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Der „Lagerkrieg“ im Libanon ist zu Ende

Nach langen Verhandlungen zwischen Amal, Palästinensern und den in Westbeirut stationierten Truppen ist die Blockade der Palästinenserlager aufgehoben worden / Fast drei Jahre alptraumhafte Bedingungen für die Lagerbevölkerung sind vorbei  ■ Aus Beirut Petra Groll

990 Tage Belagerung, mindestens 2.500 Tote, viele tausend Verletzte und einige hundert „Verschwundene“: so liest sich die Bilanz zum Ende des „Lagerkriegs“ der von Syrien unterstützten Schiitenbewegung Amal gegen ein halbes Dutzend Palästinensercamps im Libanon. Die materiellen Verluste sind kaum zu beziffern. Sabra, ein kleines Camp am Rande Westbeiruts, existiert nicht mehr, Chatila wurde zu 95 Prozent zerstört, Bourj-el-Brajneh zu 70 Prozent, Rashediyeh, ein Camp im äußersten Süden Libanons, wurde ebenfalls zum Großteil zerbombt. Die Umgebung der Camps, fast ausschließlich von Schiiten bewohnte Siedlungen im Slumgürtel von Westbeirut, geben an diesem sonnigen Wintermorgen ein nur wenig besseres Bild ab als die Camps. Für die Bewohner der Lager geht ein Alptraum zuende, ein fast drei Jahre anhaltender, unerbittlicher Krieg. Für die männlichen Bewohner endet eine Zeit der Gefangenschaft in den Lagern: zum ersten mal seit Ausbruch des Lagerkrieges im Mai 1985 können auch sie die Checkpoints am Rande der Camps passieren.

„Aus Solidarität mit der Revolte im vom Israel besetzten Gazastreifen und in der Westbank“, hatte am Samstag vergangener Woche Amal-Chef Berri verkündet, „wird die Blockade der Westbeiruter Camps alsbald bedingungslos aufgehoben.“ Bis zum späten Mittwochnachmittag dauerten die Verhandlungen zwischen Amal, den Palästinensern und der Führung der seit Februar 1987 in Westbeirut stationierten Truppen , bis die wesentlichen Modalitäten festgelegt waren.

Dann endlich übernahmen syrische Soldaten spezieller Eliteein heiten die Kontrolle über die nun zur „Militärzone“ erklärten Lager. Sicherheit und Kontrolle der Camps liegen in palästinensischer Verantwortung. Spezielle Komitees werden sich mit dem Wiederaufbau der Lager beschäftigen. Das UN-Hilfswerk UNRWA erklärte am Wochenende, mit Reparatur und Wiederaufbauarbeiten könne umgehend begonnen werden, die nötigsten Materialien ständen schon seit langem bereit. Syrische Truppen, die in Westbeirut die Amal-Stellungen übernehmen könnten, sind im Südlibanon nicht stationiert. Die politischen Folgen des „Lagerkrieges“ lassen sich zu diesem Zeitpunkt nur schwer ausmachen. Amal hatte im Mai 1985 die Camps zu Faustpfändern gemacht, seit verhindert werden sollte, daß die PLO im südlibanesischen Grenzgebiet ihren Einfluß ausbaut wie vor der israelischen Invasion von 1987.

Als Hintergrund des „Lagerkrieges“ aber ist der uralte Machtkampf zwischen dem syrischen Regime und der PLO-Führung Yassir Arafats zu betrachten. Geheime Verhandlungen zwischen den beiden Parteien haben zwar bislang noch keine offizielle Versöhnung gebracht, doch signalisiert das Ende des Lagerkrieges ein klare Annäherung. Die Aktivitäten der Sowjetunion, die im Hinblick auf eine internationale Friedenskonferenz für den Nahen Osten Interesse an einem geeinten arabischen Lager hat, scheinen nun von erstem Erfolg gekrönt.

Vor allem der Effekt auf die interne Situation im Libanon darf nicht unterschätzt werden. „Ohne eine Einigung mit den Palästinensern im Libanon wird es keine vereinte Opposition im Libanon geben“, hatte vor einigen Wochen Amal-Chef Berri in einem Interview mit der taz erklärt. Die links- liberalen Parteien des moslemischen Oppositionslagers waren am Lagerkrieg bis zur blutigen Schlacht im Februar 1987, die nur durch den Einmarsch syrischer Truppen beendet werden konnte, zerstritten. Alle späteren Einigungsversuche waren im Sande verlaufen.

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