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Rückzug aus den Selbstverwaltungsträumen

■ Bei dem selbstverwalteten Betrieb AN in Bremen gibts wieder Stempeluhren und Meister / Wandlungen der Betriebsstruktur: Von der Vollversammlungs–Demokratie zum Aufsichtsrat / Aber auch: engagierte Arbeiter und Hoffnungen auf einen grünen Zweig / Die ersten selbstentwickelten Produkte kommen 1988 auf den Markt

Aus Bremen Michael Weisfeld

Von der kapitalistischen Pleite zur Arbeiterselbstverwaltung - diesen Weg gingen nur wenige Belegschaften in den letzten Jahrzehnten. Diesen „Betrieben in Belegschaftshand“ ist gemeinsam, daß sie fast alle heute nicht mehr existieren. Zu den Ausnahmen zählt die „Arbeitnehmer - Maschinenbau–und Umweltschutzanlagen GmbH“ in Bremen, kurz AN. Heinz Bollweg, Geschäftsführer der Firma von Anfang an, scheidet dort zum Jahresende aus. Bis 1983 gehörte das Werk zum Heidenheimer Voith–Konzern. Als der seine Aktivitäten in Heidenheim konzentrierte und das Bremer Werk schloß, stand die hochqualifizierte, aber überalterte Belegschaft vor der Wahl, erwerbslos zu sein oder kollektiver Unternehmer zu werden. Für die Idee, den Betrieb zu übernehmen, machte sich besonders der letzte Betriebsratsvorsitzende Detlef Dunker stark. Er erreichte, daß der Bremer Senat das Werk kaufte und das Gelände pachtete. Beides überließ er der Belegschaft zu sehr günstigen Bedingungen. Von dem Grundkapital brachten die Arbeiter nur ein Viertel auf; jeder zweigte 1.000 Mark von der Abfindung ab, die Voith bezahlt hatte. Drei Viertel legten sympathisierende Intellektuelle als Darlehen oder stille Gesellschafteranteile ein. Im April 1984 nahm AN mit rund 50 Arbeitern den Betrieb auf; bis zur Jahreswende 1987 arbeiten dort noch etwa 40 Leute. Die neue Firma startete als Zulieferbetrieb und ist es noch heute. Einzelteile, zum Beispiel für eine Karusselfabrik, für einen Kranhersteller und für andere Maschi nenbaubetriebe werden hier gefertigt. Von Beginn an hatte AN aber auch eine eigene Entwicklungsabteilung aufgebaut, in der Windenergie und Biotechnologie die Schwerpunkte waren und noch sind. Nicht aus Lust oder Interesse haben sich die Arbeiter auf das Experiment eingelassen, sondern um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Die Einlage von 1.000 Mark war für die meisten eine Rückversicherung: Wenn es klappt, haben sie einen Arbeitsplatz, wenn nicht, war der Einsatz nicht zu hoch. Es gab aber auch von Anfang an eine Gruppe, für die die erzwungene Selbstverwaltung schnell einen großen Reiz bekam. Sie sahen in dem eigenen Betrieb plötzlich ihr soziales Zuhause. Sie wollten, daß alle an einem Strang ziehen und AN zu einem gesunden, toll funktionierenden Werk machen, in dem es keine Hierarchie mehr gibt. Mit diesen Visionen traten auch Heinz Bollweg und sein Co–Geschäftsführer Werner Westphal ihre Stellung an. Von der Belegschaft der ersten Stunde sind heute nur noch etwa zehn Arbeiter im Werk. Die übrigen kündigten, weil sie mit der Selbstverwaltung nicht zurechtkamen. Sie zogen es vor, in anderen Betrieben zu arbeiten, wo sie nur für ihren Job zuständig sind, und sich nicht den Kopf über das ganze Unternehmen zerbrechen müssen. Es kündigten aber auch Leute, die sich für die Selbstverwaltung stark engagiert hatten, die an sich selbst und ihre Kollegen hohe moralische Ansprüche stellten, die sie oft nicht erfüllt sahen. So warf ein Bohrwerksdreher das Handtuch, nachdem er aus Versehen ein Maschinenteil „in den Sand gesetzt“ hatte, in dem schon für 10.000 Mark Arbeit steckte. Sein Grund: Er könne die Verantwortung nicht ertragen, durch einen Fehler vielleicht die Existenz des ganzen Betriebes zu gefährden. AN war von Anfang an gezwungen, neue Facharbeiter einzustellen und bediente sich des Arbeitsmarkts wie jede andere Firma auch. Denn es meldete sich kaum ein Arbeiter, der lieber in der selbstverwalteten Maschinenfabrik arbeiten wollte, als bei einem ordinären Kapitalisten. Der in Bremen relativ starke linke Flügel der IG Metall ignorierte den Selbstverwaltungsversuch. Für die traditionellen Kommunisten der DKP, die dort den Ton angeben, hat die Arbeit in einem Großbetrieb allemal Vorfahrt vor der Selbstverwaltung. Auch ein Transfer aus der „Szene“ der alternativen Kleinbetriebe, in denen meist ehemalige Studenten arbeiten, fand nicht statt. „Denen ist die Arbeit in einem Industrietrieb wohl nicht ganzheitlich genug“, vermutet Heinz Bollweg. Die Geschäftsleitung wollte den Betrieb zu Anfang nicht alleine führen, sondern im Auftrag der ganzen Belegschaft. Die Aufträge der Belegschaft wollte sie sich auf den wöchentlichen Vollversammlungen erteilen lassen. Inzwischen gibts Versammlungen nur noch alle drei Monate - wie es das Betriebsverfassungsgesetz für alle Betriebe vorschreibt. Nur vorübergehend gab es drei Ausschüsse, die sich um den wirtschaftlichen Erfolg, um die Führung des Personals und um neue Produkte kümmern sollten. Von diesen Ausschüssen besteht heute keiner mehr. Der Personalausschuß hatte über Kündigungen zu entscheiden und sollte die Arbeiter in die verschiedenen Lohngruppen einstufen. Er geriet sofort in aufreibende Konflikte zwischen dem Unternehmen und den Interessen der einzelnen Arbeiter. Bei den beiden anderen Ausschüssen habe sich gezeigt, daß ein Arbeiter nach acht Stunden handwerklicher Tätigkeit nicht aus dem Stand qualifiziert über die Marktchancen des Unternehmens oder die Technik von Biogas– Anlagen reden könne, meint Bollweg. Dafür müsse man ausgebildet sein und Arbeitszeit zur Verfügung haben. Heute gibt es anstelle der drei Ausschüsse einen Aufsichtsrat, der von der Belegschaft gewählt worden ist, und der die gesamte Arbeit der Geschäftsleitung beurteit. Er tut das nicht nur aus eigenem Verstand, sondern zieht Steuer–und Unternehmensberater heran. „Wir wollen die Peitsche haben, wer gibt sie uns?“ In diesem nicht ganz ernsten Spruch hat ein Teil der Belegschaft in der ersten Zeit seine Irritation darüber ausgedrückt, daß es nun keine Vorgesetzten mehr gab, die sie überwachen und bei mangelder Leistung bestrafen. Schon vor zwei Jahren wurden die Stempeluhren im Betrieb wieder eingeführt, und wenig später wurde wieder ein Meister als unmittelbarer Vorgesetzter der Arbeiter eingesetzt. Seitdem es keinen Personalausschuß mehr gibt, hat allein die Geschäftsleitung die Disziplin zu kontrollieren. Die Geschäftsleitung sprach Kündigungen aus - wegen Rationalisierungen, aber auch, wenn Arbeiter unentschuldigt blau machten. Bollweg verhielt sich dabei in der letzten Zeit durchaus traditionell: Zuerst Ansprechen des Sünders am Arbeitsplatz, dann Hinaufbitten ins Chefbüro, später schriftliche Abmahnung, und im Wiederholungsfall Kündigung. Zu einem Rechtsstreit mit gefeuerten Arbeitern ist es nie gekommen. Bollweg: „Darüber bin ich sehr erleichtert.“ In wirtschaftlicher Hinsicht kann AN in letzter Zeit sogar Gewinne verbuchen, die wieder im Betrieb investiert wurden. Halbwegs gesichert wird der Betrieb allerdings erst sein, wenn es im kommenden Jahr gelingt, die Produkte der Entwicklungsabteilung auf dem Markt zu plazieren. An den AN– Windkraft–und Biotechnik– Anlagen wurde von Anfang an gearbeitet, allerdings haben sie bisher noch kein Geld eingebracht.

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