Kolumbiens Justiz legt einen Fall ad acta

■ Für den Mord an Pardo Leal, Präsident der linken „Union Patriotica“, gab es nach Ansicht des Justizministers „keine politischen Motive“ / Armee bewaffnet Todesschwadronen / Militärischer Geheimdienst in Mord an Bürgermeister verwickelt Keine Chance für Bauernführer

Aus Bogotaa Ciro Kranthausen

Über 480 Mitglieder hat die kolumbianische Linkspartei „Union Patriotica“ (UP) in den zweieinhalb Jahren ihres Bestehens durch Mord verloren. Nun ermittelte die Justiz zum ersten Mal einen Schuldigen. In einer Fernsehansprache Ende letzter Woche gab Justizmi nister Enrique Low Murtra bekannt, der im Oktober dieses Jahres begangene Mord am Präsidenten der UP, Jaime Pardo Leal, sei aufgeklärt. Die Untersuchung habe ergeben, daß der Kokain– und Smaragdschmuggler Gonzalo Rodriguez Gacha mit umgerechnet 200.000 DM den Mordauftrag erteilte. Während zwei Killer und der Mafioso selbst noch auf der Flucht seien, habe eine verhaftete Frau alles gestanden. „Das Verbrechen hatte keine politischen Motive“, meinte der Justizminister. Entweder handele es sich um eine Abrechnung zwischen der Mafia und der Guerilla, die im Osten des Landes als Schutzherr der kleinen Koka–Anbauer auftritt, oder aber Pardo Leal sei ermordet worden, weil er Gacha als einen der Drahtzieher der Todesschwadronen angeklagt hatte. Der Zwist zwischen der Mafia und der kommunistischen FARC– Guerilla begann 1983, als Gacha sich weigerte, der Guerilla einen Schutzzoll zu entrichten. Daraufhin stürmte die FARC sein Anwesen, und es begann eine lange Serie gegenseitiger Racheakte. Vor einigen Monaten fragte Pardo Leal im Fernsehen provozierend, wieso denn Gacha immer noch nicht verhaftet sei, wo doch alle Welt von seiner Verstrickung in den Kokainanbau und in die Todesschwadronen wisse. Die Parteiführung der UP, einer Partei, die durch den Waffenstillstand zwischen Regierung und FARC entstand, wies nach den Enthüllungen den „Versuch des Justizministers, den politischen Charakter des Verbrechens zu ignorieren“, zurück. Daß Drogenmafiosi in den Mord verwickelt seien, heiße noch lange nicht, daß dieser keine politischen Hintergründe habe. Die Untersuchung habe nur eine Verbindungslinie zu den Todesschwadronen aufgedeckt, erklärte die UP. Andere Komplizen - das ist in Kolumbien ein offenes Geheimnis - sind Teile des Militärs und einige Großgrundbesitzer. „Mit der Untersuchung will der Präsident das Prestige der Streitkräfte aufmöbeln“, sagt Guillermo Banguero, Mitglied des Präsidiums der UP. Doch daß das Militär - vor allem im Süden des Landes - großzügig Waffen an Todesschwadronen ausgibt, ist ein offenes Geheimnis. Verteidigungsminister Rafael Samudio spricht vom Recht der Bürger auf Selbstverteidigung. Führende UP–Mitglieder beschuldigen die Spitze der Streitkräfte, in den „schmutzigen Krieg“ verwickelt zu sein. Am 16. August wurde im Norden Kolumbiens ein Bürgermeister der UP ermordet. Sein Leibwächter erschoß, bevor er selbst getroffen wurde, einen der Killer. Bei diesem fand man einen Waffenschein, der erst einen Tag zuvor von einem Offizier des Militärischen Geheimdienstes ausgestellt worden war. Gonzalo Ortega, ein pensionierter Offizier, gab ein paar Wochen danach der Wochenzeitschrift Cromos ein Interview. Er selber sei vom Geheimdienst zur Ermordung des Bürgermeisters angeworben worden, habe jedoch im letzten Moment Gewissensbisse bekommen und sei abgesprungen. „Meistens arbeiten an derartigen Aufgaben pensionierte Militärs, weil wir militärisch denken, aber offiziell nicht mehr aktiv sind. Wenn also irgend etwas passiert, kann den Streitkräften nichts nachgewiesen werden“, sagte Gonzalo Ortega. Kenner der Drogenszene berichten, daß auch die Drogenmafiosi pensionierte Offiziere als Berater anheuern. Ein weiteres Verbindungsglied zu den Todesschwadronen bilden einige Großgrundbesitzer. „Die kolumbianischen Großgrundbesitzer sind es gewohnt, mit den Campesinos nach Lust und Laune umzuspringen. Unsere Präsenz verhindert das“, meint Guillermo Banguero von der UP. Immer wieder kommt es zu Bauernmärschen, auf denen eine gerechtere Landverteilung gefordert wird. Und immer wieder wird ein, zwei Wochen danach einer der Anführer ermordet. So vor einem Monat im Osten des Landes. Und so auch wieder vergangene Woche an der Karibikküste. Der Innenminister mußte vor dem Parlament zugeben, daß es inzwischen mindestens 128 Todesschwadronen im Lande gibt. Ob es sich dabei um Mafiosi, Großgrundbesitzer oder pensionierte Militärs handelt - eine nationale Leitung gibt es anscheinend nicht. Dennoch - so ein Politologe - gebe es gemeinsame Ziele: Im Visier stehe bei allen die Union Patriotica.