Bucharin rehabilitiert Ein Sieg der Reformer

Die UdSSR springt über die Schatten ihrer Geschichte / Auch andere prominente Stalin-Opfer sollen rehabilitiert werden / Weg frei für Wirtschaftsreformen?  ■ Von Erich Rathfelder

Gorbatschow hat Wort gehalten und sich durchgesetzt: Mit Nikolai Bucharin und Alexander Rykow sind zwei Alt-Bolschewiki und Gefährten Lenins 50 Jahre nach ihrer Hinrichtung 1938 nach den Moskauer Schauprozessen unter Stalin rehabilitiert worden. Das Plenum des höchsten sowjetischen Gerichts habe am Donnerstag diesen Entschluß gefaßt, bestätigten gestern eine Sprecherin des Gerichts und die Tochter Bucharins, Swetlana Gurwitscha. Die Begründung soll demnächst veröffentlicht werden.

Bucharin und Rykow waren während der Oktoberrevolution führende Bolschewiki. Vor allem Bucharin, der „Liebling der Partei“ (Lenin), gehörte in den zwanziger Jahren zum engsten Führungskreis. Nach Lenins Tod unterstützte er in den Kämpfen um dessen Nachfolge zunächst Stalin gegen Trotzki, geriet jedoch Ende der zwanziger Jahre wegen seiner Kritik an dessen Programm einer stark forcierten Industrialisierung mit diesem in Konflikt und wurde 1929 kaltgestellt. Der glänzende Theoretiker Bucharin wollte die forcierte Kollektivierung der Landwirtschaft und den Kampf gegen die „Kulaken“, der Millionen von Menschen in den Arbeitslagern Sibiriens das Leben kostete, nicht mittragen. Er forderte im Gegenteil eine Industrialisierung nach den Bedürfnissen der Landwirtschaft. Alexej Rykow war von 1924 bis 1928 Nachfolger Lenins als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare. Auch andere prominente Stalin-Opfer sollen in nächster Zeit rehabilitiert werden, heißt es in Moskau. Die Rehabilitierung Bucharins war seit den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Oktoberrebolution erwartet worden.