: „So etwas wie ihr gehört vergast !“
Nazi-Äußerungen eines sozialdemokratischen Stadtverordneten in Bischofsheim bleiben ohne offizielle Konsequenzen / Rassistische Fastnachtsnummern im Karnevalsverein / Der SPD-Vorsitzende: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ ■ Aus Frankfurt Reinhard Mohr
Am 27.November des vergangenen Jahres herrschte Hochstimmung im Gemeindeparlament des 12.000 Einwohner zählenden Städtchens Bischofsheim. „Dreckige Utschebebbes“, „Raus mit dene Kerle“, „Ich schlaach derr ins Maul“, „Die geheern doch vergast!“
Sozialdemokratische Hinterbänkler waren maßlos erregt über einen Antrag der „Grün-Alternativen Liste“ (GALB), in dem die Vertreter der Bürgerschaft aufgefordert wurden, gegen einen ausländerfeindlichen Vortrag des „Bischofsheimer Karnevalvereins“ (BCV) zu protestieren und seine Streichung zu verlangen.
Zum Auftakt der „Kampagne 1987/88“ hatten die Provinz- „Fassenachter“ die „Türkenfrau Fatima“ auftreten lassen, die sich zu Beginn ihrer „Nummer“ erst einmal auf den Boden wirft, gen Mekka wendet und dann weitere kulturelle Eigenheiten präsen tiert: die Kinder essen „Chappi“, und „Ali müssen arbeiten“. Nicht darüber waren die gestandenen Sozialdemokraten empört, die mit 23 von 37 Sitzen im Gemeindeparlament die absolute Mehrheit innehaben, sondern über die Kritik der drei GALB-Abgeordneten an der „Verächtlichmachung der türkischen Minderheit“.
Der Bischofsheimer SPD-Vorsitzende Will, der in der Regionalzeitung „Main-Spitze“ besonders gerne und ausführlich über „Kappe-Sitzungen“ berichtet, sprach sich umgehend gegen den grünen Resolutionsentwurf aus. „Vereinssachen“ hätten in der Kommunalpolitik nichts zu suchen: die GALB habe einen „Showantrag“ vorgelegt, der versuche, „Parteipolitik auf dem Rücken der Ausländer auszutragen“.
Die CDU sah gar die „freie Meinungsäußerung“ des Volkes in Gefahr. Mit den 23 Stimmen der SPD, bei Stimmenthaltung der CDU, wurde der Antrag abgelehnt.
Wochen später, am 8.Januar 1988, wandte sich ein einfaches Mitglied der Bischofsheimer SPD in einem „Offenen Brief“ an seine „lieben Genossinnen und Genossen“, um seine „Sorge, Bestürzung und Angst“ wegen der „Geschehnisse innerhalb der SPD- Fraktion“ zu äußern. Er sei „nicht bereit, Solidarität zu üben mit Genossen in der SPD-Fraktion, welche den politischen Gegner, so geschehen in der Gemeindevertretersitzung am 27.11.87, mit Ausdrücken wie So etwas wie ihr gehört vergast! belegen.“
Das hätte Jörg Baum, SPD-Mitglied seit 1972, lieber nicht schreiben sollen. Empört und verärgert reagierte die SPD Ende Januar auf ihrer ersten Versammlung des neuen Jahres darauf, daß ein Mitglied des Ortsvereins „die Bemerkung“ des wackeren Fraktionsgenossen „auch noch in die Öffentlichkeit getragen“ hatte. Während man nach „über einstündiger lebhafter Diskussion“ (Rüsselsheimer Echo) von einer förmlichen Verurteilung der Vergasungsäußerung des SPD-Abgeordneten Andreas Heinrich absah, verurteilte der Ortsvereinsvorstand da gegen mutig und „einstimmig“ den Offenen Brief von Jörg Baum, dem darüberhinaus unterstellt wurde, er habe seine Feder von der GALB führen lassen.
Einige der Sozialdemokraten, die im Laufe der Sitzung eingeräumt hatten, sie hätten es versäumt, der inkriminierten Äußerung „nachzugehen“, brachten ein Parteiausschlußverfahren gegen ihren internen Kritiker ins Spiel. Der kam ihm zuvor und arbeitet nun in der GALB mit.
Zur Begründung sagte er: „In Bischofsheim ist es nicht möglich, bei der SPD sozialdemokratische Politik zu machen.“
Thomas Will, Bischofsheimer SPD-Vorsitzender, lehnte die Behandlung eines Eil-Antrages der GALB zur Verurteilung der Äußerung „So etwas wie ihr gehört vergast!“ im Gemeindeparlament souverän ab – der Betroffene sei derzeit in Urlaub – und fand noch Zeit genug für den aktuellen Bericht von der Fastnachtsfront in der „Main-Spitze“ vom 2.Februar: „Fatima war da“ – der Bischofsheimer Karneval hat sich vom politischen Gezänk nicht beeindrucken lassen. Nach einer kleinen Stärkung war es Hedwig Langs „Fatima“, die den närrischen Reigen wieder eröffnete:
Fatima tut heut nix bete, hat der GALB auf den Schlips getrete – so gab sich das Urgestein des Karneval-Vereins bewußt politisch. Tosender Beifall bei ihrem Schlußreim: Ich sage hier, gebt alle acht – Humor ist, wenn man trotzdem lacht! Hedwig Lang und der BCV haben hinter einen lästigen Streit einen dicken Punkt gesetzt.“
Auch im SPD-Unterbezirk Groß-Gerau scheint die Neigung nicht groß, sich mit diesem „lästigen Streit“ auseinanderzusetzen – man müsse sich erst einmal „informieren“.
Der Fraktionsvorsitzende der GALB, Dr. Gerhard Schneider kommentierte gegenüber der taz: „Das geistige Klima, in dem solche faschistoiden Äußerungen entstehen, gedeiht besonders gut unter den politökologischen Bedingungen von Herrenstammtisch, Sozifilz und falscher Kameraderie.“
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