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Nur Menschen halten diese Hölle aus

■ Über drei Monate schon streiken die Arbeiter der türkischen Lederindustrie gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen / Herumliegende Tierkadaver verpesten die Luft, aber Chemiegase vertreiben alle Insekten / Vergiftungen und chronische Erkrankungen grassieren unter den Arbeitern, Arbeitsschutz steht nur auf dem Papier

Aus Instanbul H.Ö. Erzeren

Die Polizei hat an diesem Sonntag Ende September alle Zufahrtsstraßen zu dem Istanbuler Armenviertel Bayrampasa - zu trauriger Berühmtheit gelangt durch das gleichnamige Militärgefängnis, Hungerstreiks und Folter - gesperrt. Nur durch kleine, unwegsame Schotterwege kommt man ins Viertel: Hohe Gefängnismauern, Soldaten und Stacheldraht zeigen nach zweistündiger Auto– Odyssee das Ziel an: Hier am Rande eines Moschee–Neubaus werden die Lederarbeiter, die sich im 90. Streiktag befinden, gegen die Aussperrung demonstrieren. Die Polizei hat mit einer Kette den Kundgebungsplatz abgeriegelt: Ausweiskontrolle, Abtasten des Körpers, Begutachten jeder Zeitschrift und jedes Blatts beschriebenen Papieres, bevor man auf den Kundgebungsplatz gelangen kann. Zentrum des Platzes ist eine notdürftig zusammengebaute Rednerbühne, neben der ein moderner Wasserwerfer postiert ist. Nur etwa 5.000 Teilnehmer haben sich eingefunden, viele LKWs, die die Arbeiter zur Kundgebung bringen sollten, sind vor Bayrampasa von der Polizei gestoppt worden, obwohl die Kundgebung genehmigt ist. Auch die erhoffte Solidarität anderer Gewerkschafter aus dem Dachverband Türk–Is blieb aus. Die 3.500 streikenden Lederarbeiter sind unter sich: Trotzdem summt von der Bühne die Melodie von „Vorwärts und nicht vergessen... die Solidarität...“. Reden streikender Arbeiter und ihrer Gewerkschaftsfunktionäre: Gegen Aussperrung, gegen die antidemokratischen Streik– und Gewerkschaftsgesetze, gegen die Arbeitsbedingungen in der Lederindustrie. „Schluß mit dem Morden am Arbeitsplatz“ und „Aussperrung ist ein Verbrechen“ steht auf den Transparenten. Auch Mitglieder des „Vereins für Menschenrechte“ haben sich eingefunden und reichen eine Unterschriftenliste für die Amnestierung politischer Gefangener herum. Fast ohne Ausnahme wird unterschrieben. Mehr als zwei Streikposten sind verboten Die hier demonstrierenden Lederarbeiter sind zweifelsohne nicht repräsentativ für die türkische Arbeiterklasse, nicht bieder gewerkschaftlich–ökonomistische Forderungen, sondern radikal politisches Engagement bestimmt die Kundgebung. Tosender Beifall: Kaya, der Gewerkschaftsbevollmächtigte des Bezirks Kazlicesme, in dem sich die bestreikten Betriebe befinden, sagt: „Außer unseren Ketten haben wir nichts zu verlieren.“ Ich treffe Kaya ein paar Tage später im Gewerkschaftslokal in Kazlicesme. Die streikenden Arbeiter versammeln sich dort, denn Streiklokale sind verboten, und mehr als zwei Streikposten darf die Gewerkschaft vor den Betrieben nicht postieren. Das von den Militärs erlassene Gewerkschaftsgesetz reglementiert den Streikablauf. Erst zwei Wochen zuvor waren Streikposten und der Vorsitzende der Gewerkschaft Petrol–Is vor dem Kadi, weil sie im März bei einem Streik eine Baracke als Toilette für die Streikposten errichtet hatten. Größe: ein Quadratmeter. Gefängnisstrafen fordert jetzt der Staatsanwalt - wegen Verstoßes gegen das Gewerkschaftsgesetz, denn „eigentliches Ziel der WC–Baracke war Schutz der Streikposten vor Kälte“, so die Anklageschrift. Hüseyin Kaya erzählt über den Streik. Am 24. Juni begann ihn die Gewerkschaft Deri–Is in 33 Betrieben. Der Unternehmerverband sperrte daraufhin in 117 Betrieben aus. Nun stehen 3.500 Arbeiter auf der Straße. Seit dem Militärputsch gab es bisher immer Zwangsschlichtungen, diesmal aber verhandeln Gewerkschaft und Unternehmerverband um den neuen Tarifvertrag. Neben Lohnerhöhungen fordert die Gewerkschaft ein Mitspracherecht bei Kündigungen, verbesserte Arbeitsbedingungen und die 40–Stunden–Woche. „Im Bergbau und in der Lederindustrie herrschen die schlechtesten Arbeitsbedingungen. Nach 15 Jahren sind die Leute kaputt, wenn sie nicht schon vorher Opfer eines Arbeitsunfalles geworden sind. Und das Ganze für 60.000 Türkische Pfund im Monat“, berichtet Kaya. „Sie haben Hasan auf die Wache mitgenommen“, ruft ein Arbeiter, der das Gewerkschaftslokal betritt. „Er hat versucht, die Auslieferung von Waren zu stoppen, da haben ihn die Bullen mitgenommen.“ Nichts Außergewöhnliches sei dies, erzählen mir die Streikenden. Immer wenn der Unternehmer Waren ausliefern wolle, komme die Polizei. „Die knasten uns dann ein paar Stunden oder einen Tag ein, und nach Auslieferung der Ware werden wir freigelassen.“ In der Tat ist Hasan ein paar Stunden später wieder auf freiem Fuß. Nur Menschen, nicht Fliegen halten das aus Zusammen mit einem der Lederarbeiter mache ich mich ins Streikgebiet von Kazlicesme auf, ein zehnminütiger Fußmarsch vom Gewerkschaftslokal. Entlang fünf Meter breiter Gassen ziehen sich zwei bis fünfstöckige Fabrikhallen. Beidseitig der Gassen fließen 50 cm breite, offene Abwasserkanäle - Chemieschaum in allen Ledermodefarben der Saison: blau, braun, lila, schwarz. „Wenn du hier reinfällst, überlebst du nicht“, sagt mein Begleiter. Schwänze und Köpfe der Tiere liegen zusammengehäuft in den Gassen, ein ekelerregender Gestank von Kadaver und Chemikalien bestimmt die Luft. Der Wind weht uns hauchdünne Kadaverpartikel ins Gesicht. Meeresalgen gleich kleben sie als fingerbreite graue Masse an den Außenwänden der Fabrikhallen. Angesichts der aufgehäuften Tierköpfe und Schwänze überlege ich, daß Kazlicesme eigentlich ein Paradies für Ungeziefer und Fliegen sein müßte. Ich irre. Die Chemiegase vertreiben Fliegen und Ungeziefer, nur die Menschen sind es, die diese Hölle frequentieren. Lediglich etwa zehn Prozent der Betriebe arbeiten. Es sind diejenigen, die nicht im Unternehmerverband organisiert sind. Mühelos gelangen wir in einen Betrieb. Acht Arbeiter, mit kniehohen Plastikstiefeln, den Oberkörper nackt oder mit einem kurzärmeligen Hemd bekleidet, waten im Halbdunkel durch Wasserpfüt zen der Halle. An einem trockenen Platz sind Säcke aufgehäuft: Importe aus der BRD. Die Bayer AG findet bei den Lederunternehmern gute Kunden, denn viel Chemie, insbesondere Säuren sind bei der Lederverarbeitung im Spiel: Chrom–, Bor–, Schwefel– und Ameisensäure, Natriumbikarbonat, Athyl–Glykosid, Anilin, Benol und Ammoniak. Nachdem Kopf und Schwanz abgeschnitten sind, wird das Leder zusammen mit diversen chemischen Verbindungen in ein Wasserbecken gelegt. Eine 3,5–Tonnen–Trommel, per Hand gedreht, ist nächster Verarbeitungsort. Die Trommel ist der gefürchtetste Job in der Lederindustrie, hier wird die Chromsäure zugeführt. Blutiger Durchfall, Erbrechen und Krämpfe zeigen akute Vergiftungen, Geschwüre, Ausfallen der Fingernägel und Lungenkrebs sind chronische Erkrankungen. „Hier ist so mancher zum Krüppel geworden“, sagt mein Begleiter. Acht Krüppel durch Arbeitsunfälle zählt die offizielle Statistik für das Jahr 1987 in Kazlicesme. 14 Mark Geldstrafe für das Unternehmen, Knast für Streikende Natürlich gibt es die Arbeitsschutzbestimmungen des Arbeitsministeriums. Sicherheitsvorkehrungen für die Nutzung der Chemikalien und den Betrieb der Maschinen. Doch nirgends kommen sie zur Anwendung. Die Gewerkschaft klagt vor Gerichten. Monate, Jahre später gibt es für den Unternehmer eine Geldstrafe wegen Verstoßes gegen Bestimmungen der Arbeitssicherheit. 7.500 Türkische Pfund, umgerechnet 14 DM. Die zahlt der Unternehmer anstandslos. Ändern tut sich nichts. Denn zu streiken, weil der Unternehmer den Tarifvertrag nicht einhält, Löhne nicht auszahlt oder Arbeitsschutzbestimmungen umgeht, ist nach Gesetz verboten. Dafür gibt es Knast, nicht Geldstrafen. Inmitten des Ekels in Kazlicesmes Gassen postieren sich vor jedem Gebäude alle 50 Meter jeweils zwei Arbeiterinnen, die sich ein weißes, sauberes Laken mit der Aufschrift: „Streikposten“ um die Brust gebunden haben. Fast alle Streikposten sind junge Frauen und Mädchen, denn die Männer haben eher die Möglichkeit, mit Gelegenheitsjobs während der Streiktage die Haushaltskasse aufzubessern. Eine Frau winkt uns herbei. Nicht eine streikende Bilderbuch– Proletarierin mit zornerfüllten Augen, sondern eine strickende Frau um die 35, mit weichen, freundlichen Gesichtszügen. Trotz ihrer Plastikschuhe, die Ärmlichkeit offenbaren, stellt ihr Rock und ihr schönes schwarz– buntes Kopftuch weibliche Eleganz zur Schau. Sie lädt mich zum Tee ein. Wir sprechen über die Kinder, ihren Mann, den Haushalt, den Streik. „Vor dem Putsch hatten die Herren Angst, auf die Straße zu gehen. Aus Angst, sie würden erschossen. Jetzt sind sie die Könige. Ihre Lakaien kontrollieren die Straße.“ Sie weist mit einer Kopfbewegung auf ein Polizeiauto, welches alle fünf Minuten im Schrittempo an unserer Teerunde vorbeifährt. Während des Streiks hatte der türkische Arbeitsminister Mükerram Tascioglu gegenüber der ILO, der internationalen Arbeitsorganisation in Aussicht gestellt, daß ein paar der gesetzlichen Verbote für Gewerkschaften aufgehoben werden. Tage darauf, als er von dem touristischen Küstenstädtchen Cesme aus zu einer Jachttour mit Arbeitgeberpräsident Halit Narin aufbrach, stellte er gegenüber Reportern der Tageszeitung Cumhuriyet klar: „Ich habe es nur der Pflicht halber, wegen der ILO, gesagt“. Cumhuriyet berichtet mit einer Fotoreportage über das zwanglose Treffen in Badehosen: Narin: „Wollen wir die Sandwiches hier oder auf der Jacht zu uns nehmen?“ Tascioglu: „Auf der Jacht“. Während wir inmitten des Gestankes von Kazlicesme unseren Tee schlürfen, muß ich an Cesme denken, an das blaue Wasser der Ägäis, an den Jachthafen, an die vielen Boutiquen, wo jene Lederartikel aus Kazlicesme verkauft werden, die die türkische Tourismusbranche ihres niedrigen Preises und ihrer Qualität wegen preist.

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