I N T E R V I E W „Es war einfach unfaßbar“

■ Achim Bender, Sprecher der Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung Frankfurt, war Augenzeuge der Ereignisse / Die „politische Verantwortung“ der BI

taz: Warst du am Montagabend bei den Auseinandersetzungen an der Startbahn dabei? Achim Bender: Ja. Kannst du uns schildern, was du beobachtet hast? Um 19 Uhr hatte sich ab Mörfelden–Schlichter der Fackel– und Demonstrationszug formiert. Es waren so zwischen 200 und 300 Leute, aber unterwegs kamen dann aus anderen Richtungen vom Wald auch noch Leute dazu. Als der Demonstrationszug dann am südlichen Teil der Startbahn eingetroffen ist, haben sich die Demonstranten dort verteilt. Es wurden dann Barrikaden gebaut, weil bekannt war, daß die Polizei mit starken Kräften im Unterholz liegen würde. Dann passierte erst mal eine halbe Stunde gar nichts. Dann wurde dazu aufgefordert, die Versammlung zu beenden und sofort aufzulösen. Das wurde mit Leuchtkugeln beantwortet, dann ging es hin und her mit Wasserwerfern, Gasgranaten und so weiter. Die Polizei, die im Wald gelegen hat, ist dann vorgerückt zu den Demonstranten, die sich schon zuvor hinter die Barrikaden zurückgezogen hatten. Da kam es dann zu schweren Auseinandersetzungen mit Molotow– Cocktails, Leuchtkugeln und so weiter. Die Polizei wurde aufgehalten, und sie ist schwer in Bedrängnis geraten, mußte sich teilweise wieder zurückziehen. Die Polizei ist dann mit verstärkten Kräften aus der Startbahn–Mauer vorgerückt, daraufhin haben sich die Leute zurückgezogen. Wenn du von „Leuten“ sprichst, meinst du damit den autonomen Block oder waren noch andere Demonstranten dabei? Ich würde sagen, das war gemischt. Von der Kleidung her natürlich nicht. Da sind alle der Situation angepaßt gewesen. Aber von dem, was sie im Kopf haben, war es eher gemischt. Und wann sind dann die Schüsse gefallen? Die Leute haben sich zum Teil fluchtartig zurückgezogen, weil es dort eine sehr enge Stelle ist, und es ist schwierig, vom Startbahn–Gelände wieder auf die Wiese zu kommen. Die Polizei ist dann vorgerückt zu den brennenden Barrikaden zwischen Mauer und Wiese und dort sind dann die Schüsse gefallen. Die Polizei hat zunächst überhaupt nicht realisiert, was da passiert ist und ist dann über die Brücke rüber den Leuten nach, hat einzelne Leute festgenommen und dann erst begriffen, was überhaupt passiert ist. Wo genau sind die Schüsse gefallen? Die Nachrichtenagenturen behaupten, „aus den Reihen der Demonstranten heraus“. Trifft das zu? Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt hinter der Polizei befunden. Ich bin mit anderen der Polizei gefolgt. Haben andere BI–Mitglieder oder Demonstranten, die du kennst, gesehen, wer geschossen hat? Man kann nur sagen, daß in dem Augenblick, in dem die Polizei bei den Barrikaden angekommen ist, daß zu diesem Zeitpunkt mit Leuchtkugeln, Molotow–Cocktails und mit Stahlkugeln geschossen worden ist. Es war sehr laut, es hat öfter geknallt, weil auch die Polizei mit Signalmunition geschossen hat, um die Wiese zu beleuchten. Man kann nicht sagen, mit was und wer da geschossen hat. Nochmal: Kamen die Schüsse aus den Reihen oder aus der Mitte der Demonstranten? Ich kann nur sagen, es ist von den Wiesen her geschossen worden. Das ist ein sehr unübersichtliches Gelände und es war dunkel. Wenn man Richtung Süden flieht, dann erstreckt sich dort eine sehr breite Wiese. Durch die Büsche ist das Gelände aber schlecht einsehbar. Es muß dort geschossen worden sein, aber man kann nicht sagen, wer und wie. Die Polizei hat dann versucht, über die Wiesen nachzusetzen. Dann haben die sich aber erstmal um ihre Leute gekümmert. Die haben die Verletzten gesucht, was sehr schwierig war, weil man nichts sah, es war ja sehr dunkel in diesem Bereich. Der Hubschrauber hat versucht, das Terrain auszuleuchten, aber es war dennoch sehr dunkel. Ich bin mit drei, vier Leuten bei den Hundertschaften gestanden. Die Polizisten waren natürlich sehr betroffen und sehr aggressiv. Die waren sehr bestürzt und teilweise unfähig, überhaupt noch irgendetwas zu machen. Die Polizei ist dann mit ihren Verletzten zurück hinter die Mauer und wir sind dann nach Mörfelden. Dort standen schon überall Straßensperren, sämtliche Autos wurden durchsucht. Ein Riesen– Aufruhr, aber niemand wußte zu diesem Zeitpunkt, was genau passiert war. Das ist erst langsam durchgesickert. Ich hab dann auch meine Sachen berichtet. Das hat zuerst niemand geglaubt. Es war einfach unfaßbar. Das konnte einfach niemand glauben. Was ist deine Reaktion? Ich kriegs einfach nicht auf die Reihe. Ich versteh das nicht mehr. Die Informationen verdichten sich so, daß es offenbar doch aus den Reihen der Demonstranten gekommen ist. Es gibt jetzt sehr viele Spekulationen und man kann natürlich nichts ausschließen. Aber es ist einfach unfaßbar. Ihr habt in einer Stellungnahme die politische Verantwortung für die Ereignisse übernommen. Es gab dabei Differenzen und auch Argumente dagegen. Es ist natürlich sehr pauschal, zu sagen, wir übernehmen die politische Verantwortung. Wir haben - das muß man festhalten - nicht zu der Demonstration am Montag aufgerufen. Aber wir stecken seit sieben, acht Jahren in dieser Auseinandersetzung. Wir haben sie mitgeführt. Es war ein Prozeß, eine Entwicklung, und das, was heute nacht passiert ist, ist Teil dieser Entwicklung. Damit muß man sich auseinandersetzen. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, daß Provokateure oder sonst jemand geschossen hat, und man muß das überprüfen. Nach dem, was passiert ist, stehen wir hier sehr unter Druck, die Leute sind entsetzt... Aber sich dann zu opfern und zu sagen, wir übernehmen erstmal die politische Verantwortunmg, erscheint mit zumindest unreflektiert. Es ist ein entscheidender Unterschied, wo man gestern nacht gewesen ist. In Berlin hat man natürlich eine viel größere Distanz, als wenn man diese Ereignisse selbst miterlebt und das gesehen hat. Wir müssen zu unserer Erklärung, die nachts um halb drei formuliert wurde, dazu müssen wir stehen und wir müssen sagen, was wir unter politischer Verantwortung verstehen. Gibt es für dich eine Kontinuität im Startbahn– Widerstand von den ersten Platzbesetzungen bis zu den Schüssen am Montag? Ich bin einfach nicht mehr in der Lage, darauf zu antworten. Ich kann dir jetzt keine Analyse geben. Das sind Fragen, über die wir sprechen müssen. Hat es eine Zwangsläufigkeit über die Jahre hinweg gegeben, die dorthin geführt hat, wo wir gestern nacht waren? Traust du den Leuten, die du kennst und mit denen zu Sonntag für Sonntag demonstrieren gehst, traust du denen zu, daß sie kaltblütig auf Polizisten schießen? Meine ganz persönliche Meinung ist, daß es dazu kommen kann, daß einzelne dazu fähig sind. Wenn die politische Kultur zerfällt, ist alles möglich. Und die politische Kultur ist zerfallen. Interview: Manfred Kriener