: I N T E R V I E W „Die Säge muß am Stamm der Landwirtschaftspolitik angesetzt werden“
■ Der grüne Europa–Abgeordnete Wolfgang von Nostitz fordert ein „grünes Konzept zur EG“: Subventionen sollen die bäuerlichen Betriebe und nicht die Agrarindustrie erreichen
taz: Seit dreieinhalb Jahren sitzen die Grünen im Europaparlament und referieren brav grüne Positionen zu Frauenpolitik, Atomkraft, Umweltschutz oder Dritter Welt. Woran es die Grünen jedoch komplett vermissen lassen, das sind explizit europapolitische Konzepte. Außer der Phrase vom „Europa der Regionen“ war da bisher nichts zu hören. Wolfgang von Nostitz: In der Fußballsprache würde man sagen: Gute Einzelleistungen, aber es fehlt die mannschaftliche Geschlossenheit. Wir haben in der Tat kein grünes Konzept zur EG, in dem wir alle übereinstimmen. Dabei gibt es wohl nur wenige Bereiche, in denen das Scheitern der etablierten Parteien so drastisch zutage tritt wie in der Europapolitik. Die Grünen scheinen die europapolitische Diskussion ganz den Sozialisten überlassen zu wollen, die sich auf zahlreichen Konferenzen und Kongressen um ein linkes Europa–Konzept bemühen. Dein „grünes Manifest“ ist ja bisher ein Alleingang. Die Vorstellung eines einheitlichen EG–Binnenmarktes besteht ja darin, daß man durch Abschaffung der Grenzen, durch Vereinheitlichung der Normen und auch der Preise einen einheitlichen Markt mit zunehmender Produktion schafft. Man könnte sich diesen Binnenmarkt aber auch als einen Rahmen vorstellen, in dem das Wirtschaften in kleinen Produktionseinheiten und -räumen ermöglicht und gefördert wird. Man könnte in diesem Raum doch durchaus eine Steuergesetzgebung entwickeln, in der die Steuerbelastung um so größer wird, je größer der Betrieb ist. Man könnte durch eine Radikalisierung eines einheitlichen Kartell– und Wettbewerbsrechts in dieselbe Richtung gehen. Durch Verteuerung der Transporte könnten örtliche Produktionsstrukturen gestärkt und nicht wie bisher vernichtet werden. Das setzt natürlich voraus, sich mit dieser Institution EG überhaupt einmal auseinanderzusetzen. Wir müssen Vorschläge erarbeiten, wie die Römischen Verträge umgebaut werden sollen. Die Ziele der Römischen Verträge - Wirtschaftswachstum - könnten ja in einem grünen Sinn geändert werden. Nun sitzen in Kommission und Rat, die ja die Politik der EG bestimmen, keine Grünen, sondern nur im relativ bedeutungslosen Europaparlament. Das sollten wir als Chance nutzen und das Parlament nicht als Vakuum begreifen, das man mit besonderem Aktionismus auffüllen müßte, wie es unsere Kollegen von den anderen Parteien oft tun. Die Chance liegt darin, auf einem stärker abstrakten, grundsätzlichen Niveau unsere Gedanken darzulegen. Das Straßburger Parlament als europäische Denkfabrik? Genau so. Als zum Beispiel jetzt Hans Jonas den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen hat, wäre es doch für das Europäische Parlament eine Aufgabe gewesen, eine neue Einstellung zum wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt zu formulieren. Das setzt eine Gedankenleistung voraus, die über Tagespolitik hinausgeht. Grundsätzliche Ideen, zum Beispiel zur Entmündigung des angeblichen Souveräns Volk, zur Krise des Parlamentarismus. Es wäre doch auf europäischer Ebene angebracht, einmal Institutionen vorzuschlagen, die den Bedingungen des 20. und 21. Jahrhunderts entsprechen und ein Gegengewicht zur wirtschaftlichen Machtzusammenballung und zu Folgeproblemen der Technologie schaffen. Man sollte Elemente direkter Demokratie im Europaparlament versuchen, in Form von Betroffenenanhörungen, Beteiligung von Bürgerinitiativen, in Form von offenen Debatten an Ort und Stelle. Nun beinhaltet die aktuelle Europa–Tagespolitik zum Beispiel die ständige Verlagerung von Kompetenzen weg von den nationalen Parlamenten - nicht etwa ins Europaparlament, sondern in den Eurokraten–Megaapparat von Kommission und Ministerrat. Da kann man sich doch nicht einfach ausklinken und Denkfabrik spielen. Auch die anderen Parteien versuchen ja seit bald 20 Jahren verzweifelt, diese EG–Misere irgendwie zu beheben. Das wird nun einmal versucht, indem der EG neue Ziele eingehaucht werden: Stichwort Militarisierung, Stichwort neue Technologien, Stichwort Binnenmarkt. Das sind aber alles Zöpfe, an denen man sich selbst aus dem Sumpf ziehen will. Denn die Probleme Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung usw. sind dadurch nicht zu beheben. Die Mißstände der EG, Konzentration auf der einen Seite und weiteres Abhängen benachteiligter Regionen auf der anderen Seite, natürlich auch nicht. Da helfen auch keine Reparaturmaßnahmen in Form von Regional– und Strukturfonds. Die Säge muß am Stamm angesetzt werden. Die Wunden, die die EG in gewachsene Strukturen schlägt, die sind ja nur zu beheben, wenn die EG kleine, energiesparende, ortsgewachsene Produktionen ermöglicht, und nicht mehr auf die große Vereinheitlichung schielt. Denn die Vereinheitlichung bringt ja nicht einmal mehr eine Steigerung der Produktion - die ja ohnehin in vielen Bereichen gar nicht sinnvoll ist. Es gibt eine Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die ab 1988 gilt. Man müßte sie nur radikal umsetzen. Man müßte tatsächlich für jedes Vorhaben technologischer Art, für jede Innovation eine Umweltverträglichkeitsprüfung verlangen, die aber nicht nur von den Betreibern, sondern von allen in Frage kommenden wissenschaftlichen Zweigen bewertet und öffentlich diskutiert wird, die insbesondere auch von den Betroffenen mitdiskutiert wird. Welche Alternativen haben die Grünen zur Brüsseler Agrarpolitik? Die technische Entwicklung hat aber dazu geführt, daß der Großteil der sogenannten landwirtschaftlichen Produkte nicht mehr von Bauern produziert wird. Der Ansatz für eine Wende in der EG–Agrarpolitik kann also nur darin liegen, daß man nicht mehr undifferenziert Agrarprodukte durch Preisstützung fördert, weil man damit die Bauern nicht mehr erreicht, sondern darin, daß man die Stützung auf die bäuerliche Produktion ausrichtet. Alles andere wird sofort von der Agrarindustrie abgesahnt. Die Lösung liegt also darin, daß man nur den bäuerlichen Betrieben Preise garantiert, die eine angemessene Vergütung ihrer Arbeit darstellen. So einfach ist das. Da man den Einsatz der Mittel auf diese Weise erheblich konzentriert, wird damit auch das ganze Finanzdilemma auf einen Schlag gelöst sein. Dieser Vorschlag setzt allerdings auch wieder voraus, daß man sich, wie anfänglich erläutert, Europa als eine Vielfalt vorstellt. Man kann natürlich nicht jedem Bauern in Europa den gleichen Preis garantieren, sondern man muß nach regionalen Eigenarten, nach den von der Natur vorgegebenen Bedingungen, Klima usw. unterschiedliche Preise für unterschiedliche Regionen festsetzen.
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