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Zurück zum alltäglichen Skandal

■ Ein Jahr nach der Sandoz–Katastrophe ist die „Normalität“ fast wiederhergestellt / Von Thomas Scheuer

Ein Jahr danach scheint in Basel am Rhein die Welt wieder in Ordnung. Ansätze zur Regeneration des Lebens im Rhein sind unverkennbar und Sandoz tut ein übriges, durch aufwendige Aktionen diesen Eindruck zu bestätigen. Grundsätzliche Änderungen jedoch bleiben der Chemieindustrie erspart.

Als mich letztes Jahr um Weihnachten herum der amerikanische Journalist Tom Harris besuchte, drängte er auf einen Lokaltermin am Schauplatz der Sandoz–Katastrophe in Schweizerhalle. Dort, ein paar Autominuten östlich von Basel, waren wenige Wochen zuvor bei einem nächtlichen Großbrand in der Lagerhalle 956 Hunderte Tonnen hochgiftiger Agrochemikalien in die Luft gegangen. Als wir am Einleitungskanal standen, durch den die giftige Injektion in den Rhein geflossen war, und ich in den düstersten Farben den ökologischen Overkill des Flusses ausmalte, deutete sein Zeigefinger plötzlich ins Wasser: „Da, ein Fisch, ist der denn blöd?“ Tatsächlich, da schwänzelte ein Fisch genau in der Abwasserströmung und schnappte in der nach Ammoniak stinkenden Brühe nach weißlichen Flocken. War alles doch wieder mal nicht so schlimm gewesen? Die Container voller toter Aale, deren Fotos durch die Weltpresse flatterten, waren nicht wegzudiskutieren. Noch im Frühjahr verendeten in einem Basler Park Stockenten. Sie hatten, so fanden universitäre Tierhygieniker heraus, mit Sandoz–Gift verseuchte Miesmuscheln gefressen. Doch zehn Jahre, wie es in ersten Schätzungen von Wasser–Experten hieß, wird der Rhein bei Basel wohl doch nicht brauchen, um sich halbwegs auf den Vor–Sandoz– Level zu regenerieren. Als die Basler Berufsfischer im Sommer immer lauter dagegen protestierten, daß auf Basler Stadtgebiet seit dem Chemieunfall Fischfangverbot herrscht, während die Kollegen im Halbkanton Basel–Land schon längst wieder die Netze werfen durften, genehmigte die Regierung einen Testfang. Erste Überraschung: Die Netze waren voll. Zweite: Nach Untersuchungen wurden die Fische zum Verzehr freigegeben. Das Fangverbot ist mittlerweile aufgehoben. Als dann die kantonalen Behörden dem mitten durch die Stadt fließenden Strom auch noch Badequalität bescheinigten, ließen sich an den wenigen heißen Sommertagen viele Basler wie eh und je den Fluß hinuntertreiben. Die Flußschwimmbäder waren voll. Daran, daß die Mehrzahl der Basler den Sandoz–Schock offenbar erfolgreich verdrängt haben, hat die Chemie–Industrie keinen geringen Anteil. Ihr Propagandaaufwand zur Aufpolierung des schwer lädierten Images war so gewaltig wie vielfältig. Da luden der Kantonale Fischerei–Verband und die Sandoz AG gemeinsam in großen Zeitungsinseraten unter dem Titel „Buebe und Maitli: Kömmet go fische“ zum Ferienspaß für Kinder ein. Getränke, Mittagessen, Busfahrt - alles gratis. Viele Rheinschwimmer ließen sich auf aufblasbaren Luftkissen treiben, in denen man auch seine Kleider trocken verstauen kann. Aufschrift: „Schwimm im Rhein“. Die Namen der Sponsoren zeigen, wer ein Interesse daran hatte, durch demonstrative Badefreuden den Sieg des Normalzustandes zu suggerieren: Sandoz, Ciba–Geigy, Hoffmann–La Roche. Vom Katastrophen–Schock läßt sich also, zumindest in Basel, politisch nicht länger zehren. Der Rhein scheint hier tatsächlich schneller, als selbst von Optimisten erwartet, wieder den Zustand vor dem Sandoz–Knall zu erreichen. Erst vor zwei Tagen wies der Chemiker Werner Giger, Experte der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EWAG) aus Zürich darauf hin, daß die ständig durch Landwirtschaft und Industrie in die Gewässer gelangenden Substanzen selbst meist weniger giftig sind als die Metaboliden (Zwischenverbindungen) und neuen Verbindungen, die sich unüberblickbar und unkontrollierbar im Wasser bilden und vermischen. Giger vor der Naturforschenden Gesellschaft in Basel: „Wir sind überfordert und nicht imstande, dieses Gemisch von Wirksubstanzen richtig zu beurteilen. Wir sind der ökotoxikologischen Mixtur ausgeliefert.“ Konsequenzen? „Einen großen Nachholbedarf“ habe die Schweiz bei der Überwachung der Chemieindustrie. Deren Selbstverantwortung „funktioniert ohne Kontrolle nicht.“ Doch um das vielzitierte Chemie–Inspektorat, jene technich be stens ausgerüstete staatliche Superkontrollbehörde, nach der viele Politiker vor einem Jahr lauthals riefen, ist es ganz still geworden. In dem Abschlußbericht, den ein Untersuchungsausschuß der Kantonsregierung Basel–Land vor wenigen Tagen vorlegte, werden die Einrichtung neuer Sicherheits–, Umweltschutz– und Katastrophenschutz–Abteilungen angekündigt. Doch das klingt wieder sehr nach Katastrophenbereinigung statt Vorbeugung. Möglicherweise werden auch nur einige bereits bestehende Stellen, beispielsweise im Baudezernat, einfach umbenannt. Auch die Justiz gibt sich im Umgang mit dem mächtigsten Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler der Region behutsam. Als Brandursache ermittelte der Wissenschaftliche Dienst der Zürcher Polizei das Einschweißen von Paletten mit dem Farbstoff „Berlinerblau“ in Plastikfolien. Bei diesem Vorgang, „Schrumpgen“ genannt, erhitzten sich Farbpartikelchen, die weiterglimmend dann den nächtlichen Brand ausgelöst hätten. Das zuständige Bezirks–Statthalteramt Arlesheim leitete gegen sieben namentlich nicht genannte „verantwortliche Personen“ ein Strafuntersuchungsverfahren wegen fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst ein; Gewässerverschmutzung und Tierquälerei könnten hinzukommen. Die Voruntersuchung, so die Behörde gestern zur taz, sei noch im Gange, stehe aber vor dem Abschluß und werde wohl noch dieses Jahr an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die dann über die Anklage entscheidet. Umweltschützer kritisierten die Arbeit der Ermittlungsbehörden: Warum bei Sandoz nie Unterlagen sichergestellt worden seien, fragen sie. Kumpelhaft hätten sich die Fahnder mit dem zufrieden gegeben, was ihnen Sandoz im Rahmen freiwilliger Zusammenarbeit auf den Tisch gelegt hätte. Aber auch die Protestbewegung, die vor einem Jahr Tausende betroffener Menschen auf die Straßen brachte und zu vielfältigen Aktivitäten mobilisieren konnte, scheint nach einem Jahr erlahmt, die Reste organisato risch zerfranst. Die damals neu gegründete „Aktion Selbstschutz“, die sich als Dachorganisation der vielen Aktionsgruppen und Arbeitskreise verstand, ist im wesentlichen auf ein Sekretariat zusammengeschrumpft, in dem die obligatorisch Unermüdlichen - in direkter Nachbarschaft der Sandoz–Konzernzentrale - die Aktionen fürs Jubiläumswochenende vorbereiten. „Keine einzige durchschlagende Aktion“, wie der Öko–Journalist Peter Haber kritisiert, sondern eine Palette von Aktiönchen: Mitternachtsgottesdienst zum Thema „Feuer, Wasser, Leben“, mitternächtliche Fackelzüge und Brückenbesetzungen - polizeilich genehmigt. Greenpeace wird original Rhein– Quellwasser ausschenken. Derweil hat sich, so konstatieren zwei soeben veröffentlichte Meinungsumfragen übereinstimmend, das Vertrauen der Bevölkerung in die örtliche Chemie wieder eingerenkt. Die Befragten schätzten die Gefahren der Chemieindustrie „deutlich geringer“ ein als noch vor einem Jahr. Mehr als die Hälfte der Befragten meint, man solle nicht weniger Chemie einsetzen, sondern stattdessen die Sicherheitsmaßnahmen verstärken.

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