: Mit Stachelschweinschmuck und Salztabletten
Nepals Regierung setzt bei der medizinischen Betreuung und Aufklärung der Bergbevölkerung auf die traditionellen Kenntnisse von 400.000 Naturheilern / Schamanen verkaufen auch Anti-Baby-Pillen und werben im Radio für Impfung ■ Von Binod Bhattarai
Charikot (ips) – Würziger Duft von Räucherstäbchen hängt in dem dunklen Zimmer. Der eintönige Rhythmus einer Trommel und das Gemurmel des Geistheilers Nar Bahadur erfüllen den Raum. Bahadur, den Stachelschweinschmuck auf dem Kopf und eine Kette aus Schlangenwirbelgliedern um den Hals, schwankt in Trance hin und her und murmelt Mantras, um die bösen Geister aus dem ausgemergelten Körper des Kindes zu bannen, das auf dem Schoß seiner Mutter liegt.
Zwischendurch läuft Bahadur wieder hastig durch den Raum und befiehlt dem Geist zu entweichen. Dann fischt er ein Päckchen Salztabletten aus seinem Gewand, löst es in abgekochtem Wasser auf und gibt dem Kind davon zu trinken. Bahadur ist einer der rund 400.000 Naturheiler, die in Nepal nach wie vor ihrer Berufung nachgehen. In fast jedem Dorf gibt es einen Schamanen, der stets gerufen wird, um bei Krankheit die bösen Geister auszutreiben.
Heute macht sich die Regierung die Kenntnisse der Heiler zunutze, um neue Methoden der medizinischen Betreuung und der Familienplanung auch in die entlegensten Dörfer zu tragen. Manche Siedlungen liegen einen Wochenmarsch von einer Sanitätsstation entfernt.
Die Schamanen heißen in Nepal heute offiziell „Praktiker der traditionellen Medizin“. In Fortbildungskursen können sie Grundkenntnisse der modernen Medizin erwerben und die Anwendung wichtiger Medikamente kennenlernen. Ein Beispiel hierfür sind die eingangs genannten Salztabletten für Patienten, die an oftmals lebensbedrohendem Banddurchfall leiden.
Die Durchfallerkrankungen bewirken einen starken Wasser verlust und führen zur Austrocknung des Körpers. Besonders gefährdet sind Säuglinge und Kleinkinder. Von ihnen sterben in Nepal jährlich rund eine viertel Million an der tückischen Magen- Darm-Erkrankung. Besonders vor der Regenzeit – in den Monaten Mai und Juni – tritt die Krankheit häufig auf, weil dann die Nahrungsvorräte zur Neige gehen und das Wasser stärker verschmutzt ist als zu anderen Jahreszeiten.
In den Bergdörfern Nepals hält sich der Glaube, daß man Kindern, die Durchfall haben, keinesfalls Wasser geben darf. Die Überlebenschancen der Kinder werden dadurch stark gemindert, denn von Austrocknung Bedrohte müssen unter allen Umständen Flüssigkeit erhalten. Eine Lösung aus Wasser, Salz und Zucker ist nach den neueren Erkenntnissen ein geeignetes und überall verfügbares Mittel gegen die Austrocknung.
Die nepalesische Regierung konzentriert sich deshalb darauf, die Bevölkerung über Hygiene und die richtige Behandlung von Durchfallerkrankung aufzuklären. Hier kommt Nar Bahadur ins Spiel, der als Geistaustreiber von Dorf zu Dorf wandert und dabei auch Salztabletten verkauft.
Früher beklagten die Ärzte oft, daß sie bei der Arbeit im Dorf Schwierigkeiten mit den Heilern bekamen, die dort geachtet werden und großen Einfluß haben. „Die Naturheiler kennen die Vorstellungen der Gegend genau“, erzählt ein Arzt an einem öffentlichen Ambulatorium, „meine Patienten gehen alle zu ihnen, bevor sie hier herkommen.“ Ein Grund für die Beliebtheit der Schamanen: Sie kommen ins Haus – das Ambulatorium liegt oft Tagesmärsche entfernt.
Auch andere Organisationen haben die Nützlichkeit der Schamanen als „Außendienstler“ erkannt. Nar Bahadur ist nebenher ein erfolgreicher Verkäufer von Verhütungsmitteln für eine Agentur in der Hauptstadt Kathmandu. Nicht nur Kräuter und Amulette finden sich in seinem Medizinbeutel, auch Antibabypillen, vaginale Schaumtabletten und Kondome. Der Leiter der Agentur schwört auf die Schamanen und zahlt ihnen zehn Dollar Fixum pro Monat sowie Kommission.
Die Gesundheitswerbung der Regierung baut stark auf die Autorität der traditionellen Heiler. In der Rundfunkwerbung ist es oft ein Schamane, der die Leute zur Verwendung von Salztabletten, Verhütungsmitteln oder zur Impfung auffordert. Auch die Idee, sich bei der laufenden vom Kinderhilfswerk UNICEF getragenen Aufklärungsaktion des Bildes der Hindu-Schutzgöttin Durga zu bedienen, stammt von Geistheilern. Die Göttin prangt auf der Rückseite der Beipackzettel, auf denen die genaue Verwendung der Salztabletten erklärt wird.
Manche Kritiker des massiven Umwerbens der Geistheiler verweisen darauf, daß die Schamanen in den vergangenen 30 Jahren das Haupthindernis bei der Aufklärung über Gesundheitsvorsorge waren. Dem wird entgegengehalten, daß Kooperation mit den traditionellen Medizinmännern auf jeden Fall sinnvoller sei als Konfrontation, denn sie werden in den 80.000 Bergsiedlungen Nepals noch für Jahrzehnte die ersten und oft auch die einzigen sein, die den Kranken Hilfe bringen.
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