Die Stütze ist für alle da

■ Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch für die, deren Eltern „zuviel“ verdienen / Arbeitsamt contra Bundessozialgericht / Recht muß eingeklagt werden

Von Karl Nolte

Berlin (taz) - Offensichtlich zu Unrecht verweigern Arbeitsämter seit Jahren beträchtlichen Teil von Arbeitslosenhilfe–Berechtigten die Unterstützung: Weil die Eltern der Betroffenen in ihre Unterhaltspflicht genommen seien, lautet die amtshoheitliche Entscheidung, entfalle ganz oder teilweise der Anspruch auf Hilfe. Doch mit dieser Auffassung be findet sich die Bundesanstalt in Nürnberg im Widerstreit mit geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung. Beruflich qualifizierte Arbeitslose, die gegen solchen Bescheid des Arbeitsamtes Widerspruch einlegen und anschließend klagen, gewinnen. Die in ihrer Zahl wachsenden Kläger stützen sich dabei auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 13.6.1985 (Az.: 7 RAr 93/84), wonach ein Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern „grundsätzlich davon abhängt, ob der Volljährige außerstande ist, sich selbst zu unterhalten“. Das sind nach §1602BGB allerdings die wenigsten: Einem ledigen, ausgebildeten Volljährigen ist danach zuzumuten, zur Bestreitung seines Lebensunterhalts berufsfremde Arbeit in einer anderen Stadt aufzunehmen. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Der bürgerlichen Rechtsprechung steht jedoch die sogenannte „Zumutbarkeitsanordnung“ der Bundesanstalt für Arbeit entgegen. Aufgrund dieser Verordnung haben qualifizierte Arbeitslose das Recht, die Aufnahme einer Tätigkeit als Hilfsarbeiter zu verweigern, um sich für eine Vermittlung im erlernten Beruf freizuhalten. Wer sich aufgrund dieser Verordnung gegen den Antritt jedweder Hilfsarbeit sträubt, hat damit gleichzeitig seinen Anspruch auf Unterhalt gegenüber seinen Eltern verwirkt und kann Arbeitslosenhilfte (Alhi) verlangen. Freiwillig rückt das Arbeitsamt die zustehende Hilfe allerdings nicht heraus: Aufgrund einer internen Weisung aus Nürnberg sind die zuständigen Sachbearbeiter im Gegenteil gehalten, das Einkommen der Eltern von Alhi–Berechtigten bei der Berechnung der Stütze grundsätzlich zu berücksichtigen. Wer sein Recht auf Alhi geltend machen will, muß darum Widerspruch gegen entsprechende Bescheide einlegen und anschließend klagen. In Unkenntnis der für sie günstigen Rechtslage prozessieren natürlich die wenigsten - nicht gerade zum Schaden des Staates, der dadurch Millionen an sonst fälliger Stütze spart. Der Hamburger Rechtsanwalt Lampe, der sich auf derartige Sozialgerichtsprozesse spezialisiert hat und für seine Klienten Alhi einklagt, findet die kategorische Zahlungsweigerung der Arbeitsämter in diesen Fällen „angesichts der gültigen Rechtsprechung des BSG schon ein bißchen dreist“. Ein leitender Beamter der Bundesanstalt für Arbeit sieht das verständlicherweise anders: „Ein fiktiver Unterhaltsanspruch muß angerechnet werden, wenn der Arbeitslose diesen selbst vereitelt hat.“ Mit dieser Begründung gehen die Arbeitsämter denn auch ständig in die Berufung, sofern ein milder Richter nach §160 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wegen der „grundsätzlichen Bedeutung des Falles“ diese zuläßt. Mit ihrer Taktik hat die Bundesanstalt erreicht, daß Revisionsverfahren in dieser Sache vor dem Siebten Senat des BSG erneut anhängig sind, wie dessen Vorsitzender Prof. Dr. Erwin Brocke auf Anfrage bestätigt. Mit einem Erfolg des Amts in dem Rechtsstreit ist kaum zu rechnen: Das Gericht müßte dann schon seine eigene Entscheidung von 1985 einkassieren. Ein Urteil des Senats wird für Anfang nächsten Jahres erwartet. Bis dahin dürfte es der Bundesanstalt noch öfter passieren, daß sie - wie im Fall des Orgelbauers Peter D. in Hamburg - vom Sozialrichter wegen Weiterführung des Verfahrens zu Mutwillenskosten verdonnert wird. Begründung: „Die Fortführung des Rechtsstreites war im Hinblick auf die eindeutige Sach– und Rechtslage für die Beklagte (das Arbeitsamt) objektiv aussichtslos.“ (Az.: 7 AR 587/86).