: I N T E R V I E W An Tabugrenzen gestoßen?
■ Trutz Graf Kerssenbrock (33) ist nach dem Parteitag „traurig und enttäuscht“
taz: Herr Kerssenbrock, welches sind Ihrer Meinung nach die entscheidenden Kriterien für die „lückenlose Aufklärung“ der Kieler Affäre? Kerssenbrock: Wir müssen alle denkbaren, erreichbaren Beweismittel erst mal bekommen und dann auch die in Betracht kommenden Zeugen, sofern sie überhaupt irgend etwas Relevantes beitragen können, so vernehmen, daß wir die wirkliche Wahrheit herausfinden können. Das heißt auch, daß man Zeugen, wenn man auch nur das leiseste Gefühl hat, an ihrer Aussage sei etwas unschlüssig, noch einmal nachträglich befragen und Glaubwürdigkeitsprüfungen vornehmen muß. Die vorherige Abstimmung von Zeugenaussagen mit den Angaben anderer Zeugen beeinträchtigt die Wahrheitsfindung (Mitarbeiter der Regierungsseite hatten die gegenseitigen Absprachen bestätigt, d.Red.). In Sachen Steueranzeige und Wanzenbeschaffung haben Sie nur „Belastendes“ gegenüber Uwe Barschel gefunden. Welche Fragen sind derzeit noch ungeklärt? Die Bespitzelungsaffäre hat in der Arbeit des Untersuchungsausschusses gerade erst begonnen, ebenso die Frage der Aktionen gegen die Unabhängige Wählergemeinschaft Schleswig–Holstein (UWSH). Der letzte Komplex, die Vorkenntnis Dritter, die Zusammenarbeit zwischen SPD und SPIEGEL, lange vor den Veröffentlichungen teilweise, ist noch nicht behandelt worden. Sind Sie in Ihrer Arbeit an Tabugrenzen gestoßen? (lacht) Nein, ich habe ja versucht, Tabugrenzen zu beseitigen. Das hat nicht nur Freude gemacht. Sie haben von einem Riß innerhalb der CDU gesprochen. Der ist daran deutlich dokumentiert worden, wie die Arbeit des Untersuchungsausschusses beurteilt wird. Sehr viele Parteifreunde beurteilen dies sehr kritisch, um mich sehr, sehr vorsichtig auszudrücken, und es gibt leider sehr viel weniger, die diese Arbeit nicht nur für gut, sondern auch eine weitere Fortsetzung für nötig halten. Wie fühlen Sie sich nach dem Parteitag? Der ist ja noch nicht zu Ende. Aber ich bin doch ein bißchen traurig und enttäuscht darüber, wie diese Partei mit sich umgeht. (Sieben Stunden später und nach der Wahl Kerssenbrocks in den Landesvorstand). Bleiben Sie bei Ihrer Einschätzung, durch die CDU ziehe sich ein tiefer Riß? So kann man das nicht mehr stehen lassen. Am Nachmittag hat sich ein gewisser Ruck in der Partei vollzogen. Auf jeden Fall ist da eine Veränderung vor sich gegangen, die vielleicht auf ein kleines Stück Neuanfang hinläuft. In den Reden hat Ihre Arbeit kaum positive Resonanz gefunden. Trotzdem wurden Sie in den Vorstand gewählt. Sind das die Stimmen der schweigenden Sympathisanten? Auf jeden Fall. Ich spüre das doch aus dem Posteingang, wie Leute hinter mir gestanden haben. Das war ganz irre.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen