: Ein Volkstribun im Aquinostil
■ Rauschende Festivalstimmung und anderthalb Millionen bei der Abschlußwahlveranstaltung des dritten südkoreanischen Präsidentschaftskandidaten Kim Dae Jung / Das Volk schwelgt in Gelb
Aus Seoul Nina Boschmann
„Wir erinnern an das Massaker von Kwangju. Eliminiert Roh Tae–Woo. Nein zu Roh Tae– Woo“, skandiert die Schülergruppe, die festen Schrittes das Gelände durchquert. Fünf gelbe Fähnchen haben wir schon bekommen, und weitere sind nur mit Mühe zu umgehen. Alle zehn Meter werben große selbstgebastelte gelbe Sammelbüchsen um milde Spenden, gelbe Büchlein mit schwarzweißen Friedenstauben werden angepriesen, das Publikum trägt je nach Frostempfindlichkeit gelbe Schals oder Satinschärpen über Parka und Lederjacke, eindrucksvolle Kitschteller mit dem Portrait eines entschlossen dreinblickenden schwarzhaarigen Herrn in den 60ern säumen den Weg. Kein Zweifel, wir befinden uns auf einer Wahlveranstaltung von Kim Dae–Jung, seines Zeichens Kandidat Nummer drei im südkoreanischen Präsidentschaftswahlkampf. 1970 von Diktator Park Chun Hee knapp um das Amt betrogen und seither von wechselnden Regimen gekidnappt, zum Tode verurteilt, einge kerkert und unter Hausarrest gestellt, galt der 64jährige noch vor sechs Monaten offiziell als Un– Person. Heute provozieren er und seine Anhänger mit der neugegründeten „Partei für Frieden und Demokratie“ wie kein anderer die militärisch–zivile Diktatur. Ist sein ehemaliger Mitstreiter in Sachen Demokratie und heutiger Konkurrent Kim Young Sam der Held der Yuppies, der städtischen Aufsteiger und der Vorsichtigen, so ist Kim Dae Jung, wiewohl selbst ehemals Geschäftmann, der Volkstribun der Zukurzgekommenen. Wer soviel gelitten hat, heißt es, der wird sich derer erinnern, die um ihre Existenz zu kämpfen haben, der Arbeiter, der kleinen Geschäftsleute. Doch heute, drei Tage vor der Wahl, geht es nicht mehr um die Leiden des Volkes. Die sind in Kims frischgedruckten „17 Briefen aus dem Gefängnis“ nachzulesen. Heute gilt es, Überlegenheit zu demonstrieren und damit die letzten Unentschlossenen in der wahlentscheidenden zehn Millionenmetropole auf seine Seite zu ziehen. Nachdem Kim Dae Jung am 29.11. überraschend von über 900.000 auf dem Youido–Platz gefeiert wurde, fühlt er sich sicher. Schließlich hat keiner seiner Konkurrenten trotz Geld und guter Worte seither mehr Fans zusammengebracht. „Dies ist eine Siegesfeier“, raunt mir denn auch ein aufgelöster Wahlhelfer angesichts der heute im noch größeren Poramae–Park versammelten anderthalb Millionen zu. Hier braucht es keine Begeisterung vom Tonband, hier wird freiwillig getanzt, gesungen und skandiert. „Kim Dae Jung, Kim Dae Jung“. Da mögen die Demoskopen noch so oft ein Kopf–an– Kopf–Rennen voraussagen, wenn das Bauernorchester das schwermütige Volkslied „Ari Rang“ über die ewige Bedrohung und Beherrschung Koreas durch ausländische Mächte anstimmt und ganz spontan weiterkomponiert, mit Kim Dae Jung sei das alles zu lösen, bleibt kein Auge trocken: „Kim Dae Jung, mansei“, - Korea hat gewonnen. Da haben es die RednerInnen vom Dissidentenpater Moon Ik–Wan bis zur couragierten Frauenrechtlerin Lee Oh– Jong nicht schwer, den Kandidaten zu preisen. Die Spannung steigt. Kim Dae Jung ist vor einem Attentäter gewarnt worden. Ein Bösewicht hat außerdem die Kabel zu den Lautsprechern gekappt. Volk sei wachsam, hier und auch am Mittwoch an den Urnen, damit Euch der Sieg nicht wieder gestohlen wird. Und nun der Höhepunkt des Tages, Kim Dae Jung tritt in traditioneller schwarzer Robe ans Podium und 200 Tauben fliegen in die Freiheit. Die Menge tobt, Kim geht zum Angriff über. „Roh kann nur noch mit massivem Betrug gewinnen. Seine Auftritte sind eine schlechte Komödie. Bloß die Ärzte freuen sich, weil sie immer was zu tun kriegen, bei den anschließenden Prügeleien.“ Sein Programm? Allgemeine Amnestie, Partei– und Versammlungsfreiheit logo. Der Korruption wird der Garaus gemacht und das Militär wird ordentlich bezahlt, damit es sich in Zukunft aus der Politik heraushält. 8–Stundentag für die Arbeiter, anständige Apartments für alle, eine vernünftige Mittelstandspolitik, Chancengleichheit für Frauen, hohe Strafen für Umweltsünder und wenns geht, auch noch eine gemischte nord– und südkoreanische Olympiamannschaft. Der Wunschkatalog wird täglich länger, aber Kim Dae Jung fällt wenigstens was ein. Da sollen die anderen erst mal mithalten. „Ich bin der Kandidat der Einheit, der Präsident der neuen Generation.“ Brausender Jubel setzt ein, alte Frauen fangen an zu tanzen und ein unendlicher Strom setzt sich in Bewegung, um Kim zu folgen. „Alles ok, Mansei, alles ok...“ schallt es aus den Lautsprechern.
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