DOKUMENTATION: Postsperre für Ingrid Strobl?
■ Telkämper, Vorsitzender des Grün–Alternativen–Europäischen Bündnisses (GRAEL) im Europaparlament, protestiert in einem offenen Brief gegen den Bundesrichter Gerlach Am 9.2.88 h
Am 9.2.88 hat der Richter am Bundesgerichtshof, Dr. von Gerlach, einen Brief an die in München inhaftierte Journalistin Ingrid Strobl „angehalten und zur Habe der Beschuldigten nehmen lassen“. Von Vertretern eines Parlaments, lehrt Gerlach, müsse erwartet werden, „daß sie... Tatvorwurf und Gesetzeslage sachlich prüfen, bevor sie sich mit einemwegen des Verdachts einer Straftat Inhaftierten solidarisch erklären“. Im Brief stand unter anderem: „Mit Bestürzung erfuhren wir von deiner Verhaftung, den abstrusen Beschuldigungen und den Haftbedingungen (...). Es ist offensichtlich, daß mit der Verhaftung von dir und Ulla Penselin, mit den vorübergehenden Festnahmen (...), den Durchsuchungen und Beschlagnahmen ein weiterer Versuch unternommen wird, Ansätze von Opposition (...) zu kriminalisieren und kritische Stimmen einzuschüchtern.“ – Wilfried Telkämer zur Beschlagnahme des Briefs:
Mit Verwunderung haben wir Ihren Beschluß vom 9.Februar des Jahres bezüglich meines im Namen des GRAEL an Frau Ingrid Strobl gerichteten Briefs erhalten. Es liegt außerhalb meines Vorstellungsvermögens, wie dieses Zeichen der Solidarität die Ordnung der Anstalt gefährden kann. Ich möchte Sie daher auffordern, den Brief an Frau Dr. Ingrid Strobl auszuhändigen... (Wir sind) erstaunt über die Argumentation des Bundesgerichtshofes, wonach für Frau Strobl, der trotz des Wissens um ihre Observation keine Fluchttendenzen nachzuweisen waren, da sie jetzt inhaftiert sei, im Falle einer Freilassung ein erhöhter Fluchtanreiz bestünde. Dies erweckt den Eindruck, als schaffe die Bundesanwaltschaft selbst den Grund „Fluchtgefahr“ zur Fortführung der Untersuchungshaft... Um die Ernsthaftigkeit unseres Anliegens zu bekräftigen, werden wir ...beim Bundesgerichtshof um eine Besuchserlaubnis bei Frau Strobl ersuchen, um uns über deren Haftbedingungen vor Ort zu informieren... Hinsichtlich des „Rahmens einer zulässigen freien Meinungsäußerung“ möchten wir abschließend daran erinnern, daß gerade in einem System der Gewaltenteilung ein frei gewählter Volksvertreter die Möglichkeit haben muß, seine Meinung und Beurteilung auch über Zustände im Bereich der Justiz mitteilen zu können...
Wir fordern Sie daher auf, mein Schreiben an Frau Ingrid Strobl weiterzureichen.
Mit vorzüglicher Hochachtung Wilfried Telkämper, Vorsitzender Grün-Alternatives Europäisches Bündnis (GRAEL)
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