Heiter weiter

■ Sandoz - ein Jahr danach

Auf die Chemie ist Verlaß. Pünktlich zum katastrophalen Gedenktag für 150.000 verreckte Aale im Sandoz– gekillten Rhein zieht über den Hafen im westfranzösischen Nantes eine 20 Kilometer lange Giftwolke. Das Jubiläums–Feuerwerk der Branche. 50.000 Menschen werden evakuiert - mit „gemischten“ Gefühlen. Wenige Tage zuvor, am 19.Oktober, hatte in Düsseldorf–Rath ein Chemiekalien–Lager in Flammen gestanden. Wie bei Sandoz verbrannten hochgiftige Pestizide. Wie bei Sandoz stand die Feuerwehr ohne jede Information über die Gefahrstoffe vor der schwelenden Brut. Wie bei Sandoz floß giftiges Löschwasser ab (allerdings nicht in den Rhein, sondern in die Kanalisation). Wie bei Sandoz hüstelte der Umweltminister und verwies auf die zu verschärfende Störfall–Verordnung. Kein Mensch weiß, wieviele Sandoz in der Bundesrepublik vor sich hinlagern. Die Lunte ist gelegt. Das Streichholz liefert ein betrunkener Lagerist, ein Kurzschluß oder der Zufall. Die Aussage, daß ein neues Sandoz jederzeit möglich wäre, ist eine Plattitüde. Der Hinweis auf 70.000 Umweltchemikalien mit einem Zuwachs von jährlich 1.000, auf wachsende Produktions– und Verbrauchszahlen von hochgiftigen Stoffen hat genausowenig Unterhaltungswert. Eine Massenevakuierung ist da spannender. Je großformatiger die Anzeigen der Chemieindustrie werden (ihre Produktion ist inzwischen ein einziges Rückhaltebecken), desto sicherer schleicht die Gewißheit vom nächsten Unfall in die Köpfe. Doch sie löst weder Panik noch Entsetzen aus, sondern Spannung. Und am Ende fast ein anerkennendes Lächeln über die katastrophal–ästhetische Wucht der Ereignisse. Manfred Kriener