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I N T E R V I E W „Resozialisierung? Das ist doch eine Worthülse“

■ Felix Kamphausen, ehemaliger Häftling in Schwerte, Initiator der Gefangenenzeitung Kuckucksei, Mitgründer und Teilhaber des Padligur–Verlags, über seine Erfahrungen im Knast

Warum hast du angefangen, Bücher zu schreiben? Geschrieben habe ich schon als 12/13jähriger - zu Hause, und es war für mich Sprechersatz. Meine alte Dame hat das alles aufbewahrt, und ich habe später während der Haftzeit ein Buch daraus gemacht. Dann wurde das Schreiben für mich eine Art Gesundungsprozeß. Nachdem ich persönlich Belastendes, Autobiographisches losgeworden war, habe ich bemerkt, daß die rechts und links, oben oder unten in den Zellen im Prinzip die gleichen Probleme hatten. Nachdem ich selbst ein bißchen klarblickte - ich hatte mir auch die ganzen theoretischen Knastscheißen reingezogen - habe ich mich auf die anderen Leute konzentriert. Ich habe dann versucht, da so ne Gruppe zu machen, also ne Insel zu schaffen, wo man vom Wolfsklima wegkommt. Haben die anderen sich das denn gefallen lassen? Ich hab von vielen eine Abfuhr gekriegt. Die haben gesagt, früher hat er den Wilden gemacht und heute macht er einen auf Sozialspinner. Im Laufe der Jahre haben die aber gesehen, das war keine Profilneurose, die ausgelebt wird. Ich habe denen gesagt, ich bin überprüfbar - wenn es sein muß bis ins Tagebuch. Ich bin 42 Jahre, habe über 20 Jahre Knast abgesessen (einschließlich der Jugendstrafe) und eins kennengelernt: wenn ich mich nicht öffne, tut es der andere auch nicht. Also muß ich den ersten Schritt tun, auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden. Bist du also ein geglückter Fall von Resozialisierung? Resozialisierung ist eine Worthülse. Der Anspruch stimmt doch nicht. Die Rückfallquote liegt bei über 80 Prozent. Jede Fabrik, die 80 Prozent Ausschuß produziert, wird geschlossen. Und der Staat macht noch Neuinvestitionen, neue Knäste. Also, das haut doch irgendwo nicht hin. Die brauchen die Knäste, die brauchen die Randgruppen, die brauchen die Gefangenen in der Sündenbockfunktion. Je beschissener das Wirtschaftssystem ist, desto größer sind die Schlagzeilen, wenn einer was gemacht hat. Daß die Leute in Haft sich damit erstmal beschäftigen, das wollen die Vertreter der Institution nicht. Bei mir lief das übern Kopf: daß ich nicht mehr kriminell sein will, mich den bestehenden Normen soweit wie möglich anpassen. Das hat bei mir ungefähr sieben Jahre gedauert, danach war ich eigentlich reif, dann hätten sie mich rauslassen können. Solange aber einer gekommen war und sagte: das ist gut für dich und: lern mal das, da war das für mich immer eine ungeheure Erniedrigung. Ich bin immer wieder gescheitert, solange ich das machte, was andere für mich als richtig empfanden. Hat man im Knast deine Aktivitäten unterstützt? Bettücher nähen und Gardinenröllchen klopfen. In Schwerte wollten sie mich mal zum Gärtner machen, aber ich habe manuelle Arbeit abgelehnt. Dafür gabs die üblichen Sanktionen, aber Bestrafung war bei mir nicht drin. Ich bin überbestraft. Zuhause, in der Schule, im Heim, im Jugendknast - ich bin immer bestraft worden und irgendwann funktionierte das bei mir nicht mehr. - Dann sollte ich die Bücherei machen, das hätte doch auch mit Büchern zu tun. Aber Schreiben, Verlagsarbeit? Ne, das wär doch nichts für mich: „Kucken Se mal, Sie haben doch nichts gelernt, Sie haben doch nur Hauptschule“ - „Das macht nichts, ich mach Funkkolleg Literatur“ - „Ne, das geht nicht!“ - „Ja sicher“, sag ich, „ich werd doch das Radio anmachen können“. Dann hab ich Funkkolleg Literatur gemacht, zwei Semester, hab riesig gut abgeschnitten, da sind die beinahe ausgerastet. Warum? Die hatten Angst, daß sich die Gefangenen besser artikulieren konnten und man ihnen intellektuell nicht mehr gewachsen war. Ich hab das gemerkt in Remscheid, da kam von verschiedenen Beamten die Meinung: „Ja dat is ja dat Richtige! Erst knacken sie Banken und dann machen sie hier Abitur. Ich han nur de Hauptschulabschluß“.

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