: Bei blauen Flecken Strafanzeige
In Norwegen können seit kurzem neben Vergewaltigung in der Ehe auch geringfügige Körperverletzungen verfolgt werden / Maßnahmen zum Schutz der Frauen sind vorbildlich, doch die Gewalttätigkeiten gehen nicht zurück ■ Von Gunnar Köhne
Prügel oder Psychoterror gegenüber Frau oder Freundin sind in Norwegen seit kurzem keine Privatsache mehr. Erhalten die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis davon, wird in jedem Fall – unabhängig vom Opfer – gegen den Täter Anzeige erstattet. Höchststrafe: Drei Jahre Gefängnis.
Diese im Justizministerium der Sozialdemokratin Hellen Bösterud ausgearbeitete Gesetzesverschärfung wurde jetzt vom norwegischen Parlament einstimmig beschlossen. Vergewaltigung in der Ehe wird bereits seit 1981 strafrechtlich verfolgt. Andere Mißhandlungen – ausgenommen schwere Körperverletzung – mußten dagegen weiterhin privat angezeigt werden. Es sei denn, „Rücksichtnahmen auf die Allgemeinheit“ erforderten ein Einschreiten, so der Gesetzestext. Norwegens Frauenorganisationen hatten immer wieder darauf hingewiesen, daß diese vage Formulierung nur selten zu einer Anzeige führt, weil Polizei und Staatsanwälte meist nicht davon überzeugt sind, daß die Verfolgung solcher Delikte von allgemeinem Interesse ist.
Eine vom Justizministerium in Auftrag gegebene Untersuchung hatte gezeigt, daß 1982 bis 1984 in Oslo insgesamt nur 435 Anzeigen wegen Mißhandlung von Frauen gestellt wurden. Das waren acht Prozent aller Anzeigen wegen Körperverletzung. Daß dies nicht den wirklichen Ausmaßen der Gewalt gegen Frauen entspricht, belegen die Zahlen der staatlichen Gesundheitsbehörde: Rund 10.000 Frauen benötigen jährlich nach Mißhandlungen medizinische Versorgung. In den 50 „Krisenzentren für Frauen“ übernachteten 1985 2.500 Frauen.
Ende der Kavaliersdelikte
Mit dem neuen Gesetz will die norwegische Regierung die Gewalt gegen Frauen aus dem Dunkel der Privatsphäre ins öffentliche Licht rücken. „Der Mann soll jetzt wissen, daß er nicht länger mit Straf freiheit rechnen kann“, erklärte Hellen Bösterud. Sie hat den Gerichten sogar empfohlen, das neue Gesetz auch bei leichter Körperverletzung wie blauen Flecken anzuwenden, sofern erkennbar ist, daß sie Folgen einer permanenten Nötigung sind. Einmal erstattete Anzeigen können von den betroffenen Frauen zukünftig nicht mehr ohne weiteres zurückgezogen werden – auf Grundlage der ersten Aussage wird in jedem Fall zuende ermittelt. (In Einzelfällen kann allerdings mit Rücksicht auf das Opfer von einer Anklage abgesehen werden.)
„Nach unserer Meinung ist das Argument, ein solches Gesetz entmündige die mißhandelte Frau, nicht überzeugend“, heißt es weiter in einem Papier des Justizministeriums. „Es zeigt sich, daß der freie Wille der Frauen nach lang anhaltenden Mißhandlungen und Drohungen von seiten des Mannes und vielleicht auch der Familie oft stark beeinträchtigt ist.“ Mit dieser Änderung des Strafgesetzes wird in Norwegen das gesetzliche Netz zum Schutz von Frauen vor männlicher Gewalt noch dichter geknüpft. Auch die soziale und medizinische Betreuung mißhandelter Frauen ist für europäische Verhältnisse beachtlich: In Oslo gibt es seit eineinhalb Jahren ein ambulantes Zentrum für vergewaltigte Frauen (und Männer – sechs Prozent der Hilfesuchenden), das den Opfern schnelle und sachkundige Hilfe bietet. In anderen Städten des Landes werden demnächst ähnliche Zentren eingerichtet.
Statt überforderter oder ignoranter Polizeibeamter sitzen ihnen dort Ärztinnen und Sozialarbeiterinnen gegenüber, die sie beraten und bei jedem weiteren Schritt begleiten. Den Frauen werden dort außerdem Anwälte vermittelt, denn jede mißhandelte Frau hat ein Recht auf kostenlose Anwaltshilfe vor Gericht. Fragen des Richters nach dem „sexuellen Vorleben“ der Zeugin sind unzulässig.
Wirkungslose Gesetze?
Dennoch teilen viele Frauen den Optimismus der Justizministerin nicht, daß sich mit Gesetzesverschärfungen wie der jüngsten die „Haltung der Männer“ ändern werde. Else Hersvik, die im Frauenhaus in Bergen tagtäglich mit mißhandelten Frauen zu tun hat: „Natürlich sind wir froh, daß wir mit diesen Gesetzen besser dastehen als andere Länder und alle Gelder problemlos bewilligt bekommen, ob von Konservativen oder Sozialdemokraten. Das gibt uns einen formalen Rückhalt und sendet deutliche Signale, was diese Gesellschaft akzeptiert und was nicht.“ Das Denken und Verhalten der norwegischen Männer habe sich aber nicht im gleichen Maß entwickelt. Um daran etwas ändern zu können, „brauchen wir die Macht, die die Männer bei uns immer noch haben, trotz aller Gleichstellungsmaßnahmen.“
Else Hersvik sieht voraus, daß es in Norwegen so gehen wird wie im Nachbarland Schweden: Dort sind nach Einführung ähnlicher Gesetze gegen Mißhandlungen zwar die Verurteilungen um zehn Prozent gestiegen, die Zahl der Mißhandlungen blieb dagegen konstant.
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