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Krieg, Krieg - bis zum Sieg

■ Schiitisches Märtyrerfest in Schiras: noch keine Kriegsmüdigkeit im Iran / Die Revolutionsgarden Pasdaran haben erfolgreich einen Staat im Staate errichtet

Aus Teheran Bernhard Trautner

„Hussein, Hussein, bist alleine draußen in der Wüste, komm in das Zelt des Ruhollah (Khomeini)“, schallt der lautsprecherverstärkte Sprechgesang über die Köpfe der Menschenmenge hinweg, die zu nächtlicher Stunde die Straßen von Shiraz säumen. Vorabend des Qatl, Höhepunkt des Trauermonats Moharram, hunderte junger Männer und Knaben in schwarzen Hemden schlagen sich im Takt schwere Eisenketten auf die Schultern. Die Prozession zu Ehren des Märtyrers Hussein, des religiösen Stammvaters der Schiiten, bewegt sich weiter durch Schiras, die Hauptstadt der Zentralprovinz Fars. Ein Modell der Kaaba, des höchsten moslemischen Heiligtums, wird „blutbefleckt“ durch die Straßen gezogen. Anspielung auf das Massaker an iranischen Pilgern in Mekka. „Hussein, Hussein“, die Männer schlagen sich im Takt des Vorsängern die rechte Hand auf die Brust. Nachbauten der heiligen Stätten werden durch die ausgeleuchteten Straßen gesteuert; darin aufgestellt, die Photos der im Krieg Gefallenen: häufig Knaben zwischen 13 und 18 Jahren. Die als Invalide Überlebenden bilden einen eigenen Teil des Zuges; dutzende junger Männer in Rollstühlen werden der Menge vorgeführt; der Krieg reiht sich nahtlos in die von Märtyrertum bestimmte Geschichte der Schiiten ein. Märtyrertum nicht aus religiösem Selbstzweck, sondern eher aus politischem Kalkül. Im Gegensatz zum Kriegsgegner Irak braucht sich der auch wesentlich volksreichere Iran keine Nachwuchssorgen um Kriegsfreiwillige zu machen. Kriegsdienst gilt nicht nur als Alternative zur weitverbreiteten Arbeitslosigkeit und sozialer Absicherung - besonders der Hinterbliebenen - sondern als Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung um Arbeit und als Pflicht nach einem abgeschlossenen Studium. Die Privilegien eines Märtyrers Zahlreiche Privilegien sind mit der Teilnahme am Krieg verbunden; die Revolution vrgißt ihre Kinder nicht: Bevorzugung bei der Vergabe von Wohnraum, verbilligter Einkauf in staatlichen Geschäften, jegliche Art materieller Unterstützung durch den örtlichen Mullah. So wird für beinamputierte Kriegsheimkehrer ein Gefährt, zwei durch einen Mittelsitz verbundene Motorräder, zusammengebastelt, das volle Bewegungsfreiheit ermöglicht. Darüber hinaus gilt der „Heilige Krieg“ als Pflicht eines jeden Moslems; es verwundert nicht, wenn schon drei Tage nach der Fernsehansprache des Premierministers Mussawi zum Golfkrieg bereits 500 bis 600 Kriegsfreiwillige (Bassiji) zwischen 13 und 70 Jahren auf dem ehemaligen Schahplatz (jetzt Platz des Imam) in Esphahan unter dem Beifall der Familien verabschiedet werden. Die roten Stirnbänder „Djang, Djang ta Pirouzi“ - „Krieg, Krieg bis zum Sieg“ oder „Mit der Hilfe des Gottessohnes“ lassen an ihrer religiösen Motivation und Entschlossenheit keinen Zweifel. Nach einem gemeinsamen Gebet in der Königsmoschee, das Gepäck tragen sie schon bei sich, werden sie unter fünf mal fünf Meter großen Portraits Khomeinis und seines Nachfolgers Montazeri in Busse verladen und an die Front transportiert. „Wie sollen wir einen Krieg beenden können, der Hunderttausende unserer Männer das Leben gekostet hat - ohne Garantie, daß ein solcher Überfall nicht erneut passiert?“ meint ver bittert sogar ein ehemaliger Oberst der Schah–Armee; unter Khomeini saß er zwei Jahre lang im Gefängnis. „So viele Familien haben einen oder mehrere Söhne im Krieg gegen Saddam verloren, und dennoch oder gerade deswegen wollen sie ihn fortsetzen - bis zum Sieg. Dafür geben dann auch die Frauen der ärmeren Schiiten ihren oft einzigen Wertbesitz, ihre Goldarmreifen, beim örtlichen Mullah ab“, bemerkt mein Begleiter. Der Doppelstaat der Pasdaran Ein ergebnisloser Abbruch des Krieges ohne den Sturz Saddam Husseins, oder zumindest seine Brandmarkung als Aggressor, dürfte gerade gegenüber dem einfachen Volk, das am meisten materielle und Menschenverluste erlitten hat, nur sehr schwer zu vertreten sein. Dennoch, die Revolutionsgarden „Pasdaran“ beherrschen das öffentliche Leben; das Aufgreifen nicht ordnungsgemäß islamisch gekleideter Frauen auf der Straße und nächtliche Straßenkontrollen zur Trunkenheitsüberprüfung gehören auch im neunten Jahr der Revolution zum Alltag. Alkohol am Steuer ist, trotz drakonischer Strafen, zu einem ernsten Problem für den ohnehin chaotischen Straßenverkehr Teherans geworden. Eine Deutsche, seit 25 Jahren im Iran lebend, spottet: „Der Schah hat die Menschen das Trinken gelehrt, Khomeini hat uns den Alkohol machen gelehrt.“ Das Risiko ist beträchtlich, wird ein Alkoholsünder ertappt, wird versucht, die Quelle des verbotenen Getränks aufzuspüren, was mit einer Razzia und der Vorführung der Beteiligten vor dem „Komitee“ endet. 80 Peitschenhiebe für jeden, eventuell auch öffentlich, sind das mittlere Strafmaß. Eine Szene im September auf der Chiaban–e–Kargar - Straße des Arbeiters: Vier Pasdaran zerren zwei uniformierte, völlig verschreckte Polizisten in ihr Patrouillenauto und brausen davon. Ein nicht alltäglicher Übergriff, dennoch typisch für die innenpolitische Situation: die der Polizeiorganisaition formell gleichgestellte, mittlerweile aber in den Augen der Bevölkerung weitaus mächtigere Pasdar–Organisation - geschätzte Stärke 2,5 bis 5 Millionen Männer und Knaben unter Waffen - hat sich faktisch als innenpolitische Ordnungsmacht etabliert. Ihre Kämpfer rekrutieren sich zu großen Teilen aus ärmeren, in der Schah–Ära unterprivilegierten Schichten; die Pasdar– Organisation ist ihre Chance, aufzusteigen. Ähnlich wie die Kriegsfreiwilligen werden die „Sittenwächter“ und ihre Familien bei der Zuteilung der Lebensmittelcoupons und bei der Wohnungsvergabe bevorzugt behandelt. Vor allem aber erhalten sie eine Waffe und uneingeschränkte Vollmachten; sie handeln aber praktisch ohne Rechtsgrundlage im klassischen Sinn. Ein ehemaliger Dozent der Polizeiakademie Teherans meinte dazu: „Für die jungen Männer zum Beispiel aus dem ärmeren Süden Teherans, die in der Schahzeit ohne Chance auf Ausbildung und Aufstieg geblieben wären, ist dies eine großartige Gelegenheit, den Spieß umzudrehen. Sie können nun die Mitglieder der reichen Oberschicht, insbesondere die Frauen wegen der Einhaltung der islamischen KLeidervorschriften, aufgreifen und damit ihre Macht demonstrieren.“ Es stellt sich nicht nur die offensichtliche Frage nach der Nachfolge Chomeinis, sondern auch nach der Zukunft seiner Revolutionsgarden, die bereits über eigene Streitkräfte neben der regulären Armee verfügen. Ein Basarhändler in Esphahan, einer Stadt, die als sehr fest im Zugriff der Pasdaran gilt, drückte seine Besorgnis aus: „Welche von diesen jetzt noch privilegierten Familien wäre denn bei einer innenpolitischen Normalisierung bereit, auf ihre Vorrechte zu verzichten ? Sie werden ihre errungene Position sehr wohl zu verteidigen wissen.“

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