Najibullah hofft auf einen Kompromiß

■ Unter dem Druck der Sowjets macht das Regime in Kabul eine Konzession nach der anderen / Der sowjetische Außenminister Edouard Schewardnadse beendete gestern seine Gespräche in Kabul

Trotz eines militärischen Scheinerfolges im Kampf um die seit acht Jahren durch die Mujaheddin eingeschlossenen Garnisonsstadt Ghost, haben sich die Bemühungen um eine politische Lösung des Krieges in Afghanistan intensiviert. Sowohl Moskaus Schewardnadse als auch Washingtons Unterhändler Armacost waren in Kabul beziehungsweise Islamabad vor Ort, um den Prozeß voranzutreiben. Über die Ergebnisse seiner Gespräche in Kabul machte der sowjetische Außenminister keine Angaben.

Nach heftigen Kämpfen mit Tausenden von Toten auf beiden Seiten haben die afghanisch-sowjetischen Truppen seit Montag die Kontrolle über die Zufahrtswege zur Garnisonstadt Ghost gewonnen, die seit 1979 nur aus der Luft versorgt werden konnte. Mehrere afghanisch-sowjetische Versorgungskonvois sollen bereits über die 125 Kilometer lange Straße, die Ghost mit der Hauptstadt Gardez der Provinz Paktia verbindet, gerollt und in der umkämpften Stadt eingetroffen sein, verkündet die Regierung. Und sichtlich stolz ist man in Kabul darüber, daß die seit dem 19. Dezember durchgehaltene Offensive der Regierungstruppen erfolgreich abgeschlossen ist. Seit langem ist dies einmal ein militärisches Erfolgserlebnis im Kampf gegen die Mudjaheddin. „Najibullah zeigt noch einmal seine Krallen, aber nützen wird es ihm nichts“, heißt es dagegen in Peshawar, der in Pakistan gelegenen Zentrale der Widerstandsorganisationen, die über 5.000 neue Kämpfer in Marsch gesetzt haben. „Die Straße ist weiterhin verwundbar.“ Die in der Region operierenden Mudjaheddin haben sich inzwischen in der Gebirgsregion um Sayed verschanzt.

In Kabul selbst ist es ruhig. Vom Kriegszustand ist hier wenig zu spüren. Dennoch hat der Krieg in den Bergtälern sichtbare Spuren hinterlassen. Immer mehr Menschen flohen aus den Dörfern rund um die Hauptstadt, um dort Schutz zu suchen. In den letzten Jahren hat sich die Stadtbevölkerung durch kriegsbedingte Landflucht von etwa 800.000 auf weit mehr als zwei Millionen verdreifacht. Für die Regierung in Kabul ist die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung ein Grund gewesen, im Februar 1987 mit ihrer Politik der „Nationalen Aussöhnung“ zu beginnen. Denn sie hoffte, daß sie mit der neuen Politik ihre Basis in der Bevölkerung verbreitern könnte.

Und tatsächlich, die Bevölkerung in den großen Städten hat sich mit dem Regime weitgehend arrangiert, auch wirtschaftlich geht es vielen etwas besser als vorher. Immer wieder aber schlagen Phosphorraketen der Mudjaheddin hier ein, töten Menschen, zerstören Lehmhäuser und erinnern an die Fortführung der Kämpfe. „Wir sind beunruhigt“, sagt ein alter Mann, der aus der Provinz Herat nach Kabul geflüchtet ist. „Ich habe meine ganze Habe verloren, wie können Musleme solche Ver brechen gegen andere Musleme begehen?“ Die Frage, ob er keine Angst vor den Söldnern und Armeeangehörigen hätte, beantwortet er mit dem Hinweis auf die Raketen. „Vor denen habe ich Angst. Ich bin hier nach Kabul gekommen und will endlich in Frieden leben.“

Militär ist überall in der Stadt zu sehen. Doch im alten Bazar von Kabul wird gehandelt wie eh und je. Indem die Regierung sich gegenüber den traditionell mächtigen Bazarhändlern, den Krämern und dem Kleinhandwerk tolerant zeigt, möchte sie beweisen, daß die Politik der „Nationalen Aussöhnung“ die traditionellen Sektoren der Gesellschaft wiederbeleben will. Denn seit Gorbatschow um die Jahreswende 1986/87 den afghanischen Verbündeten unmißverständlich klar machte, daß die Sowjetunion den Krieg so schnell wie möglich beenden möchte, geht es nur noch darum, einen Frieden mit akzeptablen Bedingungen zu erreichen.

Trotz Konzessionen wenig Erfolg

Ein ganzes Jahr lang warb Najibullah um die Gunst der Mudjaheddin. Er ließ die Anzahl der Ministerien erhöhen und bot den Feinden Ministerposten an. Er besetzte, als dies nicht gelang, die freigewordenen Posten durch Parteilose wie im Fall des neuen Hochschulministers Abdulwahed Sarabi. Der ebenfalls Parteilose Mohammad Khan Jalallar wurde Handelsminister. Najibullah zeigte sich sogar bereit, über den Posten eines Ministerpräsidenten mit sich reden zu lassen. Gegen über den Gläubigen wurden Konzessionen gemacht und der Islam als Staatsreligion in der Verfassung verankert. Eine Kommission von Geistlichen soll alle Gesetze mit den islamischen Prinzipien in Einklang bringen.

Doch bisher sind die Erfolge dieser Bemühungen gegenüber den Mudjaheddin eher dürftig. Während seiner Eröffnungsrede der sogenannten „Verfassunggebenden Versammlung“ am 29. November 1987, an der mehr als 1.700 Delegierte teilnahmen, feuerten die Regierungsgegner vier Raketen auf das Tagungsgebäude. Dennoch wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die das Mehrparteiensystem garantiert und somit auch konservative und bürgerliche Parteien zuläßt. Freie Gewerkschaften und politische Organisationen sind gemäß der Verfassung künftig zugelassen.

Der afghanische Ministerpräsident Keschtmand hat das Interesse seiner Regierung an einer po litischen Lösung bekundet und von den USA eine erkennbare Bereitschaft dazu verlangt. Die hektischen diplomatischen Aktivitäten der letzten Tage zeigen an, daß nach dem Gipfel in Washington die Verhandlungen auf höchster Ebene in Bewegung gekommen sind. Der seit Montag währende Besuch des sowjetischen Außenministers in Kabul und die parallel verlaufenden Gespräche des amerikanischen Abgesandten Michael Armacost in Pakistan deuten auf die Suche nach politischen Lösungen. Das Wort Gorbatschows in Washington, daß die Sowjetunion in spätestens zwölf Monaten ihre Truppen aus dem Hindukusch zurückgezogen haben könnte und das sowjetische Versprechen, bei den im nächsten Monat unter UN- Hoheit geführten Friedensgesprächen in Genf neue Vorschläge zu machen, haben UN-Chefunterhändler Cordovez vorgestern sogar zu einer Befürchtung veranlaßt. Unter dem Eindruck dieser sowjetischen Aktivitäten, so Cordovez, bestünde die Gefahr, daß die USA und Pakistan weniger geneigt sein werden, ihren Teil einer Übereinkunft auch einzuhalten und ihre Waffenlieferungen an die Mudjaheddin zu stoppen.

Die „Demokratische Volkspartei Afghanistans“ hofft, daß die Verhandlungen zu einem Friedensabkommen führen, in dem die Bildung einer Koalitionsregierung aus Marxisten, bürgerlichen und konservativen Parteien und islamischen Fundamentalisten festgeschrieben ist. Najibullah zeigt sich bereit, nicht auf der Hegemonie der Demokratischen Volkspartei in dieser Koalition zu bestehen. Denn jetzt sitzt allen Funktionären die Angst im Nacken, daß es bei einem nichtfriedlichen Übergang zu einer „Nacht der langen Messer“ kommen könnte, die von dem Mudjaheddin-Führer Hektmatiar aus Peschawar angedroht wurde. Mostafa Danesch