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Alternative Ökonomie: Mühen am Berg und in der Ebene

■ Diskussionsbeiträge über die Entwicklung einer Selbstverwaltungswirtschaft / Mythos der alternativen Autarkie ist dahin BUCHREZESSION

Linksintellektuelle feiern ihn schon seit Jahren, den Abgesang auf die Alternativen. Etablierte wie die Genossenschaftsverbände, Teile der SPD und der Gewerkschaften entdecken sie erst langsam, die alternative Ökonomie. Unentwegte Aktivisten nehmen wenig Notiz davon. Sie „bauen“ weiter: Ökobankgenossenschaft, Contraste als Zeitung für Selbstverwaltung, Bundesarbeitsgemeinschaft der Netzwerker und dicke Buchwälzer. Letzteres hat einmal mehr Rolf Schwendter zu verantworten. Als Alt–Troubadour auf der Trommel, Mitinitiator vieler alternativ– ökonomischer Projekte, Veteran der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise, der AG SPAK, und Hochschullehrer für Subkulturforschung gibt es wenige, die dies fundierter können. Um es vorwegzunehmen: Die beiden von Schwendter herausgegebenen Bände „Mühen der Berge“ und „Mühen der Ebenen“ sind der Mühe wert. Aktuell ist es die umfassendste Zusammenstellung alter und neuer Diskussionsbeiträge zur alternativen Ökonomie. Sie hätte enzyklopädischen Charakter, wenn, ja wenn nicht ein Stichwort– und Autorenverzeichnis sowie eine ausführliche Bibliographie fehlen würden. Dies ändert nichts daran, daß die Entwicklung der letzten zehn Jahre in der theoretischen Diskussion und der praktischen Entwicklung durch die Aufnahme unterschiedlichster Beiträge gut nachvollzogen wurde. Der Untertitel der Bücher „Grundlegungen zur alternativen Ökonomie“ verspricht nicht zu wenig. Der erste Band - der mit den Bergen - hebt mehr auf den überbetrieblichen politischen Blickwinkel ab. Enthalten sind Diskussionsbeiträge, die die vorherrschenden Formen des Lebens und der Arbeit in Frage stellen und auf radikale Veränderung abzielen. Neben Texten zur Geschichte der Gegenwirtschaft wie „Die Kooperationsfabrik“ von Marx sind zeitgeschichtliche Utopien und Globalkritiken aufgeführt. Zu nennen ist beispielsweise Roszak: „Eine Wirtschaft der Permanenz“. Analytische Abhandlungen zur ökonomischen, kulturellen und sozialen Bewertung alternativer Wirtschaftsformen bietet das dritte Kapitel. Ihnen folgen grundsätzliche Kritiken an den Alternativen aus traditionell linker Sichtweise. Mit seinen obligatorischen Notaten schließt Schwendter den ersten Band ab. Er stellt fest, daß der „Mythos der Autarkie“ beziehungswweise die „Illusion vom Freistaat“ der siebziger Jahre entschwunden sind. Sie sind bescheideneren Bewältigungsversuchen des „markt– und staatskneteorientierten“ Alltags gewichen. Das dargestellte Spektrum verschiedenster Vorstellungen spiegelt das Konzept der „Antwortenvielfalt“ des Herausgebers wieder: „Von nun an wird Selbstverwaltungswirtschaft, herrschaftsfreie Gesellschaft nicht anders denkbar sein denn als ein (...) Sammelsurium von höchst verschiedenartigen Kommunen, Genossenschaften, Projekten, Vereinigungen, Gemeinschaften, Produktionseinheiten, Kollektiven.“ Im zweiten Band der „Ebenen“ werden die Schwierigkeiten bei der Umsetzung alternativ–ökonomischer Projekte thematisiert. So sind viele übergewechselt vom überhöhten utopischen Entwurf zu ganz normalem Handeln im Wirtschaftsalltag. Zwar scheinen auch im „Kleinkampf“ radikale Veränderungsabsichten durch, doch drängen sich mit Ausbreitung und Reifung alternativer Ökonomie Konflikte und pragmatische Ansätze zu ihrer Lösung in den Vordergrund. Entsprechend präsentieren die 35 Buchbeiträge viele Detailkritiken und an Erfahrungswissen reiche Analysen. Es wird aber auch versucht, strategische Antworten zu geben auf die Herausforderungen durch Markt, Staat und Konkurrenten innerhalb der alternativen Bewegung. Im zweiten Kapitel geht es unter anderem um die „soziologische“ Verortung der Mitglieder der neuen Ökonomie und dem Versuch, anspruchskonforme Organisations– und Motivationsstrukturen zu entwickeln. Zwischenbilanzen zur Umsetzung der Kommune–Idee, zur Erarbeitung eines Modells ökologischer Wirtschaftsordnung und zur Verwirklichung von Frauenforderungen in der Selbstverwaltungswirtschaft runden das dritte Kapitel ab. Das letzte Kapitel steht unter dem Stichwort zur nächsten Zukunft der alternativen Ökonomie. Dazu werden verschiedene praktisch–strategische Überlegungen diskutiert. So geht es beispielsweise um ein Markenzeichen made in Selbstverwaltung, um politisches Marketing für die Sandino Dröhnung und zur Unterstützung eines Belegschaftsbetriebes. Ebenso wird die Auseinandersetzung um genossenschaftliches Wohnen und um die Stärkung der Naturkostbewegung durch neue Organisationsformen als Bestandteil vorwärtstreibender Überlegungen angesehen. Wie im Band zuvor sind die Notaten wieder krönender Abschluß. Sein Resümee ist verhalten optimistisch. Nach seiner Einschätzung „hat sich, und zwar auf konkret–realistischem Boden, die Vision einer Selbstverwaltungsgesellschaft verstärkt. Gleichzeitig sind die vielfältigen Konfliktlinien und Brüche klar geworden, die eine auch nur ansatzweise Realisierung dieser Vision in eine weite Ferne hinausrücken.“ Oder mit Brecht ausgedrückt: „Das Ziel lag in weiter Ferne / wenngleich deutlich sichtbar.“ Darüber, wie die Umsetzung sein wird, kann und will Schwendter nichts schreiben. „Das“ müsse „die Praxis erweisen.“ Rolf Schwendter (Hrsg.): Grundlegungen zur alternativen Ökonomie. Band 1: Die Mühen der Berge. Band 2: Die Mühen der Ebenen. München 1986, Einzelpreis: 24 DM, zusammen 39 DM. Bestellbar bei: AG SPAK - Publikationen, Kistlerstr. 1, 8000 München 90

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