Pariser Gericht gnadenlos gegen Hungerstreikende

■ In den Vefahren gegen Mitglieder von Action Directe wird total geschwächte Hauptangeklagte zwangsweise vorgeführt / Erstmals reagiert die Öffentlichkeit auf inhumane Haftbedingungen

Paris (taz) – „Internationale Solidarität“, riefen zwei bundesdeutsche Paris-Touristen beim Anblick von Nathalie Menigon, eine der Hauptangeklagten im Action Directe-Prozeß. Als sie gestern vorgeführt wurde, schien sie jeden Augenblick das Bewußtsein zu verlieren, sie hatte die Hälfte ihres Gewichts verlo ren. Nathalie Menigon steht nicht, sie liegt vor Gericht. Seit 80 Tagen ist sie im Hungerstreik, doch die französische Justiz zeigt sich unbeeindruckt. Auch im zweiten Einzelprozeß gegen die Action Directe-Führerin wies das Pariser Sonderschwurgericht gestern nachmittag alle Anträge der Verteidigung auf Verschiebung des Verfahrens zurück. Das Gericht berief sich dabei auf Gutachten. Derzeit wird für Menigon mit Prozeßpausen gesorgt, indem ihr Veneninfusionen verpaßt werden. „Sie sagt, sie habe Schwierigkeiten, dem Prozeß zu folgen, daß ihr die Verhandlung sehr weit weg erscheine, und daß sie Kopfschmerzen habe,“ erklärt der Gerichtsmediziner. Doch das hindert ihn nicht, die Angeklagte für fähig zu erklären, vor Gericht zu erscheinen. Bereits am Mittwoch verurteilte dasselbe Sonderschwurgericht, das sich nur aus Berufsrichtern zusammensetzt und in „Terrorismus“-Affären einberufen wird, Nathalie Menigon zu zwölf Jahren Haft wegen Mordversuchs.

Ein ähnlich hartes Urteil erwartete man auch am Donnerstag abend im Prozeß um die Geschehnisse bei einer Pariser Hausbesetzung Anfang der 80er Jahre, bei dem Menigon ebenfalls Mordversuch vorgeworfen wird.

Währenddessen scheint die Öffentlichkeit erstmals größeren Anteil am Ausgang des Hungerstreiks der vier Action Directe- Gefangenen zu nehmen. Gestern veröffentlichte die französische Menschenrechtsliga einen Apell an den Justizminister, die Isolation der Gefangenen zu beenden. Darauf reagierten eine Gruppe Künstler mit einem ähnlichen Aufruf, der am Wochenende veröffentlicht werden soll.

Weiterhin setzt sich eine Gruppe von Intellektuellen mit einer Unterschriftenliste für die völlige Abschaffung der Isolationshaft ein. Diese ersten Solidarisierungsinitiativen mit dem Hungerstreik lösten bereits ein Echo auf Seiten der Regierung aus. „Hungerstreik zu machen, ist ihr Recht“, polemisierte der französische Polizeiminister Pandraud. „Abmagerungsdiäten kann man immer machen.“ Gleichzeitig warnte er „eine gewisse Intelligentsia“ davor, die Angeklagten als Opfer zu bezeichnen. Dagegen erklärte der Präsidentschaftskandidat der Links-Alternativen, das ehemalige KPF-Führungsmitglied Pierre Juquin, daß es inakzeptabel sei, „mit Staatsterrorismus auf den Terrorismus einzelner Gruppen zu reagieren“. Die französischen Grünen forderten den Justizminister auf, die „nötigen Maßnahmen zur Beendigung des Hungerstreiks einzuleiten“.

Kritik gab es an diesen Stellungnahmen jedoch auch von der seit langem aktiven Solidaritäts gruppe „Commission-Prison- Repression“. Sie kritisierte die Vorverurteilung der Taten von Action Directe, die in manchen Solidaritätserklärungen mitschwinge. Georg Blume