: Selbstverwaltung in Bulgarien
Sofia (dpa/vwd) – Eine „Kombination von Selbstverwaltung und zentraler Leitung“, die „private Nutzung des sozialistischen Eigentums“, ein „Ausgleich zwischen Marktgesetzen und staatlichen Preisvorgaben“, „Pluralismus ohne Gefährdung des politischen Monopols der Partei“ – das sind die Kernpunkte der großen Wirtschaftsreform in Bulgarien. Zu welchen Unsicherheiten diese wirtschaftspolitische Wende geführt hat, zeigen die Experimente bei der Preisbildung. Die Großhandelspreise sollen sich am Weltmarkt orientieren. 22 Prozent aller Waren sollen noch in diesem Jahr betroffen sein, sagt Wirtschaftsminister Stojan Ovcarov; 30 bis 40 Prozent in den nächsten drei Jahren. Nur: Weltmarkt bedeutet für Bulgarien zunächst einmal Orientierung an die Preise in der sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft und erst dann Berücksichtigung westlicher Preisgefüge.
Die geplanten höheren Großhandelspreise sollen durch staatliche Subventionen nicht auf den Einzelhandel durchschlagen. Man fürchtet offenbar Unzufriedenheit in der Bevölkerung wegen Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln. Später soll es eine „Volksabstimmung“ geben, ob höhere Preise für Grundnahrungsmittel genehmigt werden. Und noch eine Unklarheit dieses Sektors: Die Preise sollen zwischen Herstellern und den Vertreibern ausgehandelt werden. Jedoch läßt der Staat durch Vorgabe von Höchstgrenzen nur minimalen Spielraum bei der Preisfestsetzung zu.
Die den Betrieben erst vor wenigen Monaten gewährte Selbstverwaltung ist auf einem Gebiet inzwischen schon wieder eingeschränkt worden. Staats- und Parteichef Schiwkow kündigte an, daß die von der Belegschaft gewählten Betriebsleiter in Zukunft vom Staat bestätigt werden müssen. Offenbar hatten die Beschäftigten bei den ersten Wahlen nicht immer die Kandidaten gewählt, die den Behörden genehm waren.
Schritt für Schritt sollen die Betriebe jedoch mehr Freiräume erhalten. 1987 machten laut Ovcarov verbindliche Staatsaufträge nur noch 55 Prozent der Produktionspalette aus. In Zukunft sollen diese Vorgaben nur noch 30 bis 35 Prozent ausmachen. Freier sind die Betriebe, die jetzt in sogenannten Assoziationen zusammengeschlossen sind, im Außenhandel geworden. Sie können direkt – ohne Vermittlung der staatlichen Außenhandelsorganisation – im Ausland Geschäfte abschließen. Gleichzeitig besitzen die Fabriken jetzt auch Entscheidungsfreiheiten über die Aufnahme von Bankkrediten.
Der Versuch, ein wenig mehr Markt zuzulassen, stößt jedoch auf große Personalprobleme: „Wir sind besorgt über die Ausbildung der Kader“, räumte Ovcarov vor ausländischen Journalisten ein. Es leuchtet ein, daß aus einem Funktionär mit genauer Vorgabe von oben und unten, von Befehl und Gehorsam nicht über Nacht ein entscheidungsfreudiger Banker oder Manager wird. Daher werden zur Zeit zahlreiche bulgarische Manager der Zukunft in westliche Betriebe geschickt, um sich hier das unerläßliche Handwerkszeug anzueignen. Inzwischen scheut Sofia nicht einmal mehr davor zurück, bulgarische Staatsbetriebe von westlichen Unternehmensberatungen durchleuchten zu lassen. Thomas Brey
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