: Magie, Erotik und Befreiungskampf
■ Feministinnentreffen in Lateinamerika. Die Bewegung ist gewachsen, doch vor „falscher Harmonie“ und „Leerformeln“ wird gewarnt
Von Ulrike Helwerth
Tanzende Hexen und Erdgöttinnen, Fackelschein und Sphärenklänge begrüßten zum Auftakt des vierten lateinamerikanischen und karibischen Feministinnentreffens Frauen aus fast allen Ländern Lateinamerikas und der Karibik, aber auch aus Europa und Nordamerika. In einer riesigen Tropfsteinhöhle, irgendwo in den mexikanischen Bergen überraschten die Gastgeberinnen mit einem spirituellen Happening. Danach ging es fünf Tage in das Bergdorf Taxco, Touristenmekka, 2 1/2 Stunden von Mexiko City entfernt. Die Bevölkerung, an Invasionen gewöhnt und davon lebend, staunte nicht schlecht, als eine Armada von Reisebussen voll von Frauen, Frauen und noch mal Frauen einrollte und die Hotels in Besitz nahm. Die mexikanischen Organisatorinnen des Treffens machten aus der Not eine Tugend und forderten die Teilnehmerinnen auf, das wachsende Chaos durch „Selbstverwaltung“ und „Autonomie“ in den Griff zu bekommen. Sie waren deutlich überfordert. Rund 900 Anmeldungen hatten sie erhalten, knapp 1.500 Frauen waren gekommen. Damit hatte sich die Teilnehmerinnenzahl seit dem ersten Treffen 1981 in Bogota/Kolumbien verfünffacht. „Wir sind längst keine kleinen isolierten Zirkel mehr“, lauteten die freudigen Kommentare. Verändert hatte sich aber nicht nur die Zahl der Teilnehmerinnen sondern auch deren Zusammensetzung. Während in früheren Jahren die „kleinbürgerlichen“ Feministinnen weitgehend unter sich geblieben waren, mischten sich dieses Mal einige „Frauen aus dem Volk“ darunter, nicht zuletzt durch die finanzielle Unterstützung ausländischer Organisationen. Denn wer dabei sein wollte, mußte ganz schön in die Tasche greifen: 100 Dollar zahlten die Latinas, 200 Dollar die Teilnehmerinnen aus der „ersten Welt“. Allein die Ford Foundation hatte 50.000 Dollar für das Treffen locker gemacht. Zum ersten Mal offiziell dabei waren auch Vertreterinnen verschiedener Volksorganisationen aus El Salvador, Guatemala und Honduras. Das nicaraguanische Fraueninstitut (Instituto de la mujer nicaraguense) war vertreten und selbst die kubanische Frauen vereinigung (Federacion del la mujer cubana) hatte Beobachterinnen geschickt, die sich allerdings ziemlich im Hintergrund hielten. Der Beifall für die Genossinnen der „revolutionären Bewegungen“ war voller Begeisterung. Die Annäherungsversuche blieben von offenen Kontroversen über die Klassenfrage, den Haupt– und Nebenwiderspruch, darüber, was die Revolutionen in Kuba und Nicaragua den Frauen tatsächlich an Veränderungen gebracht haben, weitgehend verschont. So habe ich keine Diskussion über die Abtreibungsfrage in Nicaragua gehört. Stattdessen hörte ich sehr viele kämpferische Parolen und Allgemeinplätze. Zum Beispiel war frau sich einig, daß „die Frauenbewegung in Lateinamerika an sich revolutionär ist, da sich der ganze Kontinent in einem revolutionären Prozeß befindet“. Themensupermarkt „Unidad en la Diversidad“, Einheit in der Vielfalt, könnte daher auch das Motto dieses Treffens geheißen haben. Vielfalt. Von Tag zu Tag füllten sich die Hotelhallen mit Hinweisen auf neue Arbeitsgruppen und Diskussionsrunden. Von Magie– und Körperworkshops, Frauen und Gewalt, Frauen und Christentum, Frauen und Kommunikation, Frauenalltag, Frauenarbeit, Frauengeschichte bis zum Thema Feminismus, Antiimperialismus und Revolution. Ein riesiger Supermarkt, in dem frau vor lauter Angeboten nicht wußte, wo zugreifen. Unermüdlich versuchte zum Beispiel eine kleine Gruppe „marxistisch–leninistisch–feministischer Lesben“, ihre Auslegungen der großen alten Männer ihren Zuhörerinnen nahezubringen. Großen Zulauf fand neben der Arbeitsgruppe Frauen in Mittelamerika auch das Thema Feminismus und Volksbewegung. Hier trafen sich die Frauen der bolivianischen Bergarbeiter, Gewerkschafterinnen, Bewohnerinnen der Elendsviertel und Campesinas und berichteten von der öffentlichen und privaten Gewalt, der sie alltäglich ausgesetzt sind und ihren Überlebensstrategien. Ein drücklich war dazu die Schilderung von Rosa Duenas, eine der bekanntesten Frauen der peruanischen Elendsviertelbewegung, über das erste Frauenhaus in Lima. Auftritt der Lesben Besser denn je vertreten waren auch die Lesben. Einige Tage vor dem allgemeinen Treffen hatten sie - ebenfalls in Mexiko - ihr erstes lateinamerikanisches Treffen abgehalten, mit rund 250 Teilnehmerinnen, und die Vernetzung der verschiedenen Gruppen beschlossen. In Taxco erschienen die Lesben mit frischer Power. Jeden Nachmittag eine Arbeitsgruppe zu Themen wie Lesben und Sexualität, Lesben und Repression, Lesben und Politik, lesbische Mütter. Viele der Teilnehmerinnen bekannten sich zum ersten Mal zu ihrer Homosexualität, erzählten ihr „coming out“, ihre Schwierigkeiten mit Eltern, Kindern, Ehepartnern, am Arbeitsplatz, über ihr Doppelleben, das ihnen der Machismo aufzwingt. Während sich die Lesben zwar immer wieder deutlich von den „Heteras“ abgrenzten, klagten sie andererseits über deren Berührungsängste, darüber, daß sie in ihren AGs weitgehend unter sich geblieben waren. Der Abschlußdemonstration durch Mexiko City gaben sie mit ihren frechen Gesängen und bunter Aufmachung die meiste Farbe. Manche „Heteras“ schien davon nicht sehr begeistert. Und die fortschrittliche La Jornada, die als einzige Tageszeitung kontinuierlich über das Treffen schrieb, verschwieg die Lesben beharrlich. Kommentar einer Teilnehmerin: „Ist doch klar, als linke Zeitung wollen die die Frauenbewegung nicht in Verruf bringen.“ „Falsche Harmonie“ Einheit in der Vielfalt. An dieser Formel wurde öffentlich erst gegen Ende des Treffens gekratzt. Die „Fossile der Bewegung“ traten auf den Plan. Die Frauenbewegung sei in den letzten Jahren zwar ungeheuer gewachsen, nicht jedoch im gleichen Maße deren Perspektiven, warnte Virginia Vargas, Mitgründerin des ersten Frauenforschungszentrums in Lima. Zusammen mit anderen Vordenkerinnen aus Chile, Argentinien, Ecuador, Kolumbien und Mexiko hatte sie tagelang in kleinerem Kreis über den Stand und die Perspektiven des Feminismus in Lateinamerika diskutiert. Als Ergebnis wurde dem Abschlußplenum ein mehrseitiges Dokument vorgelegt, das mit „zehn Mythen über den Feminismus“ aufräumen sollte: 1. Feministinnen haben kein Interesse an der Macht. 2. Feministinnen machen Politik auf andere Weise. 3. Alle Feministinnen sind gleich. 4. Der Fakt, Frau zu sein, schafft eine natürliche Einigkeit. 5. Feminismus ist ausschließlich Politik von Frauen für Frauen. 6. Kleine Gruppen schaffen bereits eine Bewegung. 7. Freiräume für Frauen sind an sich positiv. 8. Weil ich als Frau so empfinde, ist es wichtig. 9 Das Persönliche ist automatisch politisch. 10. Der Konsens ist die eigentliche Demokratie. Das Thesenpapier plädierte damit für die Einmischung der Frauen in die Politik im Sinne einer gesellschaftlichen Machtveränderung. Es kritisierte das rückständige und widersprüchliche politische Bewußtsein vieler Frauen und die „falsche Harmonie“ innerhalb der Bewegung, die Klassen–, Rassen– und Bildungsunterschiede ignoriere: „Es gibt keine natürliche Einheit aufgrund der Biologie, des Frauseins. Dieser Weiblichkeitskult verschweigt die Tatsache, daß sich viele Frauengruppen in erstickende Gettos verwandeln, in der die Selbstgefälligkeit jegliche Entwicklung und Kritik lähmen.“ Mehr Mut zur offenen Auseinandersetzung hieß die Forderung. Für eine erotische Dialektik Kritik kam auch von einer Spanierin, übrigens eine der ganz wenigen Nicht–Latinas, die es wagte, öffentlich in die Debatte einzugreifen. Die meisten Europäerinnen und Nordamerikanerinnen - eine verschwindende Zahl unter den Teilnehmerinnen - hielten sich bescheiden als Beobachterinnen im Hintergrund, um ja nicht als paternalistisch oder von oben herab belehrend abgestempelt zu werden. Die wenigsten Latinas hatten Interesse, sich mit den Erfahrungen und Meinungen europäischer Feministinnen auseinanderzusetzen. Und die „Gringas“ wurden nicht müde, die mitreißende Power der Lateinamerikanerinnen zu loben und ansonsten zu betonen, daß sie nur „als Lernende“ gekommen waren. Die Spanierin warf dem Plenum vor, daß „unser politischer Diskurs dem einer infantilen Linken aus den 40er Jahren“ gleiche. „Unterdrückung“, „Imperialismus“, „Befreiungskampf“ seien zwar reale Probleme, würden jedoch als Leerformeln präsentiert. „Wir sind der Logik und der Dialektik des Patriarchats verhaftet, auch wenn es eine linke Logik ist, und sind darin außerdem ziemlich schlecht. Wann werden wir sie endlich durchbrechen und eine neue, eine erotische Dialektik entwickeln, anstatt alles in Worte und Begriffe auseinanderzubrechen?“ Beifall und Ablehnung hielten sich die Waage. Aber es war deutlich, daß nach fünf durchredeten Tagen und durchtanzten Nächten keine mehr Lust auf Diskussion hatte. Und so wurden alle offenen Fragen auf die kommenden Jahre verschoben, in denen verschiedene thematisch und räumlich begrenzte Zusammenkünfte organisiert werden sollen. Um sich mit den Ergebnissen wieder zu treffen, 1990, in Argentinien.
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