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Das Sterben des Ahornbaums

■ Umweltverschmutzung in Kanada: Sparhaushalt und Kompetenzgerangel verhindern Maßnahmen gegen saure Seen und welkende Wälder / Stickoxide werden aus den Vereinigten Staaten importiert / Mit dem Absterben des Ahornbaumes, dem Nationalsymbol der Kanadier, fließt auch weniger Ahornsirup

Von Rainer Volk

Es ist leider kein Witz: In diesen Wochen bekommt Montreal sein erstes Klärwerk. Bisher floß die Brühe der zweitgrößten Stadt Kanadas ungequirlt unterhalb der Stadt in den St.–Lorenz–Strom. Das ist bezeichnend für den Zustand der Umwelt: Das zweitgrößte Land der Erde ist in Gefahr, sein Erbe an natürlichen Ressourcen zu verspielen. Die Parlamentspresse in der Hauptstadt Ottawa hat in der Umweltpolitik des Landes im vergangenen Jahr eine Art Zeugnis ausgestellt: Keine Note ist besser als „2–“. Für vier der acht Untersuchungsgebiete gabs ein „befriedigend“. Beim Thema „giftige Abfälle“ blieb den Journalisten nichts anderes übrig, als ein „F“ wie „failed“ - durchgefallen - zu notieren. Damit sind Kanadier keineswegs uninteressiert an ihrer natürlichen Umgebung. Im Gegenteil: In den Meinungsumfragen rangieren Umweltfragen sogar vor dem Problem Arbeitslosigkeit. Am wichtigsten sind ihnen dabei der saure Regen und das Ozonloch. Bei letzterem hat sich Kanada auch weltweit besonders engagiert. „Das liegt vielleicht daran, daß die Antarktis, wo das Ozonloch festgestellt wurde, das Gegenstück zur Arktis ist. Und der sind wir ja sehr nahe“, meint dazu Jean Carbonneau, Wissenschaftler im Umweltministerium. Doch Premier Brian Mulronay hat seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 1984 starke Budgetkürzungen durchgesetzt - auch bei Umweltminister Tom McMillan. Der wiederum, lästern die eigenen Mitarbeiter, sei selbst ein Teil des Ozon–Problems, weil er soviel Haarspray brauche, um immer telegen auszusehen. Umweltgruppen beteiligt Zudem gibt es in Ottawa keine Umweltpartei im Parlament. Im „House of Commons“ regieren die Konservativen mit Zweidrittelmehrheit. Um den Umweltschutz müssen sich im Land 35 „Environmental Non–Governmental Organizations“, also „gemeinnützige unabhängige Umweltorganisationen, kümmern. Dazu gehören der „World Wildlife Fund“ genauso wie die „Canadian Coalition on Acid Rain“ oder „Greenpeace“. „Wir riskieren dabei ständig unseren Gemeinnützigkeitsstatus“, sagt Joyce MacLean, Vorstandsmitglied bei Greenpeace Toronto. „Wir müssen sehr vorsichtig sein, wie wir unsere Informationen für die Öffentlichkeit formulieren.“ Gottseidank, sagt sie, binde der Gesetzgebungsprozeß die Umweltschützer aber ein, weil es darin Hearings gebe, in denen die Öko–Gruppen ihre Ansichten einbringen könnten. Als Beispiel nennt Joyce MacLean den gerade diskutierten „Environmental Protection Act“, die erste umfassende Gesetzesinitiative der Regierung. Fragt sich bloß, ob dieses Werk nicht zu spät kommt: „Die Regierung reagiert nur, sie arbeitet nicht vorausschauend.“ Mangelhaft sei besonders der Bereich „toxische Abfälle“. „Die ziehen sich immer auf das Argument zurück, sie müßten noch mehr forschen“, sagt Frau MacLean. Zudem streiten sich Provinzen und Gesamtstaat ständig um Kompetenzen. Umweltschutz fällt eigentlich unter Provinzrecht, aber wenn z.B. ein LKW, der in Ontario zugelassen ist, mit Giftstoffen in der Provinz Quebec verunglückt, wird die Bundesregierung tätig. Das schwierigste Problem aber ist möglicherweise das Land selbst: Es ist so groß, daß die Folgen der Umweltvernichtung nur schwer überschaubar sind. Wenn man etwa Hans C. Martin, den Experten des Umweltministeriums für sauren Regen, fragt, wieviel Seen es im Land gibt, zuckt er mit den Schultern und sagt: „Well, nobody knows - das weiß keiner.“ Die Schätzungen liegen bei anderthalb bis zwei Millionen. Saure Seen Dabei sind die Seen und Flüsse und deren Wasser die Hauptsorge. Diesen Sommer mußten beispielsweise die Einwohner von Toronto auf ihr Sommervergnügen, ein Bad im Ontario–See, verzichten, weil die Strände auf Toronto Islands gesperrt waren: Das Wasser war zu dreckig. Dr. Martin hat Zahlen parat: Eine Erhebung in Ontario und Quebec über die Wasserqualität der Seen hat ergeben, daß von 720.000 Seen 15.000 tot, 150.000 am Umkippen und weitere 200.000 für Veränderungen anfällig sind. Für Deutsche mag es erstaunlich sein, daß Kanadier zunächst vom Wasser reden, wenn das Stichwort „Saurer Regen“ fällt; Waldsterben rangiert erst an zweiter Stelle. Das hängt damit zusammen, daß der Wald von vielen noch als feindliches Element angesehen wird. Michel Beaulieu, Biologe beim Umweltministerium in Quebec, zitiert die Redewendung „Sortir du bois“ - aus dem Wald herausfinden, das im Land häufig benutzt wird, wenn jemand aus Schwierigkeiten herauskommen muß. Daß der Wald stirbt, haben die Kanadier erst vor wenigen Jahren gemerkt - und zwar am Geldbeutel. Die Forstwirtschaft ist nämlich die wichtigste Industrie des Landes; jeder zehnte Job hängt vom Holz ab. Viel zu lange aber vernachlässigten die Holzfäller Wiederaufforstungen. Selbst der „offizielle Bericht zur Lage der Umwelt“ kann da nur feststellen: „Sorgfältige Berechnungen der Höchstmenge, die man fällen kann, haben ergeben, daß wir über–ernten. In einigen Regionen sind bereits Engpässe sichtbar.“ Ein Nationalsymbol stirbt Mittlerweile aber geht den Kanadiern das Waldsterben auch ans Gemüt, denn das Nationalsymbol, der Ahornbaum, stirbt. Besonders berührt die Leute, daß es deshalb auch weniger Ahornsirup geben wird - das süßliche Zeug im Frühjahr aus den Bäumen abzuzapfen, ist seit Jahrhunderten Teil der Folklore. Schuld an der Misere aber sind die Kanadier nur zum Teil. Denn über die Hälfte der Schwefeldioxid– und Stickoxidanteile in der Luft „importiert“ Kanada unfreiwillig aus den USA, zum großen Teil stammen sie aus Kohlekraftwerken der Ostküstenstaaten, besonders im Ohio–Tal. Bei diesem Problem wird Hans C. Martin so richtig sauer. Seit acht Jahren verhandelt und berät er mit den Amerikanern, wie die Emissionen zu verringern seien. Am 17. September hat er aus Washington einen neuen Nasenstüber bekommen: Ein neuer Regierungsbericht hat die Folgen der Luftverschmutzung abermals verniedlicht. „Der Bericht hat fünf Jahre Arbeit und 300 Millionen Dollar gekostet“, sagt Dr. Martin, „er ist wissenschaftlich gesehen sogar akzeptabel. Aber vor den Bericht haben die Amerikaner eine Zusammenfassung gestellt - und die ist nicht von Wissenschaftlern, sondern von Politikern geschrieben worden.“ Mit den Amerikanern auf wissenschaftlicher Basis zusammenzuarbeiten, falle nicht schwer, sagt er. Aber: „Wenns in die Politik geht, gibts die Schwierigkeiten.“ Dabei ist Umweltpolitik in Kanada ohne die Zusammenarbeit mit dem Nachbarn im Süden kaum denkbar. Denn soviel sei sicher, meint Dr. Martin: „Der Wald weiß nicht, wo die Grenze ist.“

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