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Türkei: KP–Generalsekretäre verhaftet

■ Politische Polizei erwartete die zwei aus dem Exil zurückkehrenden KPler Sargin und Kutlu auf dem Flughafen

Aus Istanbul Ömer Seven

„Nehmt euch in Acht, urplötzlich wird eines Winters der Kommunismus in der Türkei einbrechen“, hatte der im Alter von 103 Jahren vergangenes Jahr verstorbene, ehemalige Staatspräsident Celal Bayar seine Bürger ermahnt. Er sollte recht behalten. Das Gespenst des Kommunismus wurde mit einer Lufthansa– Maschine am Montag von München in die türkische Hauptstadt Ankara eingeflogen. Im Beisein europäischer Parlamentarier waren die im Exil lebenden Generalsekretäre Nihat Sargin und Haydar Kutlu angereist, um die seit über einem halben Jahrhundert illegale KP auf türkischem Boden legal neuzugründen. Unmittelbar nach ihrer Landung wurden sie von der politischen Polizei verhaftet und zum Verhör ins Polizeipräsidium An kara gebracht. Bis zu 15 Tagen können sie durch die Polizei verhört werden, anschließend werden sie der Staatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht Ankara überstellt, die Haftbefehle beantragt hat und eine Anklage wegen „Verbrechen gegen den Staat“ plant. Die Augen verbunden und in Handschellen gelegt vollziehen sich die Verhöre, berichteten türkische Zeitungen unter Berufung auf Polizeiquellen. Um späteren Foltervorwürfen entgegenzutreten, ließ der Staatsanwalt durch Gerichtsmediziner den Gesundheitszustand der Inhaftierten attestieren. Rund 30 Rechtsanwälte, mit Vollmachten der rückkehrenden Parteiführer ausgestattet, blitzten ab. Weder im abgeriegelten Flughafen, noch im Präsidium bekamen sie ihre Mandanten zu Gesicht. Grundlage der wenige Wochen zuvor von der KP angekündigten Rückkehr ihrer Führer und der Absichtserklärung, nunmehr als legale politische Partei zu wirken, war ein tiefer Sinneswandel in den Parteireihen. Die Diktatur des Proletariats ist aus dem Parteiprogramm getilgt, parlamentarische Wahlen werden hochgehalten, „Destabilisierungspolitik“ wird verworfen. Es heißt nicht mehr „Raus aus der NATO“, sondern „Verteidigung politischer Stabilität“. Um Goodwill zu demonstrieren, stellte die KP gar ihren türkischsprachigen Rundfunksender in Bulgarien ein. Brav verurteilten Kutlu und Sargin den Terror der PKK und anderer linksradikaler Organisationen. Die Umstände der Rückkehr von Kutlu und Sargin sind innerhalb der Linken nicht unumstritten. „Sie haben sich unehrenhaft der Bourgeoisie ergeben und sind einen widerlichen Kuhhandel mit der Regierung eingegangen“, betonten Kritiker in den eigenen Reihen. Die Rückkehr der KP–Führer im unmittelbaren Vorfeld der Nationalwahlen am 29. November hat allemal Parteien und Regierung in Bedrängnis gebracht. Die unerwünschten Gäste brachten die Diskussion um demokratische Rechte in der Türkei in die Schlagzeilen der Zeitungen. Ministerpräsident Özal stellte in Interviews mal die Legalisierung der KP in Aussicht, mal betonte er, die Zeit sei noch lange nicht reif dafür. Unmittelbar vor der Ankunft von Kutlu und Sargin schienen die Hardliner gewonnen zu haben. „Aktive Teilnahme an Waffentransporten und Teilnahme an terroristischen Aktivitäten“ warf das Presseamt des Ministerpräsidenten der KP vor. Selbst die Militärgerichte sehen das anders. In Urteilen wird festgestellt, daß die KP nicht an Gewaltakten beteiligt war.

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