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Musterschuldner erneut belohnt: Teil-Vergleich für Mexiko

20 Milliarden Dollar Schulden werden in zehn Milliarden „gesicherte“ Wertpapiere umgewandelt / „Brasilien-Plan“ / Trotz aller Sicherheit: „manana-bonds“  ■ Von Raul Rojas

Eine neue Phase in der Verschuldungskrise der Dritten Welt wurde Ende Dezember eingeleitet. Zum ersten Mal seit der Mexiko-Krise von August 1982 haben die internationalen Banken öffentlich zugegeben, daß die früher an Großschuldnerländer vergebenen Kredite heute nicht mehr 100 Prozent ihres früheren Wertes besitzen. Ein Konzept wurde vorgeschlagen, das die Streichung mehrerer Milliarden Dollar Schulden vorsieht. Und wie immer, wenn es um neue Lösungsrezepte geht, ist Mexiko das erste Land, an dem der Testfall vollzogen wird.

Vor ein paar Tagen stellten das amerikanische Federal Reserve und die New Yorker Morgan Guaranty (die von der mexikanischen Regierung beauftragte Bank) das neue Konzept der Öffentlichkeit vor: Mexiko wird in den nächsten Monaten alte Kredite im ursprünglichen Wert von etwa 20 Milliarden Dollar gegen neue Wertpapiere der mexikanischen Regierung umtauschen. Die neuen Wertpapiere werden insgesamt einen Wert von nur zehn Milliarden Dollar haben, sie werden aber einen leicht höheren Zinssatz zahlen. Gehen die Banken auf diese Transaktion ein, so werden mit einem Schlag zehn Milliarden Dollar Schulden faktisch gestrichen. Mit diesem Vorhaben wird jetzt eingestanden, daß die alten Schulden schlicht und einfach nicht zahlbar sind.

Der Plan von Morgan Guaranty enthält zwei weitere Neuerungen: Zum einen fungiert die amerikanische Regierung als Garant dieses Tauschgeschäfts. Damit wird endlich akzeptiert, daß die Verschuldungskrise ohne Beteiligung der Regierungen der Industrieländer nicht lösbar ist. Zum zweiten werden die neuen mexikanischen Wertpapiere mit Wertpapieren der amerikanischen Regierung zum Teil abgesichert. Bevor Mexiko die zehn Milliarden Dollar an eigenen „bonds“ in Umlauf bringt, wird das Land Wertpapiere der amerikanischen Regierung kaufen. Dafür muß Mexiko zunächst nur zwei Milliarden Dollar aufbringen, obwohl die Wertpapiere einen Nennwert von zehn Milliarden Dollar haben werden. Dieser ist jedoch erst in zwanzig Jahren fällig, und während dieser Phase brauchen keine Zinsen bezahlt zu werden. Die Tilgung der mexikanischen Wertpapiere (ebenfalls in zwanzig Jahren fällig) ist damit völlig durch die US- Bonds garantiert. Im Zweifelsfall – wenn die amerikanische Regierung die Gelder für die Rückzahlung auf ihre Wertpapiere nicht aufbringen kann – müssen also die US-Wertpapiere an die Gläubiger ausgehändigt werden. Die Zinsen sind dagegen nicht abgesichert. Das liegt einzig und allein in der Verantwortung der mexikanischen Regierung.

Mit dem neuen Plan wird es dann auch in der Tat zwei Klassen von mexikanischen Schulden geben: die alten, die schon heute nur um 50 Prozent ihres Betrages im Secondary-Markt (dem Markt für „gebrauchte“, unsichere, Kredite) verschleudert werden, und die neuen, die aus Wertpapieren bestehen werden. Die mexikanische Regierung will die neuen Schulden unter allen Umständen völlig zurückzahlen. Die alten Schulden dagegen werden wie bisher behandelt: es werden Zinsen bezahlt, aber die Tilgungen werden durch Umschuldungen immer weiter in die Zukunft verschoben.Die neuen Schulden haben auch einen Vorteil für die Banken: sie können gekauft und verkauft werden, nicht nur von Banken sondern auch von anderen Anlegern. Es ist dabei theoretisch möglich, daß Privatpersonen und Großfirmen diese Wertpapiere erwerben. Die Banken könnten sich auf diese Weise auch der neuen „echten“ Schulden entledigen und sie über die ganzen Finanzmärkte ausbreiten. Das Risiko der Nichtzahlung würde sich auf das gesamte Finanzsystem verteilen und nicht nur auf die Banken konzentrieren. So gesehen enthält der neue mexikanische Plan zwei wichtigte Momente: zunächst einmal die Streichung fast der Hälfte von zwanzig Milliarden Dollar Schulden und gleich danach die breite Streuung der neuen Wertpapiere auf dem ganzen Kapitalmarkt. Falls Mexiko auch wiederum diese neuen Schulden nicht zahlen sollte, hätten die Banken nicht um ihr Überleben zu fürchten.

Der mexikanische Plan müßte aber ehrlicherweise als brasilianer Plan bezeichnet werden. Genau dasselbe Verfahren hat der frühere brasilianische Finanzminister Bresser im September vorgeschlagen. Sowohl die Banken als auch die amerikanische Regierung ließen damals den Plan ins Leere laufen, weil sie Brasilien nicht einen Schuldenerlaß bescheren wollten, nachdem das Land mehrere Monate lang die Zinszahlungen ausgesetzt hatte. Daß sie dagegen jetzt Mexiko damit aus der Klemme helfen wollen, hat vor allem zwei Gründe. Erstens ist Mexiko seit 1982 immer als der Musterschuldner hervorgetreten, als das Land, das sich ohne Wenn und Aber dem Diktat des Weltwährungsfonds (IWF) beugt. Die Politik der „industriellen Umwandlung“, die heutzutage in Mexiko offiziell verfolgt wird, enthält wichtige Ingredienzen der IWF-Politik und Öffnung zum Weltmarkt. Nur ein paar Tage vor der Ankündigung des neuen Plans z.B. setzte Mexiko sämtliche Zollsätze herunter, so daß ab Januar auf die Importe nur noch ein gewichtiger Zollsatz von etwa zwölf Prozent zu zahlen ist, obwohl dadurch die nationale Industrie untergehen könnte.

Der zweite Faktor sind die hohen Währungsreserven Mexikos (fast 14 Milliarden Dollar). Durch den unerwarteten Anstieg des Erdölpreises im Jahr 1987 konnte Mexiko die leeren Kassen wieder füllen. Dazu kam, daß das Land 1986 und 1987 mehrere Milliarden Dollar „frisches Geld“ von den Banken bekam. So wäre Mexiko in der Lage, seine alten Schulden mit barem Geld zurückkaufen zu können, wie es auch z.B. Bolivien seit ein paar Monaten praktiziert.

Finge Mexiko aber an, seine Schulden auf dem Secondary- Markt in cash zu zahlen, gäbe es keine Garantie, daß sich die Banken nicht gegenseitig unterbieten, um endlich von den mexikanischen Schulden befreit zu werden. Deshalb stehen die Banken einem solchen Selbstrückkauf sehr skeptisch gegenüber. Nicht zuletzt, um den unvermeidlichen Prozeß der Schuldenumwandlung in kontrollierbare Bahnen zu lenken, wurde der neue Plan verworfen.

Die Verschuldungskrise hat also einen neuen historischen Umschwung erlebt. Die Illusion, daß sich die verschuldeten Länder durch Wachstum und immer mehr Wachstum freikaufen könnten, ist spätestens seit dem schwarzen Montag im Oktober 1987, dem Tag, an dem die Aktienkurse an den Weltbörsen gewaltig gefallen sind, endlich verblaßt. Zurück bleiben nur noch die Trümmer des bis heute verfolgten Krisenmanagements, während von fern schon die neuen Wertpapiere die vorsichtig gewordenen Bankiers locken. Die neuen Schulden werden aber wie die alten „manana“ bezahlt. In ganzen fünf Jahren Krisenmanagement haben die Schuldenberge nur die „manana- bonds“ geboren!

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