Neujahrs–Katerstimmung bei Arbeitslosen

■ Ab 1. Januar 88 gelten neue Regelungen für den Erhalt von Arbeitslosengeld / Die Unterstützung wird unter bestimmten Umständen nach dem Einkommen der letzten zwölf Monate statt bisher drei berechnet / Verschärfungen für Schüler, Studenten und Niedrigverdiener

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Lange Gesichter wird es bei einer ganzen Reihe von Arbeitslosen geben, die in diesen Tagen ihren Antrag auf Arbeitslosengeld bzw. -hilfe stellen. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit gelten ab dem 1.Januar 1988 neue gesetzliche Bestimmungen, die für jetzt arbeitslos Werdende monatliche Finanzeinbußen bis zu mehreren hundert Mark bedeuten und sogar zu einem völligen Verlust des Arbeitslosengeldes führen können. Wichtigster Punkt dieser achten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes: Wenn das Einkommen eines Arbeitslosen in den letzten drei Monaten vor seiner Entlassung ungewöhnlich stark gestiegen ist, unterstellt das Arbeitsamt einen „Leistungsmißbrauch“ und bemißt deshalb die Höhe des Arbeitslosengeldes nicht wie bisher nach dem Verdienst dieser letzten drei Monate, sondern nach dem Einkommen des gesamten letzten Jahres. Betroffen von dieser Regelung sind z.B. Alternativbetriebe, die bisher die Möglichkeit hatten, den kargen Lohn ihrer Mitarbeiter kurz vor der Entlassung bis zum Tariflohn aufzustocken, damit das künftige Arbeitslosengeld wenigstens zum Leben reicht. Starke Geldeinbußen werden nach dieser neuen Bestimmung auch Halbtagskräfte haben, die angesichts einer bevorstehenden Entlassung extra eine Ganztagsstelle angenommen haben, um ihr Arbeitslosengeld zu erhöhen. Betroffen sind auch Beschäftigte von konkursbedrohten Betrieben, die kurz vor der Schließung sämtliche Aufträge mit Überstunden und Doppelschichten abarbeiten müssen und dadurch zu einer überproportionalen Lohnerhöhung kommen. Nach der alten Regelung hätte ihnen das ein entsprechend hohes Arbeitslosengeld eingebracht, jetzt wird ihr gesamter Jahresverdienst zugrundegelegt. Nach der neuen Regelung, die selbst für Sachbearbeiter des Arbeitsamtes völlig überraschend auf dem Tisch lag, müssen die Arbeitgeber ein zusätzliches Formblatt ausfüllen. Darin wird abgefragt, ob sich der Lohn des ehemaligen Beschäftigten in den letzten drei Monaten übermäßig erhöht hat. Ist der Lohn im letzten Vierteljahr zwar gestiegen, aber nur um ein Drittel des bisherigen Entgeltes, kann der Arbeitgeber auf die Frage nach überproportionalen Lohnsteigerungen ein „Nein“ eintragen, und die alte Dreimonatsregelung gilt wie gehabt. Liegt die Lohnerhöhung aber über diesem Betrag von einem Drittel, wird in Zukunft die Arbeitslosenunterstützung nach dem Verdienst des gesamten letzten Jahres berechnet und ist dementsprechend niedriger. Allerdings, so räumt man bei den Arbeitsämtern ein, müsse man auch bei dieser neuen Regelung auf die Angaben der Arbeitgeber vertrauen. Flun kert der Arbeitgeber bei der Frage nach einer übermäßigen Lohnerhöhung, weil er seinem entlassenen Mitarbeiter ein höheres Arbeitslosengeld gönnen will, so habe man nur wenig Möglichkeiten, diesen kleinen Schwindel zu überprüfen. Schwierigkeiten mit dem Arbeitslosengeld wird es in Zukunft auch für Schüler und Studenten geben, die durch frühere Berufstätigkeit einen Anspruch auf Leistungen hatten. Reichte bisher meist die Versicherung, man stehe dem Arbeitsmarkt trotz Schule und Studium voll zur Verfügung, so müssen Schüler und Studenten ab jetzt den Nachweis erbringen, daß sie tatsächlich mehr als 18 Stunden die Woche berufstätig sein können. Als Nachweis gelte etwa, wenn jemand neben dem Studium berufstätig war, aber seine Stelle gerade verloren hat. Dritter wichtiger Punkt des neuen Arbeitsförderungsgesetzes: Auch diejenigen, die keine Leistungen vom Arbeitsamt beziehen, müssen sich alle drei Monate arbeitslos melden. Andernfalls werden sie nicht nur in der Arbeitslosenstatistik gestrichen, sondern haben dann z.B. auch keinen Anspruch mehr auf eine ABM–Stelle, für die eine mindestens sechsmonatige Arbeitslosigkeit Voraussetzung ist.