Das Ziegendrama vom Vogelsberg

■ Im hessischen Schotten sind über 200 Ziegen von der Todesspritze des Veterinärs bedroht, weil der erste bundesdeutsche Ziegenwirt in Konkurs geht

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Schotten (taz) - Wer zufällig rund zwei Millionen deutsche Mark übrig hat und damit ein „modernes Projekt artgerechter Tierhaltung“ retten will, der liegt im Moment bei Deutschlands erstem Ziegenwirt Kurt Brandenburg (58) goldrichtig. Vor knapp zehn Jahren machte der Ex–Schäfer Furore „bis nach China“ (sagt er), weil er die Ziegenhaltung im großen Stil einführte. Jetzt steht er vor dem Ruin. Den Offenbarungseid hat er schon geleistet. Falls sich für den „Oberwaider Ziegenhof“ in Schotten im hessischen Vogelsberg nicht tatsächlich noch ein Käufer finden sollte, steht die Konkursmasse zur Disposition: Fertigbau–Stallungen für etwa 500 Ziegen, ein fahrbarer Melkwagen mit zehn Melkzeugen, zwölf zusammenbaubare Einzelboxen für die Deckzeit, eine funktionsfähige Käserei und - im Moment noch - rund 230 braune und weiße Ziegen. Dazu kommen ein Mistberg, für dessen Abbau etwa 70 bis 100 doppelachsige Lastwagen eingesetzt werden müßten, und ein schmuckes, einstöckiges Landhaus nebst Fischteich. Kein Öko–Mist Brandenburgs Hauptproblem sind die Ziegen. Sie fressen rund 5.000 Ballen Heu pro Jahr und ihrem Besitzer damit die Haare vom Kopf. Für den mittellosen Brandenburg hat jetzt das Kreisveterinäramt in Lauterbach die Futterkosten übernommen - doch nur für wenige Tage. Einem Verkauf der Tiere - „der einzig sinnvollen Lösung“ (Brandenburg) - müßten die Gläubigerbanken und das Landwirtschaftsministerium zustimmen (was sie noch nicht getan haben), denn des Ziegenbauers Verbindlichkeiten belaufen sich mittlerweile auf 1,3 Millionen DM. Außerdem sind von den verbliebenen Ziegen mehrere erkrankt, weil die Stallungen nicht mehr ausgemistet werden können. Wie Brandenburg erst vor wenigen Tagen mitgeteilt wurde, darf er den Ziegenmist nicht mehr auf seinem Gelände zum Berg auftürmen - aus ökologischen Gründen. Bei Regen versickert nämlich die Jauche im Boden und gefährdet so das Grundwasser. Doch das „hat all die Jahre keinen Menschen gestört“, sagt er, dem jetzt das Wasser am Hals steht. Den Ziegen erst recht. Wenn sie noch kränker werden und Brandenburg sie nicht verkaufen kann, droht ihnen das Ende: Sie werden „abgespritzt“. Als einen Ausweg hat Brandenburg dem Amt für Landwirtschaft und Landentwicklung in Lauterbach am vergangenen Mittwoch vorgeschlagen, die 230 Ziegen in das nahegelegene Hofgut Wäldershausen zu verbringen, denn dort seien Strom, Wasser und Heu vorhanden. Dem 1“Oberwaider Ziegenhof“ wird nämlich am 9. November auch der Strom abgestellt. Staatlicher Bockschuß Brandenburgs Unglück begann 1981. Damals wurde sein auf fünf Jahre befristeter Pachtvertrag für den „Petershainer Hof“, den der Ziegenwirt mit der Hessischen Landgesellschaft abgeschlossen hatte, nicht verlängert, obgleich diverse staatliche Stellen ihm ein „vorbildliches Arbeiten im Dienst der Landschaftspflege“ (Grasverbiß der Ziegen) bescheinigt hatten. Gerüchten zufolge beabsichtigte die zu 47 Prozent dem Land Hessen gehörende Hessische Landgesellschaft nämlich, auf dem „Petershainer Hof“ ein Jagddomizil für den staatlichen Bockschuß einzurichten. Doch bis heute steht der Hof leer. Milz–Schmerzensgeld Damals jedoch mußte die Familie Brandenburg samt ihrer Ziegen umsiedeln. Grasland, das für die kostengedämpfte Ziegenhaltung unerläßlich ist, sollte - mit Unterstützung der Hessischen Landgesellschaft - nach und nach dazugekauft werden. Brandenburg hatte Glück und konnte Land, das in der Nähe seines neuen Hofes lag, günstig vom Ortsvorsteher der Nachbargemeinde Einhardhausen pachten. Doch als der Ortsvorsteher eines Nachts einem Bürger mit einem Kleinkaliber die Milz zerschoß, war Brandenburg sein Pachtland los. Der schießwütige Ortsvorsteher mußte seinen Landbesitz verkaufen, um das Schmerzensgeld bezahlen zu können. Von da an ging es mit dem Ziegenhof bergab. Brandenburg mußte teueres Futter einkaufen. Und als ihm dann noch sein Hauptabnehmer für den Ziegenkäse (16 Tonnen jährlich) den Vertrag aufkündigte, wurde der Ziegenwirt in den Bankrott getrieben. Ein für Brandenburg interessanter Nebenaspekt: Der Käsehändler ist jetzt am „Oberwaider Hof“ interessiert. Er will dort einen Reiterhof errichten. Inzwischen haben sich die Grünen im hessischen Landtag in den Fall eingeschaltet. Wie die Landwirtschaftsexpertin der Partei, Irene Soltwedel, gegenüber der taz erklärte, möch ten die Grünen dem Ehepaar Brandenburg helfen, die Ziegen zu verkaufen oder zu verschenken, „damit die nicht getötet werden müssen“. Das Amt für Land wirtschaft und Landesentwicklung will gleichfalls potentielle Ziegenaufkäufer nach Schotten bringen, „damit die Tiere nicht den Löwen im Frankfurter Zoo vorgeworfen werden müssen“ (Amtsleiter Dr. Keil). Am Donnerstag nahm sich auch der Landwirtschaftsausschuß des Landtages der Ziegen an–ohne Ergebnis.