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Pfeiffers Wahlkampf–AIDS

■ Pfeiffer enthüllt mal wieder: Telefongespräch mit Engholm über angebliche AIDS–Infizierung wurde von ihm in Barschels Auftrag geführt

Von Müller–Schöll u. Bornhöft

Kiel/Berlin (taz) - Reiner Pfeiffer spielte gestern mit der Enthüllung seiner, wie er sagt, letzten subversiven Wahlkampfaktion ein weiteres Mal die Hauptrolle in Kiel. „Ich habe unter dem Decknamen Dr. Wagner bei Björn Engholm angerufen“, sagte er gegenüber dpa. Im Auftrag von Uwe Barschel habe er die tödliche Krankheit AIDS benutzt, um Engholm einen Schock zu versetzen. Er habe sich am 17. Februar als SPD–freundli cher Arzt ausgegeben, Engholm sein Bedauern ausgedrückt und ihm nahe gelegt, sich einem AIDS–Test zu unterziehen, weil ein dem Tode geweihter AIDS– Patient ihm gesagt habe, er sei auch mit Engholm zusammengewesen. Den Namen des Patienten habe er Engholm unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht nicht verraten. Das Gerücht von Engholms Infizierung sollte auch in der Partei und in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Engholm hatte am Mittwoch dem Kieler Untersuchungsausschuß von einem mysteriösen Arzt berichtet, der ihm mitgeteilt habe, daß er von einer tödlichen Krankheit befallen sei. Pfeiffer sagte, er habe sich bisher geschämt, von der Operation zu erzählen; er nannte sie „die schmutzigste Aktion, die wir je gefahren haben“. Nach Barschels Tod sei er entschlossen gewesen, sie nie preiszugeben. Jetzt breche er sein Schweigen, weil Teile bereits bekannt geworden seien. Fortsetzung auf Seite 2 Außerdem habe die Staatsanwaltschaft seinen Bekannten Plogmann bereits dazu vernommen. Unterdessen sucht die Lübecker Staatsanwaltschaft immer noch nach dem mysteriösen Robert Roloff, mit dem sich Barschel angeblich in Genf getroffen haben soll. Der Leitende Oberstaatsanwalt Oswald Kleiner, der gestern vom Untersuchungsausschuß gehört wurde, erzählte von einer neuen Spur, auf die man durch die Durchsuchung von Pfeiffers Wohnung in Hamburg gestoßen sei. Dort habe man Hinweise gefunden, die „auf Fälschungen schließen lassen“. Nach Barschels letzten Notizen soll ein Bekannter von Pfeiffer mit Paßfälschungen zu tun gehabt haben. Nach den Angaben des Staatsanwaltes hat Pfeiffer der Kieler Landesregierung ein gefälschtes Abiturzeugnis vorgelegt. Während in den letzten Tagen vor allem die CDU im Untersuchungsausschuß Anträge gestellt hat, ging gestern die SPD in die Offensive. Ihr Obmann im Ausschuß, Gert Börnsen, warf gestern CDU und FDP vor, sie ignorierten den Auftrag des Ausschusses. Es gehe ihnen nicht darum, „die strukturelle Verfilzung des Staatsapparates mit den wahltaktischen Interessen der Regierungspartei“ zu untersuchen. Die SPD will in nächster Zeit mehrere prominente CDU–Vertreter vor den Ausschuß in Kiel zitieren: Gerhard Stoltenberg, Heiner Geißler, den Vorsitzenden der Landtagsfraktion und designierten Barschel–Ersatz Klaus Kribben sowie den Landes–Generalsekretär Rolf–Rüdiger Reichardt. Außer dem legten die Sozialdemokraten Beweisanträge vor, mit denen Pfeiffers Beziehungen zum Springer–Verlag geklärt werden sollen. Vom Springer–Verlag soll Pfeiffer in seiner Kieler Zeit nach Angaben der Lübecker Staatsanwaltschaft „Beträge von nicht geringer Höhe“ erhalten haben. Vor dem Ausschuß bezifferte Kleiner die Gesamtsumme auf 68.000 Mark. Während der Untersuchungsausschuß noch tagte, breitete sich außerhalb des „Schleswig–Holstein–Saales“ hektische Unruhe aus. Würde die CDU Pfeiffers für heute geplanten Auftritt verhindern, so wie es ihre erklärte Absicht war? Die FDP hatte sich im Ausschuß unklar geäußert. Hinter den Kulissen wühlten die jeweiligen Parteienberater in den Rechtsgrundlagen. Die SPD kündigte an, ihr Ausschußvorsitzender habe bei Pattsituationen das Entscheidungsrecht. Das bestritt die FDP. Dann hieß es, die CDU werde durch ihr Nichterscheinen das Gremium beschluß– und damit handlungsunfähig zu machen. Am späten Nachmittag schließlich erklärte der CDU–Obmann Trutz Graf von Kerssenbrock gegenüber der taz: „Da wir nunmehr davon ausgehen, daß die Beerdigung von Herrn Barschel nicht am Montag stattfinden wird, werden wir morgen an der Sitzung teilnehmen.“ Unterdessen war aus FDP– Kreisen bekannt geworden, daß der Vertreter der Liberalen ohnehin nicht mit der DCU mitziehen wollte. Somit hätte der Ausschuß auch ohne die CDU tagen können. Kerssenbrock zeigte sich überzeugt davon, daß „Herr Pfeiffer morgen erscheint“. Daran zweifelten gestern etliche Beobachter, die meinen, Pfeiffer scheue den zu erwartenden Rummel und die bohrenden Fragen.

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