„Entsorgungskonzept nach wie vor richtig“

Umweltminister Töpfers Entsorgungsbericht in Sachen Atommüll: Trotz Transnuklear ohne nennenswerte Änderungen / Auch in dem Töpfer-Bericht ist die Rede von 100 Gramm Spaltstoff „aus einem Störfall in einem deutschen Siedewasser-Reaktor“  ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Bei der Firma Transnuklear sind 1984 Überlegungen angestellt worden, wie 100 Gramm Spaltstoff „aus einem Störfall in einem deutschen Siedewasserreaktor zum Verschwinden gebracht werden“ können. Dies geht wörtlich aus der Neufassung des Entsorgungsberichts des Umweltministeriums hervor, der gestern vom Kabinett verabschiedet wurde. Quelle der Information ist die Transnuklear (TN) selbst, die sich bereits am 22.12.87 gegenüber Umweltminister Töpfer entsprechend geäußert hatte. Diese Version deckt sich mit einer Ende des Jahres bekannt gewordenen Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters der Transnuklear. Der TN- Mann hatte sein Wissen in einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber dem Frankfurter Anwalt von Plottnitz öffentlich gemacht. In dem Bericht Töpfers heißt es weiter, die genannten „Überlegungen“, den Spaltstoff elegant beiseite zu schaffen, seien in einer „Gruppe der Firma“ angestellt worden. Die Firma könne diese Informationen jedoch „nicht bewerten“, heißt es so lapidar wie ominös in dem Text Töpfers.

Der Verbleib des Spaltstoffes konnte bisher auch von der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Hanau nicht aufgeklärt werden. Auch die Frage, ob es einen Störfall tatsächlich gab, und wo, bleibt ohne Antwort. Minister Töpfer ist sich in seinem Bericht aber sicher: „Erkenntnisse über etwaige Transporte hochradioaktiven Abfalls aus der Bundesrepublik nach Mol liegen nicht vor.“ Wie wenig Überblick über die Lage allerdings tatsächlich besteht, zeigt sich daran, daß nun die Zahl der womöglich falsch deklarierten Fässer aus Mol auf 2438 geklettert ist (Zählstand der Länder vom Dienstag).

Die Affäre der Atomindustrie hat den Umweltminister nicht bewogen, die Aussagen aus dem bereits informell bekanntgewordenen Entsorgungsbericht von Mitte Dezember zu ändern.“ Das Entsorgungskonzept (...) ist nach Auffassung der Bundesregierung nach wie vor richtig“, und soll für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle eine privatwirtschaftliche Aufgabe bleiben. Konsequenzen aus dem Transnuklearskandal werden nur als Absichtserklärungen gezogen: Intensivierung der staatlichen Kontrolle, Erarbeitung eines „Konzepts“, wie der Atommüll verringert und im Inland konditioniert werden kann.

Der Antrag der Grünen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bekam gestern im Bundestag nicht die Stimmen der SPD. Das Zustandekommen des parlamentarischen Kontrollgremiums ist trotzdem bereits beschlossene Sache, da die Fraktion der Sozialdemokraten sich am Dienstag einstimmig für den Ausschuß ausgesprochen hatte.

Allerdings wollten die Sozialdemokraten offensichtlich nicht den Eindruck erwecken, von den Grünen zu diesem Schritt gedrängt worden zu sein, und werden über ihren Aufgabenkatalog für den Ausschuß erst in der kommenden Woche beschließen. Die SPD- Fraktion tat sich mit der Entscheidung schwer, denn das Untersuchungsgremium, dessen Vorsitz turnusmäßig der SPD zufällt, könnte auch die Kungeleien mit der Atomindustrie aus der Ära der SPD-Regierung zutage fördern. Die Grünen wollen u.a. den Entsorgungsnachweis für die Atomkraftwerke, die Legitimität der Hanauer Nuklearbetriebe und die Kontrolle waffenfähigen Plutoniums auf den Prüfstand des Ausschusses heben, die SPD dazu das Thema Nuklearterrorismus. Die CDU/CSU-Fraktion, deren Zu stimmung für das Gremium nicht notwendig ist, will die Untersuchung auf die „kriminellen Machenschaften zwischen Mol und Transnuklear“ begrenzen.

In einer Regierungserklärung vor dem Bundestag bedauerte es Töpfer, daß tausende unbescholtene Beschäftigte der Atomindustrie nun in einen Strudel der Verdächtigung gezogen seien: Die Bundesregierung stelle sich ausdrücklich vor sie. Die Kernergie insgesamt sei in eine Vertrauenskrise gekommen und es müsse „tief geschnitten“ werden, um das Vertrauen wiederzugewinnen. Die Forderung nach Ausstieg sei aber keine Lösung. Der CDU-Abgeordnete Laufs meinte, die Bundesregierung könne der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses „mit größter Gelassenheit“ entgegensehen; Klärungsbedarf gebe es eher im ehemals SPD-regierten Hessen. Angesichts der geringen Mengen von Plutonium in den Fässern sei es von der SPD „schamlos“, das Abzweigen waffenfähigen Plutomiums an die Wand zu malen. Die grüne Abgeordnete Lilo Wollny wies dagegen darauf hin, daß in einem Zementfaß verstecktes Plutonium nicht zu messen sei, ein Kilogramm so wenig wie ein Mikrogramm. Wollny: „Wie will man garantieren, daß auf die gleiche Art nicht auch größere Mengen verschoben wurden und werden?“ Der Untersuchungsausschuß werde, so Wollny, der SPD Gelegenheit geben, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten: „Das Entsorgungskonzept, unter dem wir heute leiden, ist das Werk der SPD.“ Der damit angesprochene ehemalige Forschungsminister Volker Hauff (SPD) räumte ein, daß sich die damaligen Hoffnungen auf Lösung des Atommüll-Problems nicht erfüllt hätten: „Wer heute behauptet, die Entsorgung ist gesichert, täuscht die Öffentlichkeit.“ Die Nutzung der Kernenergie habe sich als Sackgasse erwiesen. Für die FDP-Fraktion sprach Gerhard Baum dem Umweltminister ausdrückliches Lob aus und versicherte gleichzeitig, die FDP werde sich im Untersuchungsausschuß „aktiv“ an der Aufklärung beteiligen.

Von Seiten der Bundesregierung wohnten nur Töpfer und Riesenhuber der Debatte bei. Ein Versuch der Grünen, Kanzler Kohl durch einen Antrag „herbeizuzitieren“, scheiterte. Das Kabinett hatte sich am Morgen positiv zu der u.a. von Baum geforderten Einrichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz geäußert. Töpfer forderte gleichzeitig eine bessere personelle Ausstattung seines Ministeriums für diese Aufgaben. Das „Deutsche Atomforum“, der Zusammenschluß der Atomlobby, verbreitete in Bonn eine „Kernenergiebilanz 1987“: Danach sind AKWs höchst zuverlässig und ihre Belegschaft „außerordentlich qualifiziert“.