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Woodys „Herde“ ist verwaist

■ Woody Herman, der letzte große Bigband–Leader aus der Swing–Ära, ist tot

Ein wunderbar langsamer, verschleppter, hypnotischer Rhythmus, eine flüsternde Bigband - und dann eine Klarinettenkadenz, die aus dem unteren Register jubilierend aufsteigt und wie eine züngelnde Flamme wieder in sich zusammenfällt - das ging in den 50er und 60er Jahren einmal wöchentlich nachts um 23.00 Uhr als Erkennungsmelodie der Jazzsendung des Süddeutschen Rundfunks über den Äther. Ich hörte gebannt zu, und erst Jahre später erfuhr ich, wie dieses Stück hieß: Es war „Blue Flame“ vom Orchester Woody Herman. Der letzte der großen Swingband–Leader ist jetzt im Alter von 74 Jahren in Los Angeles gestorben. Als Woody 1936 seine erste Band gründete - er spielte Klarinette, Sopran– und Altsaxophon und sang auch - wurde er schnell zum rauhen, ungeschliffenen kleinen Bruder der weißen Bigbandfürsten Benny Goodman, Artie Shaw und Tommy Dorsey. Herman, der Weiße, tendierte zur „schwarzen“ Seite des Swing. Der makellosen Eleganz seiner weißen Konkurrenten zog er die fetzigen Rhythmen schwarzer Swing– und Rhythm & Blues– Bands vor. Was seiner Band am natürlich relaxten Beat zum Beispiel eines Count Basie fehlte, machte er durch schroffe Wildheit wett. „The band that plays the blues“, nannte er programmatisch seine erste Formation, und ein Krawall–Stück wie „Woodchoppers Ball“ wurde sein erster Hit. Sein ungezügeltes „Caldonia“, eine Hymne des R & B, nahm Igor Strawinsky dermaßen für Herman ein, daß er ihm 1945 sein „Ebony Concerto“ schrieb und widmete, eins der ersten Beispiele für die eher unglückliche Liebe zwischen Klassik und Jazz. In den Nachkriegsjahren, der Zeit des radikalen Umbruchs vom Swing zum Bop, wurde die Herman–Band für kurze Zeit zu einer der wichtigsten Gruppen. Die erste und zweite „Herde“, wie Schäfer Herman seitdem seine Bands nannte, waren die radikalsten modernen Bigbands; in ihnen stellten sich die wichtigsten Solisten der neuen Musik vor. Schallplatten aus jener Zeit hatten auf der einen Seite eine Herman–Band, die mit schneidenden Bläsersätzen bop–inspirierte Kompositionen wie „Apple Honey“ und „Wild Root“ spielte, auf der anderen die leicht bluesige Schmusestimme des Leaders, der sich das große Publikum erhalten wollte. Als Hermans Arrangeure Ende der vierziger Jahre den „Four Brothers Sound“ kreierten - die Superstars Stan Getz, Al Cohn, Zoot Sims und Serge Chaloff bildeten den Saxophonsatz der Band aus drei Tenor– und einem Baritonsax -, blieb das über Jahrzehnte ein Markenzeichen des modernen Jazz. In den 50er Jahren geriet Herman wie alle Bigband–Leader in Schwierigkeiten: ökonomische, weil große Bands aus der Mode kamen und kaum noch zu bezahlen waren, und musikalische, weil sich die Stars seiner Band selbständig machten. Eine „Herde“ löste die andere ab, die Gruppen waren ständig auf aufreibenden Tourneen rund um die Welt, um das finanzielle Überleben zu sichern. Herman engagierte jetzt junge Musiker aus den Talentwerkstätten der US–Colleges, engagierte junge Arrangeure, spielte Rock– und Funk–Titel. „Woody Herman and His Young Thundering Herd“ donnerten jetzt über die Konzertbühnen - bis zum 23. März dieses Jahres. Kurz nach einem Auftritt in Minnesota erkrankte Hermann schwer. Ein Foto auf einer Plattenhülle ist vielleicht die schönste Illustration seiner Arbeit in den letzten Jahrzehnten: Die jungen Mitglieder seiner Band werfen, als Football–Team ausstaffiert, ihren „Coach“ Woody hoch in den Himmel. Carlo Ingelfinger

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