: Neonazi Kühnen leider kein AIDS?
■ „Spaltung“ der Neonazi–Szene wenige Monate vor der Haftentlassung Michael Kühnens / Anhänger bestreiten seine AIDS–Infektion, bestätigen aber Homosexualität / Kühnen–Gegner: Homosexuelle haben „kein Existenzrecht“
Von Klaus Wolschner
Bremen (taz)–Hat Michael Kühnen, der in Butzbach einsitzende „Führer“ der Neonazi–Szene, AIDS oder nicht? Diese Frage beschäftigt die rechtsradikale Szene, und „spaltet“ die Anhänger der FAP. Seit April dieses Jahres gibt es nun ein „Attest“ des Butzbacher Anstaltsarztes Dr. Zänker über Kühnen, das „AIDS– negativ“ ausweisen soll. Dennoch hat der Stern in seiner Ausgabe vom 24.9. dem Neonazi die Immunschwäche unterstellt. Einer der Neonazis aus dem zweiten Glied, Christian Worch aus Hamburg, hat diese Unterstellung in einem Rundschreiben jetzt zurückgewiesen. Kühnen selbst soll gegenüber dem „Halbjuden Werner Poelchau und dem Ehren– Türken Gerhard Kromschröder“ vom Stern gesagt haben: „Wenn Sie versuchen, mich auf persönliche Weise fertig zu machen, so nach dem Motto, ich hätte AIDS und sei schwul, dann werde ich mich mit rechtlichen Mitteln wehren.“ Was über Kühnens Homosexualität veröffentlicht wurde, solle, so Worch, „durch Anheizung und Schürung der Spaltung weiterhin (...) nationale Kräfte in internen Auseinandersetzungen binden“. Während Worch mit Hinweis auf das Attest - dessen Echtheit FAP–intern angezweifelt wird - die AIDS– Infektion Kühnens ausdrücklich bestreitet, gilt das für die Homosexualität nicht. Kühnen hatte vor einem Jahr eine Broschüre veröffentlicht, in der er den Homosexuellen eine besondere Veranlagung für den „Dienst an der Gemeinschaft“ nachsagt - im Interesse der nationalen Sache sei deshalb „Homosexualität zu fördern“ (vgl. taz 13.10.86). Gegen diese Interpretation hat der Ludwigshafener Neonazi Ernst Tag, nun in einer knappen Broschüre zur Geschichte der Sexualität geantwortet. Weil Männer „im normalen Vererbungsfalle 50 männliche Y–Chromosomen hätten“, stünden sie „auf Messers Schneide“. Denn laut Tags biologischer Erkenntnis macht ein höherer Anteil männlicher Y–Chromosomen „den Mann aggressiver, kämpferischer. Eine „Gefahr für die menschliche Gesellschaft“ bestehe im Einwirken von erwachsenen Homosexuellen auf die männlichen Jugendlichen, „die sich über mehrere Jahre sexuell undefiniert entwickeln“. Ein derartiger Homosexueller sei „gleich einem wilden Tier“, schreibt Tag, „das in unserer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft auch kein Existenzrecht mehr haben kann“. Im Anhang der Broschüre geht es um die Rechtfertigung von Hitlers Vorgehen gegen den homosexuellen SA–Führer Ernst Röhm. Dieser historische Hintergrund wird in der Auseinandersetzung der gespaltenen Neonazi–Szene immer wieder ins Feld geführt, um Führungsansprüche zu untermauern. Christian Worch verspricht, daß Kühnen, der seine Gefängnisstrafe im kommenden Frühjahr abgesessen haben wird, „bald nach seiner Entlassung die Dinge wieder fest im Griff haben wird. Ernst Tag setzt in einer Broschüre dagegen: „Das Zentrum der nationalsozialistischen Bewegung in der BRD ist ein Bauernhof in Weidenthal.“ Dort verkauft er auch seine Broschüre.
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