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Der Abschied vom Vorruhestand

Das Kampfgesetz gegen Verkürzung der Wochenarbeitszeit läuft aus / Mit der IG Bau, Steine, Erden ist nun auch die letzte Gewerkschaft der „Fünferbande“ für die 35-Stunden-Woche  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) – Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden, Konrad Karl, konstatierte nüchtern die Realitäten: Eine Verlängerung der Vorruhestandsregelung mit den Arbeitgebern des Baugewerbes sei nicht durchsetzbar, „weil es zu teuer ist“. Und deshalb wird die IG Bau, bisher eine der strengsten Verfechterinnen des Vorruhestands im DGB, in Zukunft für die 35-Stunden-Woche streiten. Sie ist die letzte DGB-Gewerkschaft der „Fünferbande“, die diesen Schwenk zur Wochenarbeitszeitverkürzung vollzieht. Die IG Chemie, IG Textil, IG Bergbau und die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten waren schon vorher umgeschwenkt.

Mit der jetzigen Entscheidung des Kabinetts, das seinerzeit auf vier Jahre befristete Vorruhestandsgesetz Ende 1988 auslaufen zu lassen, entfällt die gesetzliche Grundlage für die Tarifparteien, in ihren Branchen entsprechende Regelungen zu beschließen.

Das Vorruhestandsgesetz wurde im Frühjahr 1984 verabschiedet – mitten im erbitterten siebenwöchigen Arbeitskampf der Industriegewerkschaften Metall und Druck für die 35-Stunden- Woche. Die Arbeitgeber setzten damals alle politischen und propagandistischen Mittel ein, um die gewerkschaftliche Forderung als unverantwortlich zu diffamieren. Ihr wichtigster Bündnispartner: die Regierung.

Die Bundesregierung hat mit dem Vorruhestandsgesetz versucht, den kämpfenden Gewerkschaften politisch das Wasser abzugraben. Nur der Vorruhestand, so hieß es, könne die Arbeitslosigkeit vermindern, durch die Arbeitszeitverkürzung dagegen werde sich die Arbeitslosigkeit erhöhen. Das Kabinett konnte sich bei dieser massiven Einmischung zugunsten der Arbeitgeber auf eine Spaltung der DGB-Gewerkschaften stützen. Denn ursprünglich war die Idee vom NGG-Vorsitzenden Döding in die Welt gesetzt und dann von den rechtssozialdemokratisch geführten Gewerkschaften der „Fünferbande“ als tarifpolitische Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verfolgt worden. Der DGB versuchte den gewerkschaftsinternen Konflikt seinerzeit durch ein „Sowohl-als-auch“ zu lösen. Inzwischen, nach dem erfolgreichen Arbeitskampf von 1984, hat sich die Strategie der Arbeitszeitverkürzung, d.h. Arbeitsumverteilung, durchgesetzt.

Der Arbeitsmarkteffekt der Vorruhestands-Tarifverträge war dürftig. Rund 120.000 Beschäftigte haben mit 58 Jahren ihren Arbeitsplatz vorzeitig geräumt, etwa 70.000 dieser Stellen wurden neu besetzt. Die Sozialausschüsse der CDU und ihr Arbeitsminister Blüm wollten das Gesetz ebenso wie DGB und SPD verlängern. Die FDP und die Mehrheit der Union dagegen halten jetzt, das Gesetz für zu teuer.

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