: De Sade schuf Verwirrung auf dem Podium
■ EMMAs Gesetzentwurf gegen Pornographie war Gegenstand einer Diskussionsveranstaltung in Köln / Rita Süssmuth und Verena Krieger im Prinzip einig / Karasek warnte vor Lustfeindlichkeit
Von Lukoschat u. Neef–Uthoff
Läßt sich mit den Buchstaben eines Gesetzes der Geist der Gesellschaft verändern? In dieser Fragestellung verbarg sich die Unsicherheit, die auf der Podiumsdiskussion in Köln über den von EMMA initiierten Gesetzentwurf gegen Pornographie zwangsläufig auftreten mußte. Der Kultur–Chef des SPIEGEL, Hellmuth Karasek resümierte: „Wir wissen nicht, welche Hydra wir mit diesem Gesetz in Gang setzen, wir wissen nur, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen“. Letzteres war Konsens des Abends. Alle waren gekommen. Überall drängelten sich die Menschen, vorwiegend Frauen. Auf dem Podium saßen Frauen und Nicht–Frauen in angemessenen Abständen nebeneinander: Rita Süssmuth, Bundesfamilien und– frauenministerin, saß gütig lächelnd neben einer etwas mürrischen Verena Krieger von den Grünen, die für ihren Fraktionskollegen Thomas Ebermann da war. Daneben ein einsamer, bleicher Markus Peichl, Chefredakteur von TEMPO. In der Mitte thronte Andrea Dworkin, Anti– Pornographie–Aktivistin aus den USA mit ihrer schüchternen Übersetzerin Erica Fischer und der strahlenden Alice Schwarzer. Die charmante EMMA–Chefin freute sich offensichtlich, neben Hellmuth Karasek plaziert zu sein. Rechts außen eine impulsive Renate Schmidt vom SPD–Fraktionsvorstand. Handelt Pornographie von Erotik und Sex oder von Frauenerniedrigung? Was ist mit de Sade, würde er nach dem vorgeschlagenen Gesetz verboten? Und - wenn auch die Podiumsstimmen zitterten - was ist mit der eigenen Sexualität? Der Gesetzentwurf, in dem Pornographie als deutlich erniedrigende sexuelle Darstellung von Frauen definiert ist und Klagemöglichkeiten auf Schadensersatz und Unterlassung vorgesehen sind, stellte all diese Fragen zur Diskussion. Fast wie die Karikatur einer grünen Politikerin propagierte Verena Krieger - wie könnte es anders sein - eine „alternative Pornographie“. Anstatt über „bös–schweinische Männerphantasien“ zu reden, sei es entscheidend, herauszufinden, „was wir stattdessen wollen“. Krieger hatte nichts gegen Pornographie als Darstellung von Sexualität. Grundsätzlich begrüßte sie jedoch die EMMA–Initiative. Damit befand sie sich in selte ner Einigkeit mit der CDU–Familienministerin. Süssmuth begrüßte die Gesetzesinitiative mit der Begründung, daß es heute nicht mehr um „Enttabuisierung“, sondern um „Entmenschlichung“ ginge. Sie schlug vor, den Entwurf in einer fraktionsübergreifenden Sachverständigenkommission zu diskutieren. Die bittere Erkenntnis, daß mit der Freigabe der Pornographie nicht die erhoffte repressionsfreiere Gesellschaft geschaffen wurde, sondern der billig–graus amen Spießigkeit der Text– und Horrorproduzenten Tür und Tor geöffnet wurde, fomulierte Hellmuth Karasek am eindringlichsten. „Ich bin einer der Mitverantwortlichen, daß Pornographie so ist wie sie ist“. In seiner Vorstellung hätte es nichts Prüderes und sittlich Reineres als die Nazis gegeben. Die hätten mit Pornographie kurzen Prozeß gemacht. „Es gab damals die Überlegung mit Karl Kraus, mit Marcuse, mit Wilhelm Reich, mit der Bekämpfung der restriktiven Gesetzgebung der Pornographie die Lustfeindlichkeit zu bekämpfen. Eine Lustfeindlichkeit, die damals ein Instrument der sexuellen Herrschaft war. Die Lustfeindlichkeit, die damals dafür herhielt, daß es keine Gleichberechtigung und daß es Frauenunterdrückung gab. „Ich gestehe heute ein, wir haben damit die Büchse der Pandora geöffnet.“ Eine Gesetzgebung im Bereich der Pornographie hielt er dennoch für problematisch - der Staat sei der „schlechteste Obwalter solcher Fragen“. Was aber ist mit Marquis de Sade? Dieses Enfant terrible der Lust saß heimlich mit auf dem Podium. Dieser unsichtbare Mann verwirrte als Einziger die EMMA–Chefin. „Würdest Du, Alice Schwarzer, mit Hilfe Eures Gesetzes de Sade verbieten lassen?“ fragte die engagierte Renate Schmidt, die bei aller Sympathie für den Gesetzentwurf weder auf de Sade noch auf Anais Nin verzichten wollte. Mutig, aber mit rauher Stimme gab sie ihre „leichte masochistische Ader“ preis. Alice Schwarzer ließ zunächst lieber Andrea Dworkin antworten - diese gewaltige Heroin im Kampf gegen Pornographie, die eingangs mit beschwörenden Gesten und propagandistischer Diktion Pornographie als „Rezeptbuch“ für Folterer, Vergewaltiger und auch für Mörder gegeißelt hatte. Wenn de Sade als Vorlage für Mord und Gewalt an Frauen verwendet würde, müßte er vom Markt verschwinden. Dworkin forderte die absurde Entscheidung zwischen der „Kunst und dem Menschen“.
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