Aufklärung zu Colonia Dignidad

■ Deutscher Botschafter in Chile zur Berichterstattung nach Bonn gerufen / Die bisher verdrängten brutalen Vorgänge in der deutschen Mustersiedlung schlagen erneut Wellen

Bonn/Berlin (dpa/taz) - Das Auswärtige Amt will die Vorwürfe gegen die Leitung der im Süden Chiles gelegenen deutschen Siedlung „Colonia Dignidad“ prüfen, in der Menschen mißhandelt und gegen ihren Willen festgehalten werden. Bundesaußenminister Genscher hat nach Mitteilung seines Amtes den deutschen Botschafter in Santiago de Chile, Horst Kullak–Ublick, in der kommenden Woche zur Berichterstattung nach Bonn gerufen. Er soll an den Vorbereitungen zur Entsendung einer Kommission mitwirken, die die Vorgänge in der Kolonie überprüfen soll. Auch CDU–Generalsekretär Geißler, der sich zur Zeit in Chile aufhält, will sich nun im Skandal engagieren, der seit über zehn Jahren bekannt ist, aber bisher von bundesdeutschen Regierungen nie ernsthaft untersucht worden ist. Im März 1977 hatte amnesty international eine Broschüre mit dem Titel „Colonia Dignidad - Deutsches Mustergut in Chile - ein Folterlager der DINA“ herausgegeben. In dieser 60 Seiten dicken Schrift wurden zahlreiche Zeugenaussagen publiziert, aus denen eindeutig hervorgeht, daß der damalige chilenische Geheimdienst DINA (heute CNI) in der vom Sektengründer Paul Schäfer geführten Kolonie ein Folterzentrum unterhielt. Entflohene Mit glieder der schwer bewachten Kolonie berichteten wiederholt vom Terror–Regime Schäfers, von Folterungen und psychischen Methoden, die Eingeschlossenen in totale Abhängigkeit zu bringen. Einen Monat nach der Publikation der Broschüre erwirkte die Colonia Dignidad in einem Prozeß über ihre deutsche Verbindungsgruppe einen Stop der ai–Broschüre. Jahrelang wurde in der Bundeshauptstadt um die Frage, ob eine Veröffentlichung der hinlänglich bewiesenen Zustände in der Colonia Dignidad erlaubt ist, gerechtet. Der weitaus größere Skandal besteht allerdings darin, daß die Bundesregierung zehn Jahre ihrer Pflicht, sich für Leben und Freiheit der deutschen Staatsbürger in der Kolonie einzusetzen, nicht nachgekommen ist. Dies kann offenbar nur dadurch erklärt werden, daß die Colonia von einflußreichen CSU–Größen, vom ZDF–Löwenthal und von Erhard Strätling, jahrelang Botschafter in Santiago, die immer wieder mit Stolz auf die Aufbauleistung der Siedlung und auf deutsche Fleißarbeit in Chile verwiesen, gedeckt wurde und daß man an guten Beziehungen mit der Diktatur Pinochets interessiert war. thos Kommentar Seite 4