle sind unschuldig. Das ist ja das Furchtbare.

Der ungarische Gastarbeiter Laszlo J. freute sich an diesem Morgen besonders seines Lebens. Solche sonnigen Oktobertage erinnerten ihn an seine Heimat. Ach Budapest, ach Balaton!

Ach, diese Nacht in Mettlach! Eigentlich hatte er in die Oper gehen wollen, in Rigoletto, obwohl er die deutsche Sprache genauso wenig beherrschte wie die italienische. Außerdem hatte er keine Lust gehabt, diese alte Schachtel zu begleiten. Sie hätte ohnehin wieder nichts anderes im Sinn gehabt, als im Dunkeln sein Knie zu streicheln. So war es ihm gerade recht gewesen, als ihn sein ehemaliger Schulkamerad, der ungarische Journalist Tamas P., anrief und ihn zu einer Fahrt nach Mettlach einlud. Laszlo J. war für Mettlach immer sehr zu haben, weil es dort das lustigste Bordell gab, das er in der Bundesrepublik kannte.

Aber diesmal war alles ganz anders gewesen. Marita hatte ihn keines Blickes gewürdigt. Sie saß abwesend in einer Ecke und trank ein Glas Sekt nach dem anderen. Naja, Liebeskummer; ihr Freund, der Musiker aus Stuttgart, hatte sie seit Monaten nicht mehr besucht. Laszlo J. hatte den Fettwanst noch nie leiden können. Und zu allem Überfluß hatte er auch noch seine Mütze in Mettlach vergessen. Es war seine einzige Mütze, und seine Mutter hatte sie ihm geschenkt.

23. Kapitel

Heutzutage ersetzt die Nachricht jeweils die Wirklichkeit für jene 99.999 immer fern der jeweils ortsgebundenen Wirklichkeit befinden. Deshalb kommen die Länder weit herum. Der neueste Umzug hat mit Tibet stattgefunden. Noch vor vierzehn Tagen lag Tibet für uns irgendwo am Rand unserer Welt, zigtausend Kilometer entfernt, und nicht einmal Kohl hatte es fertiggebracht, es uns durch seinen dortigen Besuch näher zu bringen. Nur er selbst geriet uns dadurch noch deutlicher vor Augen.

Das hat sich fundamental geändert; jetzt liegt Tibet vor unserer Haustür, und kein anderes Land kann sich vergleichbarer Aufmerksamkeit erfreuen.

Das Dumme dabei ist freilich, daß zwar die Nachricht über und aus Tibet an die Stelle von Tibet tritt, die Wirklichkeit Tibet, wie sie derzeit beschaffen ist, aber für diejenigen gar nicht existiert, die uns mit Nachrichten über Tibet versorgen. Insofern ist sogar die ses Tibet mit Asphaltstraßen, Tankstellen und Flugplätzen noch eine ebenso geheimnisvolle Weltgegend, wie sie es für den Asienforscher Sven Hedin vor fast hundert Jahren gewesen ist. Das liegt nicht daran, daß es beispielsweise in Lhasa keine Telefone und Telegrafenämter gebe; der Nachrichtennebel entsteht vielmehr in den Gehirnen der Berichterstatter und ihrer politischen Hintermänner. In diesem Nebel ist die tibetische (oder heißt es: tibetanische?) Bevölkerung verschwunden.

Was heißt es? Es heißt beispielsweise, daß wir nicht erfahren haben, wie viele Menschen wirklich an den Demonstrationen beteiligt gewesen sind, und in welchen Orten sie aktiv wurden.

Es heißt, daß wir nicht wissen, wer oder was sie veranlaßt hat, auf die Straße zu gehen. Es heißt aber vor allem, daß wir keine einzige Information darüber besitzen, ob die paar hundert Demonstranten (wie viele wirklich?), angeführt von Steine werfenden und zündelnden Mönchen (stimmt das?) von Tibets Bevölkerung als die legitimen Verfechter ihres nationalreligiösen Anliegens angesehen werden, oder vielleicht als Störenfriede?

Die Rolle der Freiheitskämpfer, die ihnen in dem Wirklichkeitsersatz „Nachricht“ zugebilligt wird, scheint jene zu sein, in der sie sich selbst sehen, und vor allem jene, in der sie in einer antikommunistischen Welt gesehen werden wollen. Es fehlen nur noch die Leitartikel, die feststellen, es bestünde zwischen den Vorfällen in Lhasa und dem 17.Juni 1953 in Berlin eine Parallele, wobei die Nachricht „17.Juni“ von Anfang an mit dessen Wirklichkeit nur noch in einem vagen Zusammenhang stand, ideologisch manipuliert.

24. Kapitel

Die Schriftsteller alle am Busen von Suzan, die Überparteiliche, der jede Hose paßt. Warum gibt es eigentlich Ungarn und nicht vielmehr keine? Die nasalen Nörgeleien der Österreicher, ganz vergessener Völker Schläfrigkeit nicht abtuend von ihren Lidern: I dare anyone be more tired, pale, disgusted than I am. Der zurücktippelnd desertierende Liberalo aus Rom, im zarten Pullovero.

25. Kapitel

Da gibt es diesen Panschen-Lama, man könnte ihn einen buddhistischen Kardinal nennen. Vorgestern war er noch ein Sympathisant Pekings. Heute ist er zum Volksverräter anvanciert, nachdem er von einer „separatistischen Clique im Ausland“ gesprochen hat, die hinter den Unruhen stehe. In den Märchenerzählungen über Tibet gibt es eine solche Clique selbstverständlich nicht, der Senat in Washington wird selbstverständlich nicht dazu gezählt, obwohl er dafür ist, den Dalai Lama gegen China aufzuhetzen. Wurde hier eine Gelegenheit benutzt, oder wurde die Gelegenheit herbeigeführt, um sie in diesem Sinn benützen zu können? Niemand weiß es, aber die Meinung ist nahezu einhellig, den Mönchen sei ganz zufälligerweise eines Nachts eingefallen, sie müßten für die nationale Befreiung vom chinesischen Joch etwas tun.

Heute verlassen befehlsgemäß fünfzehn westliche Journalisten (wirklich fünfzehn?) Lhasa. Sie werden es künftig noch viel einfacher haben, Wirklichkeit in Nachricht zu transportieren, den tibetischen Freiheitskampf von ihren Schreibtischen aus zu führen. Dabei müssen sie allerdings sich doch eine gewisse Mäßigung auferlegen, des Geschäftes wegen. Das liest sich im Daily Telegraph folgendermaßen: „Leider gilt die unmittelbare Sorge der Außenwelt nicht der tibetischen Autonomie, sondern der Frage, ob die jüngsten Unruhen den Einfluß der Konservativen auf dem 13. Parteitag der chinesischen KP stärken und somit die Politik der offenen Tür Chinas gefährden könnten.“ Das Blatt weiß Trost: Der „pragmatische Liberalist“ Deng Xiaoping werde gegen die tibetische Aufmüpfigkeit vorgehen, aber zugleich die Handelsverbindungen nach dem Westen offenhalten. Derart taucht im Nebel schließlich doch ein bißchen Wirklichkeit auf.

26. Kapitel

In den unterentwickelten Ländern der sog. Dritten Welt gibt es bekanntlich Garantien für gar nichts. Rio de Janeiro kann uns nicht als Lehre dienen. Insofern ist auch irritierend, was hierzulande die Presse über die Kernkraft-Sensationen aus Brasilien schreibt. Es haben nicht Brasilianer mit hochradioaktivem Material hantiert, sondern Bewohner einer großen Müllhalde am Rande der Stadt hatten vermeintlich einen Schatz gefunden. Die Bewohner der Müllhalden arbeiten und leben mit dem Müll auf dem Müll und sind Spezialisten des Mülls. Es gibt wohl in der westlichen Welt keinen Menschen, der über derart viele differenzierte Kenntnisse verfügt, was den Abfall einer riesigen Großstadt betrifft. Einen schweren Bleibehälter zu finden ist schon allein des Materialwertes wegen ein unverhofftes Glück. Daß er, wenn ein Verschluß zu erkennen ist, dann auch mit aller Gewalt geöffnet wird, ist also kein Wunder. Kinder und Erwachsene teilten den Fund. Man bestaunte ihn auf der Handfläche, einige nahmen die fluoreszierende Substanz mit nach Hause, um sie nachts glimmen zu lassen, andere bestrichen sich Brust und Arme damit, um ein wenig zu leuchten. Es muß ein ungewöhnlicher Spaß gewesen sein an jenem Abend. Schon nach wenigen Stunden waren alle, die damit in Berührung gekommen waren, todkrank. Zwei Drittel von ihnen werden sterben. Ärzte schätzen, daß es fast ebenso viele Tote geben wird wie bei dem Unfall von Tschernobyl.

Die Erfindung eines „Nobelpreises für die Rückgängigmachung fataler wissenschaftlicher Entdeckungen“ wurde in London bekanntgegeben. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen arbeiten bereits intensiv an entsprechenden Lösungen.

27. Kapitel

„Nachdem eine Wand für ihn eingerissen werden mußte, weil er im Türrahmen steckengeblieben war, hat sich ein 453 Kilo schwerer Amerikaner zu einer Diät entschlossen“. Held dieser Nachricht ist der 53jährige Walter Hudson, seit drei Wochen darbt er, schon hat sein Knie 11,5 Zentimeter an Umfang verloren, endlich eine wirklich gute Nachricht, es gibt noch Grund zur Hoffung, dafür spricht der Fall des österreichischen Fotografen Klaus Meier, ihm gelang es, in einer hochgelegenen bergigen Gegend in Nepal einige „Vetis“ zu knipsen, der Veti ist, nach Meiers Worten, ein „rund 2,2 Meter großes Geschöpf“, das „tiefgutturale Laute zwischen Knurren und Schreien“ von sich gibt. Als er die Geräusche der Kamera hörte und die Menschen erblickte, habe der Veti „eine Art Pfiff“ von sich gegeben und sei auf allen Vieren davongelaufen. Er ließ aber sein farbiges Ebenbild zurück, in der Absicht, aus Klaus Meier einen reichen Menschen zu machen, Meier beabsichtigt, seine Bilder internationalen Medien anzubieten, ein glücklicher Tag, für Meier, für Hudson, für Stig Behling, den Spion und für alle Menschen, die guten Willens sind.

28. Kapitel

Gestern wollte ich als nicht ausreichend bekannter Dichter die taz betreten. Die Tatsache, daß gerade mein Auto kaputt ist, kam mir dabei durchaus nicht ungelegen. Wenn Sie so wollen, an manchen Tagen werde ich zum Wallraff.

In der U-Bahn saß, während ich die taz las, durch einen Fahrgast von mir getrennt, ein Mann.

„Können Sie mir die Uhrzeit sagen?“ Ich hatte den Eindruck, sein Gesicht bedecke ein durchsichtiger, flimmernder Film. Ich antwortete nicht gleich. „Welcher Wochentag?“ „Donnerstag.“ „Und welche Uhrzeit?“ Ich kramte nach meiner Uhr. „Eins.“ „Tag oder Nacht?“

Ich antwortete lächelnd „Tag“ und wandte mich wieder meiner Zeitung zu. Ich fand den Aufmacher über Wallraff witzig.

„Verstehst du überhaupt, was du da liest?“ Ich guckte ihn an und las weiter. „Das ist, wie wenn in China ein Sack Reis platzt.“ Ich musterte ihn streng und glotzte wieder in mein Blatt.

„Wie wenn in China ein Sack Reis platzt.“

„Ich habe Ihnen den Wochentag gesagt, ich habe Ihnen die Uhrzeit gesagt, ich habe Ihnen gesagt, daß es Mittag ist! Jetzt lassen Sie mich in Ruhe lesen!“

Ich ärgerte mich ein bißchen, daß es nicht regnete. Also hätte ich doch das Rad nehmen können. Ich stieg in den Bus um. Das moderne, glatte Gebäude lag in einem men schenleeren Straßenstück. Das Empfangszimmer gleich links, wenn man den Eingang betrat, nahm ich nur schattenhaft wahr. Täuschte mich die Erinnerung? Rechts in einen Korridor hinein. Ich bleibe vor einer offenen Tür stehen. Am linken, geschlossenen Flügel der Tür fällt mir ein großer Zettel auf.

„Wo ist denn das, der Raum mit der Volkszählung?“ Sie deuten nach rechts. Ich betrete ein großes leeres Zimmer mit drei Schreibtischen. Ich krame in den Regalen, schaue in die Ablagen, betrachte mir die Bücher. Ich durchsuche die Schreibtische. Nichts. Ich finde nicht den geringsten Hinweis auf irgend etwas, was mit Volkszählung zu tun haben könnte. Ungläubig fange ich noch einmal von vorne an. Ich filze das Zimmer.

Ich trete wieder auf den Gang, schaue hilfesuchend umher, steuere eine neue Tür im nun abgeknickten Korridor an. Die jüngere Frau ist schneller.

„Was suchst du hier?“ „Leute, die sich mit der Volkszählung auskennen.“ Ein jüngerer Mann kommt hinzu: „Was willst du hier.“ „Ich wollte hier vielleicht einen Artikel schreiben, vielleicht über die Volkszählung.“ „So geht das hier nicht.“ „Ihr habt doch bestimmt Material da.“

„Ja, da!“ sagte die Frau und öffnete eine Tür. Ich stand plötzlich in einem sehr engen, fensterlosen Raum, dessen Wände volle Bücherregale bedeckten. In einer tieferen Schicht meines Bewußtseins dachte ich wie im Traum: „Daß es kein neueres Material über die Volkszählung gibt ...“

„Und kann ich mir das durchgucken?“ „So“, sagte die Frau, „und jetzt aber raus hier, und zwar schnell!“

„Wer bist du überhaupt!?“ zischte der Typ. „Ich kann dir gerne meine Visitenkarte geben.“ „Raus hier“, sagte die Frau, „allez hopp.“ Inzwischen waren es drei und ich hatte den Eindruck, man wollte mich nun unter den Arm nehmen.

„Die Ähnlichkeit ist ja unverkennbar!“ Im ersten Augenblick schien mir diese Stimme vor Hohn zu triefen. Dann erkannte ich den Kulturredakteur. Ich hatte ihm einmal einen großen Artikel gegeben. Er sieht aus wie ein netter Bär und ist daher unverwechselbar. Die anderen traten etwas von mir zurück.

„Ihr habt ja den Verfolgungswahn“, rief ich.

Er wollte mich unbedingt noch in die Kantine schleppen, aber ich sträubte mich. Eine Schriftstellerin kam angestürmt, nahm mich im Taxi mit. Sie erzählte mir von einem Mann, der mit schlechten Gedichten angekommen sei und deren Druck gewünscht habe.

„Na und?“ sagte ich. „Das ist doch noch kein Grund, so nervös zu werden.“ Ich verließ sie, bevor der Fahrer in die Hotelauffahrt einbog.

Nur mit Mühe gelang es Annemarie, mich mit einem klassischen Pfadfindermotto aufzumuntern.

29. Kapitel

Ein sowjetischer Spion namens Stig Berling, der sogenannte KGB-Maulwurf, der sich in der Haft den melodiösen Namen Eugen Sandberg angeeignet hat und der seit 1979 seine Strafe absitzt, versäumte es am Dienstag, von seinem Hafturlaub zurückzukehren. Er hatte die Erlaubnis erhalten, am Montag seine Frau in Stockholm zu besuchen. Glücklicherweise konnte er während dieser sehnsuchtsvollen Reise die Gesellschaft eines diskreten Polizeibeamten genießen, der sich nach dem Abendessen zurückgezogen hatte – auch unter Polizeibeamten gibt es feine Seelen, wenigstens in Schweden –, und die Liebenden waren unzertrennlich, es blieb ihnen nichts anderes übrig, sie mußten flüchten. Am Dienstag morgen wartete man auf Herrn Sandberg alias Berling am Gefängnistor vergebens, aber die Behörden wollten sich damit nicht abfinden, sie warteten zehn Stunden lang am vereinbarten Platz auf ihn, erst dann wurde eine Großfahndung eingeleitet. Der Justizminister wird wahrscheinlich fliegen.

30. Kapitel

Die Wächter treten wieder einmal nach vorn, in die erste Reihe, wo man gut sieht und womöglich den Ministerpräsidenten wegen Meineids verhaften muß. Da wollen wir alle zur Stelle sein, zufällig geboren und stellungslos, wie manche von uns sind. Auch anderen passiert Unangenehmes! Wir wollen zuschauen, wie diese komplizierte Frau, diese Sekretärin, die keine Steuerfahndung zu scheuen braucht, nun ihrerseits wütend scheue Tiere aus ihrer von ihrem Schlaf noch feuchten Höhle scheucht: Allein in der Schwäbischen Alb gibt es zwanzig Höhlenvereine, und es werden täglich mehr. An die 500 Forscher gehen in den Höhlen ein und aus! Schlimmer noch als die pflichtbewußten Wächter setzen wir selbst den Tieren zu, und gerade die Wintermonate scheinen uns dafür besonders attraktiv zu sein. Wie sollen sich da die Fledermausbestände erholen? Die 50 Stück, die Sie hier sehen (Abb.), sind immer noch erschreckend wenig im Vergleich zu den 1000 Tieren, die noch in den fünfziger Jahren hier waren und froh andre Tiere gespeist haben.

Mit einem brutalen Erwachen haben eben nicht nur B. Eichler und ihr Gewissen rechnen müssen, auch für eine Neu Ulmer Fledermaus-Kolonie endete so der Winterschlaf. Bei der Renovierung ihres Quartiers wurden die Abendsegler aus ihrem Schutt gerissen und in den Müllcontainer geworfen. Für viele kam jede Rettung zu spät (dem Rest wurden die Beine geschient), doch wer rettet die vielen andren gefährdeten Gefährten von uns, die ihre Kinder bei Unfällen verlieren und auch sonst nicht viel zu bieten haben? Sie können nicht vor ihrem Herrn aufstehen und lügen. Sie sind auch keine Einzelfälle, die, wenn auch tödlich verunglückt, doch damit zu trösten wären, daß es sie nur einmal und nicht noch einmal gibt. Dieser schreckliche Unfall geht mir nicht aus dem Sinn. Die Flugverbindungen nach Sizilien sind schlecht.

Der Ministerpräsident kann nicht zu uns heimkehren, und auch wir lügen doch recht gern, und, was uns weiters mit diesem Menschen verbindet: Auch wir wissen nichts. Man sagt uns nichts, und wir haben nichts zu sagen. Nicht einmal Quartier erhalten wir, wenn aufgrund eines Kongresses die Hotels ausgebucht sind. Halt, diese kleinen ortstreuen Tiere (die „Kleinen Hufeisennasen“) haben jetzt einen Ulmer Dachraum gefunden, wo sie es warm haben.

Mehr als 500 Arbeitsstunden und 15.000 Mark hat dieses Experiment gekostet, das um unsretwillen keiner wagen würde. Wir können schließlich im Dunklen nicht sehen, nein, diese Gabe besitzen wir nicht. Wir sind nicht diejenigen, für die es sich lohnen würde, 500 Stunden zu arbeiten, wir haben keine Fabrik und kein Bundesland als oberste Dienstgeber zu führen: „Wir gehen davon aus, daß man in fairen Gesprächen mit Uwe Barschel durchaus erreichen kann, daß er sein Landtagsmandat von sich aus zurückgibt, wenn es notwendig ist“, sagt Kribben, der CDU-Kandidat für die Kampfabstimmung, doch vergebens, die Wächter erschrecken nicht vor ihm, sie laufen jetzt alle wie ein einziger Mann los, doch sie kommen zu spät: Die Frau, es handelt sich nicht um Brigitte Eichler, ist von andren (noch dunkleren) Gestalten in einen feindlichen Teil der Stadt gebracht worden, zu dem wir im Augenblick keine Verbindung haben und auch keine haben wollen. Diese Frau ist von einem Ufer ins Wasser gesprungen, gestoßen, geworfen worden, oder sie ist einfach gefallen, was sehr unangenehm werden kann, wenn man sich im Ausland aufhält (West-Berlin). Man kann den Ort nur mit dem Verkehrsmittel Geld erreichen, wenn man diese Frau in einem Ost-Berliner Krankenhaus besuchen will. Jetzt liegt sie dort in ihren dunklen Mantel gehüllt und mit ihren dunklen Haaren, in denen Wassertiere genistet haben.

Ein Boot hat sie aufgehoben und fortgebracht, ach, wären wir nur alle so gut aufgehoben in der Hand der Ost-Berliner Krankenhäuser, in denen man heißen Tee zu trinken bekommt und überall Wächter in den Türen lehnen, wartend, daß man sie holt, damit sie jemanden abholen und zu einem Verhör bringen können. Jetzt löst sich einer von ihnen aus seiner Verankerung und fragt, wo Frau Brigitte Eichler zu finden sei. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Hildegard Hamm-Brücher antwortet jedoch: „Wenn CDU und FDP in drei Wahlgängen keinen Ministerpräsidenten wählen können, soll es zu einer Neuwahl kommen. Wir Freien Demokraten werden in diese mit einer offenen Koalitionsaussage gehen.“

Sollte diese unbequeme Zeugin beseitigt werden? So weit hätte man freilich nicht gehen müssen, sie in einem Ost-Berliner Spital zu verstecken. „Das Mädchen wollte immer was von mir und hat mich überall schlechtgemacht“, erklärt der Angeschuldigte. Und, was schwerer wiegt, er war früher selbst Wächter! Dieser ehemalige Düsseldorfer Polizist und dann noch ein weiterer Polizist (Ralf Voigt und Wolfgang Liebau) laufen rasch über die Straße und dann in ein Gebäude, in dem sie die Notausgänge genau kennen, sie haben schließlich genug Notleidende abgewiesen. Wer von ihnen (oder gar alle beide plus noch einem Dritten, dessen Namen ich vergessen habe) hat am 6. August 1985 den 56jährigen Lorenz Nimwegen ermordet? Na, das ist mir jetzt auch egal.

31. Kapitel

Eduard Kattebohm ist wieder da! Er brütet in Zürich über jener großformatigen Anzeige, die soeben im Tagesanzeiger erschienen ist. Eine Million Schweizer Franken demjenigen, der Informationen geben kann, die zur Ergreifung jener Terroristen führen, welche zwischen 1983 bis 1986 gewisse Anschläge in Lissabon, Rom, Athen, Frankfurt und Paris verübt haben.

Anonymität wird garantiert, Telefonnummern, an die man sich wenden kann, sind angegeben.

Eduard winkt ab. Das ist nichts für Kattebohm. Dann schon lieber, sagt er sich, die Grunderwerbssteuer! An Bargeld fehlt es dem liebenswürdigen Reisenden nicht. Er wünscht sich im Moment nur eines: eine flotte Tango-Kapelle.

Auch das blanke Entsetzen, das sich im Kieler Landeshaus ausbreitet, vermag er nicht zu teilen. Beim Frühstück im Baur au Lac liest er: „Nach Angaben der Staatsanwaltschaft und nach den ersten Aussagen vor dem Untersuchungsausschuß haben Beobachter den Eindruck, daß das Kartenhaus des zurückgetretenen Regierungschefs Barschel Stockwerk für Stockwerk krachend einstürzt.“ Welches Kartenhaus? fragt sich Eduard. Wer ist Barschel?

Zerstreut blickt Edurard Kattebohm von seiner Hotelterrasse aus über den Zürich-See. Ein herrliches Bild des Friedens! Plötzlich sind Schiffssirenen zu hören, Passanten eilen ans Ufer. Eduard glaubt, einer Sinnestäuschung zu erliegen, aber es ist kein Zweifel möglich: Auf dem lachenden See zeichnen sich die grauen Silhouetten des Zerstörers „Mölders“, der Fregatte „Niedersachsen“ und des Versorgungsschiffs „Freiburg“ ab. Die Einsatztruppe der deutschen Marine hat sich in die neutrale Schweiz abgesetzt. Amerikanische Kampfhubschrauber haben sich, unter Verletzung des Schweizer Luftraums, an die Verfolgung der ehrvergessenen Flotte gemacht. Sie kreisen über dem See. Die deutsche Marine hißt die weiße Flagge.

Kattebohm wendet sich achselzuckend von dem erhabenen Schauspiel ab. Er hat andere Sorgen. Wird die Schweiz der Europäischen Gemeinschaft beitreten? Wird die deutsche Fleischverordnung siegen? Noch ist es nicht soweit. Eduard läßt sich, indem er leise „La Paloma“ vor sich hinsummt, seine Erkennungsmelodie, eine weitere Portion französischer Pate bringen.

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