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„Kein Abkommen in den nächsten Jahren“

Die Verhandlungen über die weltweite Ächtung von Chemiewaffen sind blockiert  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Das einzige, was zum Beschluß eines weltweiten Chemiewaffenverbots fehlt, ist der politische Wille. Dieser Hinweis eines Konferenzteilnehmers macht deutlich, daß nun die USA gefordert sind. Bei der gestern begonnenen Plenartagung der UN-Abrüstungskonferenz in Genf herrscht jedoch weitverbreiteter Pessimismus. Der Chefunterhändler der USA, Max J. Friedersdorf, hat bereits im Vorfeld deutlich gemacht, daß seine Regierung nicht unterschreiben wird: „Vor Ende 1989 ist mit einem Vertrag auf keinen Fall zu rechen.“ Am Donnerstag wird Außenminister Hans Dietrich Genscher in Genf antreten. Wenn er sich nicht vollends unglaubwürdig machen will, muß er deutliche Worte an die Adresse der Vereinigten Staaten finden.

„Open end discussions“ steht auf einem Schild an der Tür zu Saal III des Genfer UNO-Gebäudes. Dahinter streiten die Vertreter von 40 Staaten seit sieben Jahren um den Vertrag über ein weltweites Chemiewaffenverbot. Die meisten Ausschußmitglieder hätten das „open end“ gerne längst durch „final“ ersetzt und der Dienstag begonnenen Plenartagung der Genfer Abrüstungskonferenz ein unterschriftsreifes Vertragswerk vorgelegt. Doch ihr Bericht enthält zahlreiche Klammern, und ihr Arbeitsauftrag wird von der Plenartagung verlängert werden.

Dabei sind nach Aussagen des Ausschußvorsitzenden, Schwedens Botschafter Rolf Ekeus, „alle militärischen und die meisten verifikationstechnischen Pro bleme gelöst“. Als „politischen Rückschlag“ bewertet er, was für andere, westliche, östliche oder „3.Welt“-Vertreter (Gruppe der 21) im Ausschuß das Haupthindernis darstellt: die Aufnahme der Binärwaffenproduktion durch die USA im Dezember 87. Zwar „lange angekündigt und daher nicht überraschend“ (Ekeus) verbreitet dieser Schritt hinter der noch mühsam aufrechterhaltenen Fassade des Optimismus zunehmend Enttäuschung und Resignation.

Seit dem großen Durchbruch im letzten Jahr, als sich die UdSSR zu allen Verifikationsmaßnahmen (Überprüfung und Kontrolle) auf ihrem Territorium bereit erklärten – auch unter Einschluß von Vor-Ort-Inspektionen und dem Verzicht, diese im Einzelfall zu verweigern –, hat sich nicht mehr viel bewegt. Zwar verhandeln die US-Vertreter sowohl im Ausschuß als auch bilateral mit den Sowjets. Doch wenn es darum geht, nach stundenlangen Beratungen erzielte Ergebnisse in Vertragsparagraphen zu fassen, „stehen sie auf und erklären, sie hätten keine Instruktionen aus Washington“, erklären übereinstimmend Verhandlungsteilnehmer. US- Chefunterhändler Max J. Friedersdorf hält inzwischen „einen Vertragsabschluß im Jahre 88 für unwahrscheinlich“ und ist auch für „1989 skeptisch, weil sich da der neue Präsident erst einrichten muß“.

Das von US-Offiziellen zunehmend in den Vordergrund geschobene Argument, ein Vertrag sei „derzeit nicht verifizierbar“, überzeugt nicht, zumal die Grundlage der bisherigen Beratungen ein von Vizepräsident Bush 1984 eingebrachter Vertragsentwurf ist, dessen Verifikationsvorschläge sämtlich übernommen wurden. Die Behauptung, die UdSSR stimme nur im Prinzip und in der Öffentlichkeit, nicht aber im Detail am Verhandlungstisch den Verifikationsvorschlägen zu, wird ebenfalls von den Vertretern anderer Staaten nicht bestätigt.

Sorgen bereiten auch die Äuße rungen des bislang aussichtsreichsten Reagan-Nachfolgers, Vizepräsident Bush, der am 5. Januar eine 50prozentige Reduzierung statt eines weltweiten Verbotes forderte. Wenn dabei lediglich an eine Verringerung der Tonnage gedacht ist, ließe sich dieses Ziel spielend erreichen. Etwa durch gleichzeitige Modernisierung, da der „Gebrauchswert“ zum Beispiel der derzeitigen US-Chemiewaffenbestände bei unter zehn Prozent liegt.

Ein weiteres Problem sind die Franzosen. Der international renommierte C-Waffen Experte Professor Julian Robinson aus Großbritannien hält es auch „für zu 50 Prozent wahrscheinlich, daß die Franzosen Chemiewaffen in der Bundesrepublik gelagert haben“. Von denen ist dazu keine Stellungnahme zu erhalten, haben sie doch noch nicht einmal offiziell mitgeteilt, daß sie überhaupt Chemiewaffen besitzen. Allerdings drohen sie, ihre – von Robinson auf 2.000 Tonnen geschätzten – Bestände bis zum achten Jahr der zehnjährigen Vernichtungsphase nach Inkrafttreten des Vertrages als „Sicherheitsreserve“ beizubehalten und noch aufzustocken. Dies erschwert die Verhandlungen zusätzlich.

„Starke Bedenken“ gegen die Einbeziehung der Produktion bestimmter Chemikalien in Kontrollmaßnahmen meldet darüberhinaus der Verband der westeuropäischen Chemiehersteller in einem Schreiben vom 7. Dezember 87 an den Ausschußvorsitzenden Ekeus an. Sorge vor „Industriespionage“ und „Einblick in Kundenlisten“ gibt es aber auch in osteuropäischen und „Gruppe der 21“-Staaten wie zum Beispiel Indien. Bei Letzteren kommt noch die Befürchtung hinzu, ein Vertrag könnte die chemische Entwicklungshilfe und den Aufbau ihrer Industrien beeinträchtigen.

Noch umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen verlangen die weltweiten, umfassenden Kontroll- und Verifikationsmaßnahmen, für die eigens eine internationale Behörde mit über 2.000 extra zu schulenden Fachleuten vorgesehen ist. Langjährige Teilnehmer und Beobachter der Verhandlungen halten die verbleibenden Probleme alle für überwindbar – wenn der politische Wille da ist. Da das derzeit nicht mehr bei allen Beteiligten der Fall ist, so ein Auschußmitglied in realistischer Einschätzung seiner beschränkten Möglichleiten, „ist es für einen Erfolg unerläßlich, daß die Öffentlichkeit in den Teilnehmerstaaten informiert ist und Druck macht“.

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