piwik no script img

„Das Übliche“ in Basel: Bumms bei Sandoz

■ Katastrophenalarm wegen ätzender Schwaden aus Sandoz–Werk in der Nähe von Basel / 30 Personen aus angrenzenden Werksgebäuden vorsorglich evakuiert / Temperaturanstieg im Reaktionskessel / Menschen kamen nicht zu Schaden / Pannenursache noch ungeklärt

Aus Basel Th. Scheuer

Nur wenige Wochen nach dem Jahrestag der Sandoz–Brandkatastrophe in Schweizerhalle vom 1. November riefen am Montag abend die Sirenen das traurige Jubiläum noch einmal in Erinnerung: Im Werk Hüningen des Basler Chemiemultis wurde kurz nach 17Uhr Katastrophenalarm ausgelöst, weil ein Reaktionskessel im Bau 210 durchgeknallt war. Unter Verpuffungen entwichen salzsäurehaltige Dämpfe, die, so berichteten Augenzeugen, in Form weißlicher Dunstschwaden über dem Werksgebäude hingen. Die in unmittelbarer Nähe tätigen Arbeiter konnten sich rechtzeitig ins Freie retten. Rund 100 Feuerwehrleuten gelang es, die ausgetretenen Säurenebel - es verdampften rund 100 Kilogramm Salzsäure - mit Wasservorhängen „niederzuschlagen“, d.h. am Boden zu binden. Trotzdem wurden aus dem betroffenen Bau 210 und aus angrenzenden Werksgebäuden insgesamt 30 Personen vorsorglich evakuiert. Die Bevölkerung Hüningens wurde per Lautsprecher aufgefordert, zu Hause zu bleiben und die Fenster geschlossen zu halten. Nach etwa 70 Minuten wurde der Alarm wieder aufgehoben. Abgesehen von Geruchsbelästi gungen kamen Menschen durch den Unfall nicht zu Schaden. Wie Konzernvertreter am Dienstag mittag der Presse vor Ort erläuterten, sei bei der Herstellung eines Zwischenproduktes für Farbstoffe im Reaktionskessel plötzlich die Temperatur von normalerweise 80 auf 90 Grad Celsius angestiegen. Durch den Überdruck entwichen die giftigen Dämpfe, Teile der Installationen wurden weggerissen, die gesamte Anlage schwer beschädigt. Sie bot sich den Presseleuten gestern völlig eingeschwärzt und mit schwarzem Staub verschiedener Zersetzungsprodukte überzogen. Ein Feuer, so die Sandoz–Vertreter, sei jedoch nicht ausgebrochen. Vielmehr seien die Chemikalien explosionsartig verpufft. Über die Ursache des unerwarteten Temperaturanstiegs rätselten die Sandoz–Chemiker am Dienstag noch. Sie könnte auf Störungen im Glykol–Kühlkreislauf zurückzuführen sein; auch Korrosionsschäden durch Salzsäure, die während des Reaktions–Prozesses ausgetreten sein könne, seien denkbar. Das Sandoz–Werk Hüningen liegt direkt hinter der schweizerisch–französischen Grenze etwa 2 Kilometer Luftlinie vom Basler Stadtzentrum entfernt. Unter ungünstigen Windverhältnissen hätten die ätzenden Schwaden leicht in die Stadt geweht werden können. „Das Übliche in Basel“, kommentierte ein Lokalreporter gestern morgen trocken die Ereignisse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen